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Eine kurze Geschichte über das größte Album von Converge
Man kennt das ja: Die Zeit ist der saure Regen auf den Marmordenkmälern der Erinnerung. Die Schönheit des Eindrucks verblasst, die Formen bleiben erahnbar. Jahre später versucht man vielleicht, den alten Zauber zu rekonstruieren, und muss ernüchtert feststellen, dass es nicht funktioniert. Was damals beeindruckte und nachhaltig beeinflusste, klingt nun überholt, wie ein Relikt, man ist dem Ganzen entwachsen. Converge konnten sich mit „Jane Doe“ diesem Lauf der Dinge in meiner Wahrnehmung erfolgreich widersetzen, auch wenn die Umstände meines Erstkontakts mit der Band im Grunde allesamt dagegen sprechen.
Als ich vor nunmehr über fünf Jahren das erste Mal den Namen Converge aufschnappte und beschloss, eine Wissenslücke zu schließen, hörte ich keine Musik, die ich als extrem empfand. Ich wusste mit dem Begriff nicht umzugehen, insofern, als dass er meinen damaligen musikalischen Präferenzen nicht entsprach und zu deren Beschreibung nicht gebraucht wurde; ich hatte viel über die Band gelesen, wusste aber nicht, worauf ich mich einlasse. Mein Verhältnis zu musikalischen Extremen ist heute ein anderes, ich suche und schätze sie. Ohne Converge wäre es möglicherweise nicht so weit gekommen. Mit „Jane Doe“ zerrte die Band mich aus meinem kleinen, warmen Zimmer und warf mich in eine Umgebung, die lebensgefährlich, wenn nicht gar lebensfeindlich war. Überall explodieren Splitterbomben, es hagelt Glasscherben. Menschen flüchten aus zerbombten Häuserruinen. Blutgeruch mischt sich mit Staubpartikeln. Musikalische Bestandteile? Hardcore; moderner, tendenziell chaotischer, Screamo, Grind, Slayer-Riffs, Noiserock. Rasend und schleppend, vertrackt und kerzengerade, zerrissen und zielgerichtet, reißend, zerrend, brennend. All diese Versatzstücke werden an den Beinen an ein Rennauto gebunden, welches eine Dreiviertelstunde lang mit 200 km/h über kaputten, rissigen Asphalt fährt. Kurt Ballous veredelnde Produktion ist durchzogen von kreischendem Feedback und ätzendem Lärm, aber man merkt zu jeder Sekunde die dahinterstehende Sorgfalt. Das hier ist zu wichtig, um es in einer Garage einzutrümmern und es dabei zu belassen.
Der Krieg, der bei Converge ausgetragen wird, ist jedoch kein Krieg im eigentlichen Wortsinne; es ist ein persönlicher Krieg, der Schauplatz ist das eigene Bewusstsein. Die transportierte Verzweiflung ist etwas, was einen sprichwörtlich von innen zerreißt, die blanke, entfesselte Wut entzieht sich jeglicher Kontrolle, das Herz pocht vor wilder, unbändiger Angst, als hielte jemand einem eine entsicherte Pistole an die Stirn. Man fragt sich als Hörer unweigerlich, wie eine Band so etwas aushält. Wie rostige Wurfsterne in den Blutbahnen fühlt sich das an. Natürlich braucht man Schmerzen, um sich seiner Existenz zu vergegenwärtigen. All die Zerstörungswut und die Tobsucht und die Hysterie, all das spritzende Blut und die berstenden Knochen, all das Schreien und um sich Schlagen können jedoch als bloße, nackte Ohnmacht dechiffriert werden. „Jane Doe“ ist eines der größten Monumente menschlicher Ohnmacht, die jemals errichtet wurden. Deswegen sind die eindrucksvollsten Momente des Albums die, in denen sich Ohnmacht in ihrer reinsten Form offenbart; in „The Broken Vow“, „Phoenix In Flight“ und vor allem dem Titelsong. In diesen Songs wird deutlich, wie die letzten Kräfte den geschundenen Körper verlassen, der Klargesang ist ein Flehen nach Gnade. Hier findet sich das Lyrische und Ästhetische in Ohnmacht und Scheitern. Der in Flammen stehende Jacob Bannon kreischt dazu Texte heraus, die pure Poesie sind, und bringt die Idee von Converge zur Vollendung.
Der einfachste weitere Weg, der sich aus diesen Umständen ergibt, ist der Nihilismus, und genau an dieser Abzweigung zwischen der breiten, geraden, kurzen Straße und dem Weg durch dichten Dschungel wird die Materialansammlung von Converge endgültig zur Kunst. Im epochalen Titelstück schneiden sich Tausende von Klingen ins Fleisch, eine langsam kriechende Lawine aus ineinander verschanztem Metall begräbt den Hörer und die Welt – seine Welt – unter sich. Das hier soll nun der endgültig letzte Atemzug von allem sein, ein Ende so unhintergehbar, dass danach eigentlich stundenlang nur Stille sein dürfte. Nichts geht mehr. Im großangelegten Schlusspart, der das Unmögliche vollbringt und nochmal einen draufsetzt, erstreckt sich der blutige Arm des letzten lebenden Menschen aus den Bergen aus scharfem, tödlichem Schutt, er greift ins Leere, über ihn gleiten vereinzelte Sonnenstrahlen aus sich lichtenden Staubwolken. Dieser letzte Mensch greift nach den heißen, blutigen Stümpfen der abgehackten Glieder des Lebens. Die verzweifelte letzte Hoffnung von Converge versucht nicht, die Verlorenheit und Aussichtslosigkeit von allem zu ignorieren, sie entsteht daraus. Ein sich aus einer Lawine von Metallschrott erstreckender Arm ist die deutlichste, spektakulärste Absage, die man an den Nihilismus machen kann. Das ist bestmögliches Pathos, meine lieben Freunde, das ist wahre Schönheit.
Die (allgemeine, vor allem aber persönliche) Bedeutung dieses Albums verlangt im Fazit nach Superlativen, also: Ein besseres Album wird im Sektor des modernen Hardcore/Noise-/Chaoscore nicht mehr veröffentlicht werden. Wobei, wird die Zubilligung einer Ausnahmestellung in irgendeiner musikalischen Nische diesem Meisterwerk wahrhaftig extremer und extrem wahrhaftiger Musik denn gerecht? Neuer Versuch: „Jane Doe“ ist eines der wichtigsten Alben meines Lebens.
http://www.youtube.com/watch?v=Go8KMq_WjLI
http://www.youtube.com/watch?v=XoOLem3QYP4
http://www.youtube.com/watch?v=pE-rtSSY2GQ
http://www.youtube.com/watch?v=3YR9Bspqbps
I want out
Out of every ackward day
Out of every tongue tied loss
I want out
Out of the burdening nightsweats
Out of the rising seas of blood
Lost in you like saturday nights
Searching the streets with bedroom eyes
Just dying to be saved
Run on girl, run on
PS: Kam natürlich wieder alles anders als geplant, aber darum geht’s in diesem Thread ja.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]