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Eine kurze Geschichte über eine Band, die sich nach einer kurzen Geschichte von J.G. Ballard benannt hat
Ähnlich wie bei The Chameleons ist die Laufbahn von The Comsat Angels eine mustergültige Fallstudie. Von den Kritikern wohlwollend bis euphorisch aufgenommen, können die ersten Alben nicht den erwarteten kommerziellen Erfolg erzielen. Labels lassen die Band fallen, die immer schon schwer greifbare Post-Punk-Bewegung löst sich auf, ein musikalischer Kurswechsel scheint unumgänglich. Die Hinwendung zum Helleren und zum Pop bringt nicht den gewünschten Erfolg und kostet die Band einen Teil ihrer künstlerischen Integrität. Hätten sie das nicht getan (bzw. hätten ihnen keine Produzenten ins Gewissen geredet), hätte sich vielleicht in der Retrospektive ein Mythos um sie bilden können. „My Mind’s Eye“ von 1992 brachte ihnen zumindest die Kritikergunst zurück. Als The Comsat Angels sich 1995 auflösen, ist es für einen würdevollen Abgang eigentlich schon zu spät.
Allein diese Fehlkalkulationen und widrigen äußeren Umstände waren der Grund für den ausbleibenden Erfolg von TCA. Im Zuge des Höhepunktes der Post-Punk- und New Wave-Bewegung hätte das Debüt „Waiting For A Miracle“ 1980 leicht ins Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit gespült werden können. Hört man es mehr als 30 Jahre nach Erstveröffentlichung, ist es aber auch ein Album, das es dem Hörer leicht macht, es zu unterschätzen. Man ist schnell dabei, es als solide, aber wenig besondere Spartenkost abzufertigen, und in der Tat ist es die größte Schwäche des Albums. Zwar offenbart WFAM eine so genaue wie sloganartig griffige Abbildung der damaligen Befindlichkeiten und des Zeitgeistes. In einem einigermaßen klar umrissenen musikalischen Bereich waren es aber immer eher die Abweichungen von der Norm, die eine Band ausmachten, und nicht ihr Fungieren als kleinster gemeinsamer Nenner. Dieser kleinste gemeinsame Nenner waren dabei im Falle TCA allerdings annähernd perfekt auf den Punkt gebrachte Songs, die die Definition einer im Grunde undefinierbaren Bewegung nicht nur in sich verinnerlicht hatten, sondern erst vervollständigten, sodass eigentlich keine weiteren Versuche mehr nötig waren. Der Opener „Missing in Action“ und der Titelsong waren solche Songs, vermittelten trotz immer präsenter Melancholie die Notwendigkeit ständiger Bewegung als Fußgänger im urbanen Berufsverkehr. „Independence Day“ könnte der bis heute bekannteste Song der Band sein und enthält vor allem eine Textzeile, die programmatisch, vorausschauend, verkürzt und treffend zugleich ist – „I can’t relax ‚cause I haven’t done a thing and I can’t do a thing ‚cause I can’t relax“.
„Waiting For A Miracle“ ist dabei aber, wie schon gesagt, ein Album, das nicht unterschätzt werden sollte, auch wenn es vordergründig dazu einlädt. Kratzt man an seiner Fassade, wird deutlich, dass das, was WFAM zu mehr macht als einem Album unter vielen, nicht (nur) in Instant Hits und stilistischen Oberflächenreizen besteht. Es ist das Zusammenwirken der Instrumente, das die strukturell meist eher simplen und durchschaubaren Songs nachhaltig spannend macht. In „Monkey Pilot“ arbeiten die einzelnen Instrumente gegeneinander, zerren das Stück auseinander, bis man sich einbildet, die Gelenke knacken zu hören. Hier kommt auch die ursprüngliche Jazz-Schulung des Drummers zur Geltung. Gleich danach kommt mit „Real Story“ ein Beweis dafür, dass diese Band auch zusammenarbeiten und sich in den Dienst einer einfachen Idee stellen kann. Wäre er nicht von dieser pessimistischen Schwere durchzogen, könnte man seine Stringenz und seinen zwingenden harmonischen Zusammenhalt als Ursprung dessen sehen, wie vor allem Mitte der 80er der Popsong gespielt und verstanden wurde. The Comsat Angels kamen nie dazu, sich in diesem Zusammenhang zu etablieren. Während das Keyboard bei „Real Story“ noch als zusammenhaltendes Element fungiert, stellt es sich in den anderen Stücken meist dem anrückenden Synth Pop-Futurismus entgegen und klingt nach entleibter Kirmesorgel; eher nach Geisterbahn als nach Blick in die Zukunft. Besonders schief und effektvoll eingesetzt in „Postcard“ – das lässt die Popsongstruktur auch mal sein und nimmt sich Zeit für den Aufbau von Spannung und Druck.
Stücke wie „Postcard“ hinterließen aber auch das Gefühl, als würde noch wesentlich mehr in der Band stecken, als sie auf „Waiting For A Miracle“ bereits zeigte. Die hier vermittelten Gefühle und Stimmungen, das langsame soziale Auseinanderdriften und die Entfremdung als Hintergrund alltäglichen Handelns und Seins, sind aber noch nicht bedrohlich. Die Band kann aus den beschriebenen Situationen noch nicht den ganz persönlichen existentiellen Horror schlussfolgern und erfahrbar machen, über weite Strecken fehlte der Eindruck der Exklusivität. Gerade mal ein Jahr später sollten The Comsat Angels alle Versprechen erfüllen und die Erwartungen sogar noch übertreffen.
http://www.youtube.com/watch?v=gQIib0ZWLOU
http://www.youtube.com/watch?v=mlnXQzr_nYk
http://www.youtube.com/watch?v=jbf3IKw5A04
(Youtube ist nicht sehr ergiebig in der Hinsicht…)
1981 ging die Band wieder ins Studio. Der Aufnahmeprozess sollte anders ablaufen als bei „Waiting For A Miracle“, man wollte sich nicht hetzen lassen, nicht bereits nach zehn Tagen fertig sein, keine vermeintlich kleinen Makel tolerieren. Um für „Sleep No More“ die passende klangliche Ummantelung zu finden und den erzielten Effekt zu erreichen, nahm man die Drums in der Nähe eines Fahrstuhl-Schachtes auf. Tatsächlich ist die Atmosphäre und Wirkung von „Sleep No More“ rückblickend vor allem seiner Produktion zu verdanken.
Noch beim Opener „Eye Dance“ ist nicht wirklich etwas von den neuen kompositorischen Möglichkeiten zu hören, die die Band sich durch das neue Klangbild und die neue Herangehensweise erschlossen hat. Der Song ist greifbar, eingängig, kerzengerade, hätte man aus diesem Album Singles ausgekoppelt, „Eye Dance“ wäre ein geeigneter Kandidat gewesen. Schon beim folgenden Stück, dem Titelsong, merkt man aber einen Bruch im Gefüge; die nunmehr eher flächigen Keyboards fixieren ihn im Schwebezustand, keine Sloganzeile und kein Refrain, um ihn herum nur leerer Raum. Die Gitarren zerschneiden im Folgenden die Stille, ihr Hall und ihr Näherkommen ist furchteinflößend und gespenstisch. Die ersten drei Songs sind dabei lediglich der Anfang eines Prozesses, bei dem sich The Comsat Angels ihrer neuen Stärken bewusst werden und sie einzusetzen lernen. Diese neue Art der Produktion lässt zwischen „Waiting For A Miracle“ und „Sleep No More“ einen Unterschied wie zwischen Warsaw und Joy Division entstehen, an deren Legendenstatus ebenfalls nicht zuletzt der Produzent, Martin Hannett, einen großen Anteil hatte. Nur wirkt „Unknown Pleasures“ im Vergleich zu „Sleep No More“ geradezu bescheiden.
Der so bewusste wie maßlose Einsatz von Hall ist es, der den eigentlich spartanisch arrangierten Songs ihre monumentale Größe verleiht. Er macht eine Leere und Finsternis erfahrbar, die so vernichtend, scheinbar so unbezwingbar ist, dass man unter ihr zusammenzubrechen droht. In ihr ist jeder Schlag auf die Drums, jedes Aufwallen der Musik der grelle Klang von Schüssen. Gitarre, Bass und Keyboard entfernen sich fast bis zum völligen Verschwinden und kommen dem Hörer im nächsten Moment viel näher, als ihm lieb sein kann. Der sonore, durchaus etwas weinerliche Gesang Steve Fellows‘ gibt der in dieser Umgebung entstehenden Angst eine Stimme. Die Band passt sich an, komponiert viele der Stücke so, dass sie keine Dynamik und keinen inneren Zusammenhalt mehr brauchen. In den besten Songs von „Sleep No More“ scheinen Lichtjahre zwischen den Tönen zu liegen, Raum und Zeit rinnen wie Wasser durch die gespreizten Finger des Hörers. Dies sind nun keine Rock- oder Popsongs mehr, dies sind Prozessionen. Das Album hat dabei keine Formel, nach der es komponiert wurde und funktionieren müsste. Es sind, so viel sie auch zur Grundstimmung beitragen, keine Drums nötig, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. Nur mit einem beständigen Pochen anstelle eines festen Rhythmusfundaments erzeugt „Restless“ das Gefühl unüberwindbaren Stillstandes. „Our Secret“ ist am Ende ein erschöpftes Schwenken der weißen Fahne und eine Rückkehr zum Bodenständigen mit gebrochenem Willen. „We will never give it up“, sing Fellows am Ende des Stücks – es klingt, als sei das Gegenteil des Gesagten gemeint.
Das Pathos und dieser beinahe sakrale Ernst mancher Songs dienen dabei nur dazu, wieder zum „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zurückzukommen.
Jede Band, die Ende der 70er und Anfang der 80er mit dem Begriff „Post-Punk“ in Verbindung gebracht wurde, wurde vor allem mit einem gewissen Lebensgefühl, einem gewissen Zeitgeist in Verbindung gebracht – aus diesen ist die gesamte Bewegung erst entstanden. Das ständige, langsame Auseinanderdriften und sich Entfernen von Beruf, sozialem Umfeld, dem eigenen Leben und der eigenen Person, die dreckigen Seiten von Englands Großstädten und der Würgegriff seiner Eisernen Lady Margaret Thatcher sowie der ständige kühle Atem des Kalten Krieges im Nacken waren das gemeinsame Fundament vieler Bands aus diesem Zeitraum und geographischem Umfeld. Manche spielten damit, ironisierten, waren der zynische Witz, über den die Angesprochenen trotzdem lachten. Manche entfernten sich, abstrahierten. Manche flohen Richtung von expressiver Schminke und Showeffekten. Bei manchen klang das Ganze immer noch recht genau beobachtet, aber nicht so schlimm, dass man nicht mehr dazu tanzen könnte. Den Mut, das Popformat als Kommunikationsform aufzugeben, und die Fähigkeit, dabei nicht das Konkrete aus den Augen zu verlieren, hatten nicht viele. The Comsat Angels hatten zumindest ein Album lang beides und schenkten der Sparte damit eines ihrer besten Alben. Aus dem vorher beschriebenen Zeitgeist schloss die Band hier nicht weniger als die Apokalypse. „Sleep No More“ ist ein einziger Abgesang. Auf Liebe, Gesellschaft, Leben, sich selbst, alles. Seine Botschaft wurde selten bis nie derart zugespitzt, mit einer solchen Unerbittlichkeit und Unhintergehbarkeit vorgetragen. „No success, no release“ heißt es in „Dark Parade“, dem beeindruckendsten Song von „Sleep No More“. Er hätte die Hymne einer ganzen Bewegung werden können, wäre er genug Leuten aufgefallen.
http://www.youtube.com/watch?v=xWhMjqKQN64
http://www.youtube.com/watch?v=lXaRtJSB8Eg
http://www.youtube.com/watch?v=lGQustt-jUw
Auf dem Folgealbum „Fiction“ schien es nun, als hätte die Band Angst vor der eigenen Courage bekommen, es in der Klangwelt, die sie selbst aufgebaut hat, nicht mehr ausgehalten. Fellows selbst gab Jahre später in Interview zu, von der Düsternis und der existentialistischen Dringlichkeit von „Sleep No More“ regelrecht erschrocken zu sein. Entsprechend heißt es im Opener von „Fiction“: „…the sky will clear again after the rain“. Das Album hält an der Melancholie fest, hat aber eine hellere, weniger unwirtliche Stimmung als sein Vorgänger. Es sind einige durchaus bemerkenswerte Sogs darauf enthalten. Im Vergleich mit „Sleep No More“ wirken sie wie Benny Hill-Musik.
PS: Ich mag es nicht, dem Forum Musik nahezulegen, die nicht mehr ohne Weiteres erhältlich ist…aber die meisten Alben der Band, so auch die hier vorgestellten, sind zumindest als CDs out of print. Was Vinyl angeht, könnte man noch Glück haben.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]