Home › Foren › Maximum Metal › Plattenladen › Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen) › Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)
Wenn er (bzw. ich) es sich bis dahin nicht anders überlegt, dann wird dieser Thread im Frühling zur Partnerumkleide mit Guckschlitz von Nezyrael und mir umfunktioniert. Bis dahin versorge ich euch wieder mit Lala:
Im Bereich des modernen Sludge (die Bands, die sich von John Baizley die Cover zeichnen lassen, sind, wenn überhaupt, postmoderner Sludge) unterscheide ich zwischen den guten und den bösen Bands. Isis, Pelican, neuere Cult of Luna, Minsk und Dirge sind beispielsweise die Guten. Das französische Quartett Overmars sind die Bösen.
Als ich mich das erste Mal während eines Samplerspielchens „Born Again“, einem ein-Song-Album aus 2007, ausgesetzt habe, stapelten sich Gedankenansätze in meinem Kopf und fielen in sich zusammen. Lange hatte Musik bei mir nicht mehr ein so überwältigendes Gefühl von Hilflosigkeit hervorgerufen. Ich hatte im Vorfeld so meine Vorstellungen, wie so ein fast vierzigminütiges Sludge-Monstrum auf mich wirken könnte, saß damals aber recht fassungslos vor der Tastatur und konnte nicht schreiben, die Vielzahl an nicht greifbaren Ideen eine kaum zu durchbrechende Barriere, „Born Again“ die Autopresse, in die ein Bewusstsein geraten kann, wenn man sich darauf einlässt.
Wie dicke Drahtseile fühlt sich der Bass an, die Gitarren wie raues, unbearbeitetes Gestein. Das Drumming klingt apathisch und unbeugsam, eine Bewegung kann das gedrungene Bewusstsein in dieser Enge lediglich simulieren, um sich selbst zu retten. Man weiß nicht, wie man hierher gekommen ist. Man ist sich aber sicher, dass man es nie rausfinden wird. Der Rhythmus lässt den Strom der Zeit zäh werden, fast bis zur völligen Erhärtung, jede einzelne Sekunde fühlt man als immer neues Brandmal am wundenübersäten Leib. Es dauert eine Minute, bis man inmitten dieser feuchten Steinwände, der absoluten Schwärze und der betäubenden, verbrauchten Luft eine Stimme wahrnimmt, eine männliche, heisere, eine fremde. Drei Minuten, ein Aufschrei, ein Sammeln der letzten Kräfte. Es ist die Stimme von Sängerin Antoine, die nun das Leid und die Schwere des Songs für den Hörer auf sich nimmt. Ihre Stimme streift in einem Moment eine Melodie, verfällt wieder in den Schrei. Das Drumming geht immer noch gegen die unmerklich näherrückenden Wände an. Alles ist voller Lärm und Hall und ihrem durchdringenden Schrei, bis schließlich fast alles außer ihr verschwindet…just me, myself and I. Und vielleicht noch schlimmer als die Enge ist diese absolute Orientierungslosigkeit, in der es zwar noch perfide Bassmelodien und Nebengeräusche gibt, aber weder oben noch unten, weder Leben noch Tod, und keine Gewissheit, nur sich selbst. Seit dem Fear of God-Debüt habe ich im Metal-Bereich keine weibliche Stimme in einer derart lebensfeindlichen Umgebung gehört, seit Dawn Crosby klang bei keiner Sängerin unermessliches Leid so beängstigend authentisch.
Ihre Schreie hört man ab Minute zehn nicht mehr. Einige Male ist die männliche Henkersstimme aus dem Nirgendwo zu vernehmen, und dann ein nicht mehr durchdringendes, nunmehr rauschendes Schreien Identitätsloser. Industrialisiertes Töten, sie schreien, verbrennen, zu Tausenden. Die Schreie werden umgeben von metallisch nachhallenden Basssaiten und einem Rhythmus, der sich in Pulsschläge verwandelt, nicht von der Stelle kommt, sich auflöst, aber in fatalistischer Gewissheit still von einer Drohung kündet. Mehr als ein mechanisches Pochen und ein suggestiv fieses Gitarrenheulen im Hintergrund gibt es für einige Minuten nicht. Erst jetzt merkt man, wie sehr man die Stille doch gebraucht hat. Man kann wieder atmen, sich seines Lebens vergegenwärtigen. Wir haben noch fast 17 Minuten vor uns und die lauter werdende Gitarre deutet auf eine erneute Erhebung hin. Dieses Schwelen dauert wieder einige Minuten, die männliche Stimme klingt nun nicht mehr heiser, sondern gebrochen, die Gitarren zerschmelzen und kriechen in dickflüssigen Klumpen die Wände herunter. Die Schwäche und Zerbrechlichkeit seines Folterapparats lässt man sich nun nicht mehr anmerken, der zähe, aber unnachgiebig vorantreibende Rhythmus gleicht einem rostigen, aber noch funktionierenden alten Panzer. Aus wiederkehrenden, an ein abtauchendes U-Boot erinnernden Geräuschen wird in den letzten Atemzügen des Songs eine Melodie geboren, die sich windet, die berstet vor Schmerz und Druck, die sich gleichzeitig so anfühlt wie das Kratzen von langen Fingernägeln auf Glas und der größte, erhebendste, befreiendste Schönklang. Tränen fließen bei Henkern und Verurteilten, das Todeskonstrukt zeigt Risse und sinkt langsam in sich zusammen. Unter den Tonnen von rostendem Stahl und Gesteinsbrocken werden sie begraben, alle, die es hätten überleben können. Knacken, Platzen, Bersten, Lärm, Ende, Erlösung. Mehr konnte die Band nicht tun, um „Born Again“ zum Ende hin erträglicher zu machen.
Leises Rauschen ist der Epilog einer Geschichte über die unaussprechlichen Qualen von Tod, Geburt und Wiedergeburt, für die keine Leinwand groß genug und kein Wort oder Bild treffend ist.
http://www.youtube.com/watch?v=k_Z1S24eQWk
In besseren Versionen ist es bei youtube leider nicht aufzutreiben, aber man erkennt, worum es geht.
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