Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

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Dancing Mad God

Registriert seit: 22.03.2011

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Da ja vor einiger Zeit nach Gastbeiträgen gerufen wurde und mir der Abschluss meiner letzten Klausur jeden Vorwand geraubt hat, dieses lange geplante Review weiter hinauszuschieben, habe ich mal ein paar Zeilen verfasst und poste sie hier, die freundliche Erlaubnis der Thread-Besitzer voraussetzend

Plebeian Grandstand – How Hate Is Hard To Define

Gestolpert bin ich über Plebeian Grandstand, weil sie als eine chaotischere Version von Celeste mit noch harscheren Vocals angepriesen wurden. Da ich zu dieser Zeit an düsterer, Hardcore-verwandter Musik wie der von Celeste, sagen wir, milde interessiert war, habe ich spontan mal reingehört. Und es tat sich ein Abgrund Klang-gewordener Verzweiflung vor mir auf, wie ich ihn in dieser Form noch nicht erlebt hatte.

So wenig wie der Celeste-Vergleich kann auch das bedrohlich vor sich hindröhnende Intro auf das vorbereiten, was danach folgt. Das weniger als drei Minuten lange „Ordo Ab Chao“ ist gleich einer der schwerstverdaulichen Brocken des Albums. Plebeian Grandstand überrumpeln den Hörer nicht, sie fallen ihn mit chaotischen Riffs, undurchschaubaren Rhythmen und einem an Wahnsinn und Hysterie kaum zu übertreffenden Gekeife regelrecht an wie eine tollwütige Bestie.
Auch das folgende „Nice Days Are Weak“ verspricht erstmal nicht viel zugänglicher zu werden, braucht es doch diverse Durchläufe, bis die manischen Instrument-Misshandlungen Furchen ins Gedächtnis des Hörers gegraben haben und ihm offenbaren, dass sie nicht ganz so strukturlos sind, wie es den Anschein hat. Auch schleicht sich hier bereits nicht ganz unmelodisches Gitarrenspiel in das Chaos und den Lärm (zu dem übrigens der fantastische Drummer einen wichtigen Teil beiträgt), dem in „Nice Days Are Weak“ allerdings noch kein Raum zur Entfaltung gegeben wird. Vielmehr fault die Melodie hier vor sich in wie eine Wunde unter schmutzigem Schorf, der keine endgültige Heilung gegönnt ist.
Im Übrigen prügeln sich Plebeian Grandstand mitnichten durch alle ihre Songs, im Gegenteil haben viele der perfidesten und aufreibendsten Momente der Franzosen ihren Ursprung in den schleppenden Passagen, wie sie z.B. in „Mein Kopf ist meine Heimat“ eine wichtige Rolle spielen. Das gedrückte Tempo hier hat nichts mit der dramatischen Erhabenheit zu tun, die zumeist im Doom Metal vorherrscht. Vielmehr fühlt man sich nackt, auf einer Rutsche aus Sandpapier gefangen und vom eigenen, unermesslich schwer gewordenen Körpergewicht unerbittlich nach unten gezogen, sodass man blutig gescheuert einem unergründlichen Abgrund entgegensinkt.
Schließlich folgt mit „Easy To Hate / Hard To Define“ so etwas wie das Herzstück des Albums, obwohl es nicht den längsten Song darstellt. Der Anfang ist einmal mehr zerfahren und anstrengend, allerdings bietet der weitere Verlauf des Songs in stärkerem Maße als bislang nachvollziehbare Gitarrenriffs und straighte Rhythmen, die einen Zugang nicht unmöglich scheinen lassen. Wenn die Band schließlich zum Finale ansetzt, bricht eine Melodie aus dem Song hervor wie frisches Blut, das Eiter und Dreck aus dem Körper spült. Hat man sich zuvor auf die Musik eingelassen, ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die Fingernägel in die eigenen Arme bohren und Emotionen den Verstand überfluten. Wenn Sänger Adrien zu diesen Klängen seine verzweifelten Zeilen herauskreischt, scheinen sich Selbsthass und Verzweiflung so stark zu verdichten, dass die Musik implodiert und zu einem schwarzen Loch aus noch schwärzeren Gefühlen wird, das den Hörer unweigerlich ins Verderben reißt.
Denn, soviel ist sicher, Plebeian Grandstand ist keine Band, der es primär auf die stolze Präsentation ihrer herausragenden Technik ankommt (obwohl eine solche sicherlich vonnöten ist, um solche Musik zu spielen). Vielmehr sind Chaos und manisches Geriffe das Medium, mit der sie ihre fast unerträglich intensive Emotionalität transportieren. Es wirkt kaum, als wäre diese Spielweise eine bewusste Entscheidung gewesen, sondern als sei sie einer unentrinnbaren Notwendigkeit entsprungen, die nichts anderes als diesen Ausdruck zugelassen hat.
Diesen Eindruck erhalten auch „Don’t Expect Much From The Wold’s End“ mit seiner ganz eigenen Dynamik und abermals atemberaubenden Vocals sowie das abschließende Pärchen „Are You Angry?“; „[…] Or Boring?“ aufrecht. Dessen erste Hälfte konzentriert sich auf die rasende Seite der Band, während die zweite den erschöpften Hörer schleppend und unbequem in eine farblos und verzerrt wirkende Welt entlässt.

Ich müsste dreist lügen, um zu behaupten, dass der Zugang zu Plebeian Grandstands Musik leicht fällt – doch ich müsste noch dreister lügen, um abzustreiten, dass es sich absolut lohnt. Mir hat dieses Album, wie eingangs erwähnt, eine ganz neue Welt eröffnet. Es war mir schlicht nicht bewusst (noch hätte ich es mir vorstellen können), dass man solche Emotionen mit diesen musikalischen Mitteln ausdrücken und welche unwiderstehliche Gewalt solch ein Ausdruck annehmen kann.
Wer sich also von der Beschreibung dieses musikalischen Horrortrips nicht abgestoßen fühlt, sollte vielleicht versuchen, sich durch den akustischen „Granitpanzer“ (wie es an anderer Stelle genannt wurde) zu kämpfen – und sei es mit bloßen, blutüberströmten Fäusten.

http://www.youtube.com/watch?v=ZfHo-7Fkgr0&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=LYlsdUCVGYU
http://www.youtube.com/watch?v=KcaS_uE7OY8&feature=related

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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]