Re: "If I show you the pain, will you show me the purity / If i show you the scars, will you show me yours"

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palez

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So, mit den folgenden Reh-Wüüs habe ich unser kleines Battle zumindest meinerseits beendet und quasi „gewonnen“, fairerweise muss ich dazu aber auch anmerken, dass mein Sampler ja 42 mal so lang war wie deiner…deiner hatte allerdings einen Song mehr. Schade bloß, dass die obligatorische Anzahl von irgendwelchen Sachen am Ende eines Kommentars hier teilweise nicht mehr so hoch sein wird wie vorher, was mir aber wahrscheinlich mehr Leid tut als dir.

Wenn ich alle Songs in einem Rutsch bewertet hätte, hätte ich dir den auffallenden Kontrast zwischen Firekites und Young Widows an den Kopf geworfen (ja, gut, das hatten wir eigentlich schon geklärt), da zwischen den beiden Review-Päckchen allerdings eine mehrtägige Pause liegt, habe ich schon wieder keinen Aufhänger. Die Band irgendwie auch nicht, denn der Einstieg gerät mit ein paar Gitarren-Fingerübungen und einem Anfang von vorne ebenso planlos wie mein Geschreibsel. Nach schnell überwundener Verwirrung legt „Delay Your Pressure“ aber mal ordentlich los; geboten wird irgendwie sowas Ähnliches wie Hardcore, schwarzgestrichen und von der Sorte, der man nicht unbedingt in einer dunklen Seitengasse begegnen möchte. Auf der Suche nach Referenzen kommt man dabei allerdings recht schnell im Albini-beherrschten Noise Rock der späten 80er und frühen 90er an, vor allem der Gitarrensound und sein gelegentliches stählernes Aufleuchten und Funkensprühen an Stellen, an denen man es nicht erwartet, ist zum Teil schon eine Respektserweisung an Big Black. Allgemein finde ich den Sound irgendwie völlig faszinierend, da er gleichzeitig unbearbeitet und nach Garage und nach ausrangierter Maschinenhalle klingt. Der Drummer spielt starrköpfig, nimmt ab ca. der Hälfte das Tempo raus und verschleppt den Song in seltsame Gefilde. Die Hardcore-Kante kommt vor allem durch den stiernackigen Bellgesang zwischen Page Hamilton und Henry Rollins, der mir hier nicht so ganz in den Kram passt. Vermutlich fände ich die Musik ein bisschen besser, wenn sich die Sängerin von Murmansk (oder der Sänger von Ten Kens, auf die ich noch zu sprechen kommen werde) am Mikro verausgaben würde. Tolles Klangbild, noch nicht völlig greifbar für mich, aber definitiv nicht reizlos. Siebeneinhalb von zehn rostigen Stahlröhren.

Mit Blackfilm – Midnight to 4 AM hätte der Sampler Anschluss an Bersarin Quartet finden können, hätte er ein Konzept gehabt, denn die Atmosphäre der beiden Stücke ist durchaus ähnlich. Das Album von Blackfilm hat offenbar sogar ein Konzept, aber damit habe ich mich noch nicht befasst. Das Stück setzt ein mit Knistern, Rauschen, Störgeräuschen, sich langsam öffnenden Augen. Sie sehen eine leere, verschneite Straße, bis in ihre hintersten Winkel erhellt von der grellen Vormittagssonne. Im Grunde passiert zunächst nichts, die verhallten Beats und das eisig tröpfelnde Geklimper geben keinen Rhythmus vor und an die Frauenstimme kann man sich nicht klammern, es ist das unstete, gedrungene Bewusstsein, das die Szenerie mit (paranoischem) Leben füllt. Bilder entstehen und vergehen, Bewegungen und vertraute Gesichter, einer Fata Morgana oder einem Polarlicht ähnlich…aber wo sollen die auf einmal herkommen in Norddeutschland bei minus 8°. Recht unsanft und plötzlich spürt man nach ca. 1:40 Minuten wieder den Boden unter den Füßen. Eine bedrängend tragische Streichermelodie dominiert kurzzeitig das Geschehen, die schwebenden Beatspielereien werden zum harten und unnachgiebigen Asphalt. Die Straße ist bei weitem nicht so friedlich und leer, wie man sie sich vorgestellt hat, man findet sich wieder inmitten von grimmigen Passanten mit austauschbaren Gesichtern, die sich gleichmäßig zähflüssig in eine Richtung schieben. Einige drängeln, schubsen und quetschen sich zwischen den anderen hindurch, man bekommt Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Zwischendurch scheint die ganze Straße wieder leer zu werden, man fällt wieder in dieses Luftschloss aus Trugbildern und vagen Ahnungen, bis einem die Realität wieder ihre Unausweichlichkeit ins Gedächtnis ruft. Zum Schluss übernehmen wieder der Nebel vor dem Bewusstsein und das stetige sich Entfernen von allem wieder die Oberhand.
Ein bisschen hat mich „Midnight to 4 AM“ an Burial erinnert, nicht zuletzt wegen des gesampleten Frauengesangs (und weil ich mich in dem Bereich kaum auskenne und deshalb auf keine vielleicht treffenderen Vergleichsmöglichkeiten Zugriff habe). Blackfilm gehen dabei deutlich aufdringlicher und eindeutiger vor als Burial, was hier aber keinesfalls so negativ gemeint ist, wie es sich vielleicht liest. Ich kann mittlerweile auch feststellen, dass man sowohl die vermittelte Atmosphäre als auch die zu ihrer Erzeugung verwendeten Mittel so oder so ähnlich durchaus schon mal gehört hat, wenn Ambient für einen kein völlig fremdes Terrain ist, wie sie aber verwendet werden, ist sehr gut und effektiv und ungefähr genau das, wonach ich aktuell unterbewusst wohl suche. Achteinhalb von zehn lebensgefährlich großen Eiszapfen an Laternenmästen.

Ich hätte mich dabei durchaus gerne noch weiter der winterlichen Unbehaglichkeit von Blackfilm ausgesetzt, mit Kings of Convenience und „Freedom and It’s Owner“ geht es aber erst einmal an den Karibikstrand. So etwas kann lustig sein, wenn man dazu tanzen kann, die Band bietet allerdings eher die Sonnenuntergangs- und Lagerfeuer-Balladenvariante. Jetzt wird es schwierig, mir dazu noch irgendetwas einfallen zu lassen, denn im Grunde hast du damit einfach nur die falsche Person erwischt. Falscher könnte die Person eigentlich kaum sein. Ich könnte anmerken, dass der Gesang recht angenehm geraten ist, aber irgendwie hilft mir das nicht weiter. Kann verstehen, dass man nach mehreren Promos von maximal durchschnittlichen XYZ-Core-Alben auf dem Schreibtisch irgendetwas braucht, um wieder runterzukommen, aber ich persönlich habe bisher nie in meinem Leben das Bedürfnis nach Jack Johnson in der Indiedarling-Version gehabt (sorry, das klang jetzt bestimmt ahnungslos und unverschämt). Die Form von Zufriedenheit und guter Laune, die hier vermittelt wird, kann ich persönlich emotional nicht wirklich nachvollziehen. Nee. Das ist nichts für Muttis Tochter. Diplomatische vier von zehn Cocktailpappschirmchen.

Ich habe das Allschools-Review von dem Epilog & Misanthrop-Album, von dem „Paradies“ ist, gelesen und freue mich nun dementsprechend darauf, mich wieder im Seelendreck suhlen zu können. Gemessen an meinen Erwartungen war ich vom musikalischen Unterbau zunächst leicht enttäuscht, denn dieser weist in seiner entspannten Lockerheit leichte Ähnlichkeiten zu irgendeinem Fanta 4- oder Thomas D-Song auf, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Bevor du mit verfaultem Gemüse nach mir wirfst, komme ich lieber gleich zum Text bzw. seinem Vortrag, denn dieser ist bei genauerer Betrachtung doch ziemlich bemerkenswert. Erst einmal ist es eine irgendwie völlig Rap-untypische Stimme (müsste man vielleicht mal Necrofiend vorspielen, wenn er wieder irgendwas von „Ghettogesang“ faselt), zweitens schmiegt sich diese so eng und natürlich an den Beat, dass es mir erst nach mehreren Durchläufen aufgefallen ist, dass man da auf Reime verzichtet. Große Leistung. Mit gleichbleibendem lakonischen Zynismus vorgetragen, zieht der Text einen Bogen von Aufbruchsstimmung zu Ernüchterung, hübsche aphorismenmäßige Passagen zum Zitieren sind auch viele dabei. War cool, könnte mit der Zeit sogar noch mehr wachsen. Siebeneinhalb von zehn Löchern durch die verkrustete Monotonie.

Jetzt bin ich mittlerweile ein bisschen zu müde für Jaga Jazzists „Day“, aber wie doof wäre es auch, aufzuhören, wenn einem nur noch drei Songs zum Bewerten bleiben. Mit seinem hellwachen, leicht verspielten Uptempo-Beat vermittelt das Stück auch wieder nicht ganz die Stimmung, der ich mir gerne aussetzen würde, aber was soll’s. Um diesen sich ständig verändernden und zu seiner alten Form zurückkehrenden Beat herum werden allerlei Ideen vorgeschlagen, verwirklicht und wieder verworfen, das geht von Klimperlounge über helles Café-Jazz-Saxophon zu irgendetwas anderem, ein gewisses Grundmotiv ist aber immer herauszuhören. Och, naja. Ich kann mit der leichtfüßigen Unverbundenheit des Stücks zumindest aktuell eigentlich nicht allzuviel anfangen, durch seine innere Harmonie und Logik kann ich es allerdings auch in meinem mäßig motivierten Zustand zumindest recht nett finden. Sechseinhalb von zehn Latte macchiatos-to-go.

Es ist verdammtnochmal neun Uhr (zumindest zu dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Kommentar schrieb, haha), aber ich könnte mit dem Kopf voran auf die Tastatur fallen und einschlafen. Glücklicherweise wirkt Ten Kens – Grassmaster in dieser Situation wie ein über dem eigegen Kopf ausgekippter Eimer mit eiskaltem Wasser um drei Uhr morgens. Beginnend mit einer Bassline, die einem ein „Komm bloß nicht zu nahe!“ ans Herz zu legen scheint, geht der Song wieder über in klassischen Krawall-Noiserock, was Ten Kens dabei aber zum Beispiel Young Widows voraus haben, ist ihre Ambivalenz. Nach kaum dreißig Sekunden legt sich das Chaos, um eine klangliche Mulde für einen Part zu schaffen, den ich mir vor allem durch den tiefen und irgendwie erdlosgelösten Gesang ganz gut in einem 80er-New Wave-Song vorstellen könnte. Danach (also nach einem instrumentalen Wutasubruch) befeuet das nervöse Drumming mit der wieder sehr suspekten Bassline eine vielleicht nicht ganz unbegründete Paranoia – schließlich könnte jetzt wieder ein Ausraster folgen. Einen großen Anteil daran, dass das Ganze zu keiner Sekunde stumpf und immer gefährlich unberechenbar klingt, trägt der variable Gesang. Die Cleanstimme des Sängers ist besorgniserregend harmlos und klingt nach einem apathisch-süßen Brandstifterlächeln, der Schreigesang angenehm unprofessionell. Normalerweise ist Rockbandgeschrei deutlich stimmloser und klingt weniger authentisch nach Tobsuchtsanfall, hier klingt der Typ aber echt, als hätte er sich auf eine Reißzwecke gesetzt. Angenehm zu hören, dass man blinde Wut und gute Laune so widerspruchslos vereinen kann. Achteinhalb von zehn angezündeten, nur scheinbar achtlos in Richtung eines Benzintanks geworfenen Streichhölzern.

Da ich im Black Metal-Bereich dieses Jahr nur so halbaufmerksam zugehört habe und meine Lieblingsveröffentlichungen eine Split von Fell Voices und Ash Borer (sowie von ersteren noch eine Tour-CD-R, die letztendlich recht deutlich hinter Album und Demo zurückbleibt) und die jeweils nur Spurenelemente von BM enthaltenden Veröffentlichungen von A Forest of Stars, Lantlôs und Todtgelichter sind, war ich umso gespannter auf die mir bisher nur vom Namen und Genrezuordnung her bekannten Woe. Leider kann mich die Band mit „A Treatise o Control“ nicht wirklich davon überzeugen, bei „Quietly Undamatically“ (aber schöner Albumtitel immerhin) etwas verpasst zu haben. Was ich allerdings wirklich super finde, ist der Drumsound. Der klingt so richtig schön greifbar und naturbelassen nach Holz und Leder und sollte zumindest in dieser Sparte eigentlich immer so klingen. Fell Voices und Nachtmystium (aber nur auf „Instinct: Decay“) zeigen, dass sowas viel mehr Flair hat als Triggerquatsch und Drumcomputer. Der Drummer hat anscheinend Talent und bemüht sich ansich auch hörbar darum, Abwechslung und Dynamik reinzubringen, hangelt sich aber an einem mäßig spannenden Midtempo-Grundrhythmus entlang (passiert bei Fell Voices zum Beispiel selten bis nie), woran auch die vielen hübschen Verzierungen nicht wirklich etwas ändern können. Zur „Restmusik“ fällt mir gerade vor allem ein, dass der Bandkern einen Hardcore-Hintergrund haben und mit Black Metal normalerweise nichts am Hut haben soll, was ich angesichts der Musik gewissermaßen gut nachvollziehen kann. Das soll natürlich nicht gegen die Band ausgespielt werden (wie blöd wäre das denn auch…im Übrigen sieht es bei Fell Voices ganz ähnlich aus mit dem Hintergrund), aber mir kommt es so vor, als wäre die größte musikalische Ambition von Woe der Purismus, ein Purismus, der anderen Bands als selbstverständliche Ausgangslage dient (zum Beispiel Fell Voices…jaja, ich hör ja schon auf). Das arttypische Kreischen, die Atmosphäre, die man zu vermitteln versucht, auch die Gitarrenmelodien, die mich auf den Gedanken bringen, dass es im Black Metal ähnlich wie im Jazz so etwas wie eine begrenzte Auswal an harmonischen/melodischen Standards zum Interpretieren geben muss, sind um eine gewisse Authentizität bemüht, erreichen diese gewissermaßen auch, verpassen es aber, darüber hinauszugehen. Zudem kommt es mir so vor, als habe die Band regelrecht Angst vor Pathos und großen Gesten. Das Karge und Schroffe, das die Musik dadurch an sich hat, kann man mögen, muss man aber nicht – ich stelle nur fest, dass sich damit wieder der Spuch „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ bestätigt.
Das Drumming klingt vor allem aufgrund des Sounds durchaus aufregend, der Eindruck vom Rest ist mit einem Lisa Simpson-„meh“ wohl am besten umschrieben. Nett gemeinte sechs von zehn toten Ästen zur Proberaumdekoration.

Aber sonst war’s gut. Hat mir viele tolle Sachen nähergebracht, danke dafür! 🙂