Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

Home Foren Maximum Metal Plattenladen Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen) Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

#6360337  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

SkarrgVerflucht, wieso habe ich die Swans sachen angeklickt? Ich glaube ich brauche umbedingt mehr von dem Zeug?!

🙂 Yay.

————————————————————————————————–
Une brève histoire sur la môme piaf de Paris

Da der Thread aber möglichst bald wieder in der Versenkung verschwinden soll, widme ich mich im Folgenden zwei Dingen, bei denen die meisten hier die Hände überm Kopf zusammenschlagend das Weite suchen – der französischen Sprache und dem Frauengesang. Ein Beitrag, der das Forum gleich doppelt nicht interessieren wird, und ein Annäherungsversuch an die große kleine Edith Piaf.

La Piaf et la vie

Geboren am 19. Dezember 1915 als Édith Giovanna Gassion, wird Edith Piaf von ihren Eltern schnell vernachlässigt und vergessen. Bei ihrer Großmutter verhungert das Kind beinahe und erblindet im Alter von drei Jahren, um einige Jahre später nach einer Wallfahrt zur heiligen Therese nach Lisieux die Sehkraft wiederzuerlangen. Schon im Kindesalter nimmt ihr Vater, Akrobat, Edith mit zu seinen Tourneen mit einem Wanderzirkus, im frühen Teenageralter hat sie ihre ersten Auftritte als Sängerin. Mit 14 sagt sie sich vom Vater und ihrem damaligen sozialen Umfeld los, um sich im Grand Hôtel de Clermont ein Quartier zu nehmen und als Straßensängerin durch die Vororte von Paris zu ziehen. Ihr erster großer Gönner ist der Kabarettbesitzer Louis Leplée, der der damals zwanzigjährigen Edith Gassion in seinen Shows als Sängerin auftreten lässt und ihr den Spitznamen „La Môme Piaf“ (dt. „kleiner Spatz“) gibt. Bei einem dieser Auftritte lernt sie auch die Pianistin Marguerite Monnot kennen, mit der sie bis zum Ende ihres Lebens immer wieder kollaboriert. Der Mord an Leplée 1936 sorgt für den ersten großen Skandal in der noch jungen Karriere von Edith Piaf, als sie der Mitwisserschaft an der Tat beschuldigt, schließlich aber freigesprochen wird. Mit Raymond Asso findet sie kurz darauf einen neuen Förderer, mit dessen Hilfe sie erst nationale, dann europaweite und schließlich weltumfassende Bekanntheit erlangen kann. Er ist es auch, der ihr den nun offiziellen Künstlernamen Edith Piaf gibt. Am Gipfel ihrer Popularität baut sie Freundschaften zu zahlreichen Vertretern der damaligen Showprominenz auf, von denen Jean Cocteau und Marlene Dietrich zu den bekanntesten zählen. Neben einigen ihrer größten künstlerischen Erfolge sind die Fünfziger und Sechziger Jahre gezeichnet von sich häufenden persönlichen Krisen; scheiternde Beziehungen, schwere Autounfälle 1951 und 1959, eine folgende Morphiumabhängigkeit, Alkoholismus, Ohnmachtsanfälle auf der Bühne und schließlich eine Leberkrebserkrankung, die 1963 zum Tode mit 47 Jahren führt.

Edith Piaf schrieb wenige ihrer Songs selber. Sowohl sie selbst als auch ihre Songwriter und Mentoren legten jedoch größten Wert auf Lebensnähe. „L’Accordéoniste“ entstand zwar 1940 unter dem blutroten Himmel des Krieges und mit der (unglücklichen) Liebe als wiederkehrendes Motiv, spiegelt jedoch vor allem die damalige französische Lebensrealität im Lichtkegel der Straßenlaterne wider. Die besungene Bordsteinschwalbe wartet vergeblich auf ihren Geliebten und lässt sich so ausgelassen wie verzweifelt in die Musik des Akkordeonisten fallen, während das Lied in Strophen und Refrain sich effektvoll auftürmt und wieder abebbt. Im 14 Jahre später entstandenen „Sous le ciel de Paris“ blickt Piaf romantisch und wehmütig auf ihre geliebte Heimatstadt, beschreibt Liebende und Flaneure unter einem Himmel, den man sich schwer und grau vorstellt – doch dieser betörend melancholische Chanson zeigt am Ende mit dem Bild des Regenbogens eine zuckrige Harmoniesucht. Im 1951 veröffentlichten „Padam, Padam“ mit seinem strengen Walzertakt spielt sich das Leben der Piaf um eine immer wiederkehrende Melodie herum ab. Toute la comédie des amours und der quatorze-juillet ziehen vorbei, was bleibt, ist die Melodie als Manifestation ständiger Verzweiflung und Schuld. Egal, was kommt, egal, wo man endet, sie bleibt. „Non, je ne regrette rien“ ist dennoch, obwohl eigentlich nicht ihr letzter Song, ein nicht nur versöhnliches, sondern gar feierliches Happy End. Edith Piaf ist die Summe ihrer Erfolge und Verfehlungen und singt mit einer unverwüstlichen Sicherheit und Stärke, die die in anderen Zusammenhängen hanebüchene Botschaft des Stücks wahrhaftig machen.

http://www.youtube.com/watch?v=P4b8985k-4Q

La Piaf et la guerre

Es gibt bis heute widersprüchliche Aussagen darüber, ob und welche Rolle Edith Piaf in der Résistance während der deutschen Besatzung gespielt hat; ihre Mitgliedschaft konnte nicht sicher nachgewiesen werden. Es ist jedoch bekannt, dass Piaf bei ihren Auftritten für die Gestapo mitgeholfen hat, die Flucht französischer Gefangener zu organisieren.
Ihre Chansons hatten oft den Krieg zum Thema, waren dabei jedoch nie ausdrücklich politisch. Neben dem groschenromanartigen Thematisieren ewig unerfüllter Liebe („Mon Légionnaire“) zeigten sie vor allem die Befindlichkeiten eines im Grunde geschlagenen Landes. Ihre größten und bewegendsten Songs über den Krieg veröffentlicht sie jedoch erst Jahre nach dem krieg. „Exodus“, ein Stück über eine Flucht aus Nazi-Deutschland nach Amerika, baut sich zu alles überragender Größe auf. Die Streicher sind die Wellen, die gegen das Flüchtlingsboot schlagen, Piaf sing appellierend und mit einem unerschütterlichen und überzeugenden Ernst. Wenn an jedem der Intensitätshöhepunkte ein Frauenchor gegen Edith Piaf anzukommen versucht, ist diese zugespitzte Dramatik jedesmal aufs Neue ein Messer in der Brust des Hörers. Übertroffen wird dies nur durch „Heaven Have Mercy“, einer 1956 veröffentlichten Neueinspielung von „Miséricorde“. Zwischen beiden Versionen liegt gerade mal ein Jahr, und doch bestehen Unterschiede, die weit über die Sprache, in der das Stück vorgetragen wird, hinausgehen. Die Einsätze des Orchesters sind in der englischen Version viel pointierter und wirkungsvoller, hier entfaltet sich das gesamte dramatische Potential, das das Original angedeutet hatte. Mit jedem grabestiefen Erklingen der Streicher und Bläser, vor allem aber in der Leere dazwischen hat der Hörer das Gefühl, als würde der Boden unter den eigenen Füßen wegbrechen. Dies kann jedoch nie verschleiern, sondern betont nur, dass der Gesang Edith Piafs zu jeder Sekunde der Mittelpunkt des Songs ist. Sie scheint gefangen im Schockzustand, in einem Moment tiefster Verzweiflung, eine Kriegswitwe vor den Scherben ihrer früheren Existenz. Es gibt eine Art Pause, wenn Lichtstrahlen kurzzeitig durch die Gewitterwolken brechen und Piaf in Erinnerungen schwelgen darf, doch der folgende Fall gerät umso tiefer, der Aufprall umso härter. Wenn sie vor dem inneren Auge auf die Knie fällt und mit sich fast schon überschlagender Stimme singt: „Now its done why be brave? Why should I live like this? Shall I wait by the grave for my lost lovers kiss?“, sich scheinbar wieder fängt und begleitet von Orchesterfanfaren endgültig zusammenbricht, dann gleicht ihr Ausdruck eher dem einer Theaterschauspielerin als dem einer Chanteuse.

http://www.youtube.com/watch?v=aWbqzNVbLps
http://www.youtube.com/watch?v=gfQ4tUDQDNQ

La Piaf et l’amour

Die Liebe ist der ständige Mittelpunkt der Stücke und des Lebens von Edith Piaf. Man kann sich ihrer Person und ihrer Musik nicht nähern, ohne dies in Betracht zu ziehen. In ihrem Leben ist sie der Grund ihres Erfolgs und ihres Scheiterns. In ihren Liedern tritt sie auf als ein flüchtiger Blick, als ein tragischer Verlust, als Postkartenkitsch. Ihre „Hymne à l’amour“ ist eine Komposition, deren Melodieführung sich sehr dafür anbietet, das Happy End einer Hollywoodromanze zu untermalen, und zahlreiche weitere Interpreten erkannten dieses Potential und coverten den Song in verschiedenen Sprachen. Seine eigentliche Größe wird dem Song (wie so oft) erst durch den Gesang Piafs und seinen Kontext verliehen; den Text widmete sie ihrem damaligen Geliebten, dem Boxer Marcel Cerdan, der 1949 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. In noch größerem Maße als „Hymne à l’amour“ ist „La vie en rose“ Sinnbild der Showidylle der 50er – und wurde sogar noch wesentlich öfter gecovert. „Milord“, ihr kommerziell wohl erfolgreichster Song, ist unverbundener, weitaus weniger pathetisch, hörbar europäisch. Das nette kleine Kabarettarrangement wechselt zwischen ausgelassener Tanzbarkeit und introvertierter Cafémelancholie, um der Theaterschauspielerin Piaf eine geeignete Bühne zu bieten; als kokettes Mädchen von der Straße, welches dem britischen Gentleman das Geständnis seines Unglücks entlocken und ihn schließlich von der Leichtigkeit des Seins überzeugen kann. Ihr größter und berührendster Chanson über die Liebe bleibt jedoch „La Foule“. In dieser Adaption eines spanischen Vals criollo verausgabte Edith Piaf sich emotional so sehr wie in kaum einem anderen ihrer Songs. Mal wieder ist ihr Gesang der Mittelpunkt eines kraftvollen, schnellen Walzers. Sein Takt, seine Arrangements passen sich ihr an, ebben ab und treten in den Hintergrund, wenn sie mitten im Stück zusammenzubrechen, vor Trauer zu bersten droht. In keinem anderen Song zeigen sich Piafs emotionale Ausdruckkraft und Selbstaufopferung so erschlagend deutlich wie in diesem bitteren Chanson über ein Paar, das von einer Menschenmenge auseinandergerissen wird.

http://www.youtube.com/watch?v=WqW7CgJNkAg

La Piaf et le présent

Nun sitze ich vor einer großen Anhäufung von Wörter, Aussagen, Informationen und Gedankenfetzen, und kann doch nicht behaupten, Edith Piaf als Sängerin und Kulturphänomen völlig durchdrungen zu haben. Zum einen kenne ich immer noch nur einen Bruchteil ihrer mehr als 200 veröffentlichten Songs. Zum anderen ist es immer problematisch, kulturhistorische Zusammenhänge mehr als ein halbes Jahrhundert danach durch Recherche rekonstruieren zu wollen. Was für mich allerdings feststeht, ist, dass man ihrer Musik nicht gerecht wird, wenn man bei der Beurteilung diese „äußeren“ Faktoren außer Acht lässt. Es ist dieser Kontext und die Ahnung einer schmerzlichen Authentizität, die ihre an sich durchaus einfachen und auf die Massen zugeschnittenen Songs über sich hinausgehen und zeitlos werden lassen. Edith Piafs Stimme ist glänzend und scheinbar unverwüstlich wie neuer Stahl, umwerfend kraftvoll, aber an sich nicht wirklich verwundbar, menschlich oder sympathisch. Das Ausdrucksspektrum und die emotionale Intensität und spürbare Wahrhaftigkeit im Vortrag, die sich Piaf erst im Laufe der Jahre angeeignet hat, machen sie und ihre Songs erst unverwechselbar und unkopierbar, zu etwas wirklich Besonderem. Die Kontrolle, die sie auch dann noch über ihre Stimme hatte, wenn sie sie scheinbar verlor, ist beinahe beängstigend, auf jeden Fall aber bewundernswert. Edith Piaf ist so etwas wie die Lexikondefinition einer wahren Diva, denn eine solche zeichnet sich nicht nur durch Glanz und Überlegenheit aus, sondern auch durch Verletzlichkeit und Wahnsinn. In ihrem kurzen, aber ereignisreichen Leben hat es Edith Piaf vollbracht, gleichzeitig schillernde Lebefrau, menschgewordener Mythos und armes Würstchen zu sein, es als Künstlerin, als Verschmelzung von Zeitgeistkitsch und zeitloser Leidenschaft aber auch geschafft, weit über ihre 1,47m hinauszuwachsen. Jean Cocteau sagte einmal, dass jedesmal, wenn Edith Piaf singt, man meinen würde, sie würde sich endgültig die Seele aus dem Leib reißen. Bis heute konnte niemand eine treffendere Formulierung finden.