Re: Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)

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palez

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(Im (vor)vorletzten Absatz geht es um die Musik.)

Gestern habe ich mir bei einem großen Elektronikfachhändler „Born To Die“, das quasi-Debütalbum einer gewissen Elizabeth Grant alias Lana Del Rey, auf CD gekauft. Während ich diesen Satz schrieb, kam mir das, was ich getan habe, wahnsinnig unzeitgemäß vor. Wieso lag es nicht schon Monate vor Veröffentlichung in irgendeinem Ordner auf dem zugemüllten Desktop herum? Wieso habe ich mir nicht gleich die LP gekauft, irgendwo in der Stadt hätte es sie bestimmt auch gegeben, bestellt notfalls? Es ist doch wirklich egal, ob ich überhaupt einen Plattenspieler besitze. Ist das, was ich getan habe, schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden? Die meisten Songs kannte ich, bevor ich für mein Exemplar an der Kasse bezahlt hatte, das Album lief beim großen Elektronikfachhändler – vermutlich – auf Dauerrotation. Kein guter Moment, um hinzuhören, diese luxuriös produzierte Popmusik ist nicht eben geeignet als rauschendes und von Gesprächsfetzen übertöntes Hintergrundgeräusch in Einkaufszentren. Als ich mich mit der CD in der Hand durch Menschen nach draußen schlängelte, die alle größer und massiger waren als ich, trat mir irgendeine hochtoupierte Schlampe mit ihren Pfennigabsätzen auf den Fuß.

Mein Erstkontakt mit Lana Del Rey fand irgendwo zwischen Hype und Erfolg statt, was mitnichten das Selbe ist. „Video Games“ brauchte seine schönen und inhaltsleeren Bilder nicht, um mich zu verzaubern. Alles, was ich über Del Rey bis dahin gelesen hatte, hatte ich beim Hören bereits vergessen. Der Song brauchte aber auch kein Image, er stand ganz und gar für sich und ist, wie ich jetzt erkenne, größer als seine Komponistin. Im positivsten Sinne könnte ihn jede gesungen haben. Wirklich jede? Natürlich ist die Stimme wichtig, die tiefe weibliche Elvisstimme, deren verführerische Mühelosigkeit und Verschlafenheit die Streicher, Klaviertupfer und Glockenschläge in „Video Games“ davor bewahrt, die Spannung zugunsten eines American Idol-Moments aufzugeben. Das kann nicht eben jede, vor allem hat in etwa keine der sogenannten heutigen „Souldiven“ die Dezenz und das Selbstbewusstsein, sich so zurückzunehmen. Der beste Torchsong seit vielen Jahren.

Erst habe ich mich gefreut und lauter gedreht, wenn „Video Games“ oder „Born To Die“ im Radio oder Musikfernsehen kamen. (Ist es nicht wahnsinnig unzeitgemäß, das zu konsumieren? Ist es schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden?) Dann nahm ich mir vor, wegzuschalten, damit die Songs nicht von der Bezugslosigkeit der öffentlichen Wahrnehmung gefressen werden. Während ich dies schreibe, wird mir klar, dass es mir egal sein sollte. Es gibt noch genug, über das ich schreiben könnte.

Das ist doch das, was ich wollte, oder? Dass Lana Del Rey den toten Raten in meinem Kopf einen Stromschlag verpasst. Was ich las, sah, hörte, versprach viel: Glamour, Tragik, Subtext. Lana Del Rey entlarvt die Selbstinszenierung von Lady Gaga (spätestens) seit „Born This Way“ als konzeptlose Reizüberflutung. Hier ist ein bisschen von der Femme Fatale der kriegsgebeutelten amerikanischen 1940er dabei, mit der ich durch ARTEs Film Noir-Offensive der letzten Wochen Bekanntschaft machen durfte. Wieso richte ich meine montägliche Abendplanung überhaupt noch auf synchronisierte Filme im Fernsehprogramm aus? Ist das schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden? Auf den sonnenlichtdurchfluteten Bildern wirkt sie wie eine Mischung aus Pin Up-Girl und Hausfrau aus den goldenen und einfachen Jahren vor Studentenprotesten und Vietnam und New Hollywood. Alles ist idyllisch und vergangen und unzweifelhaft schön, sobald es durch den rauschenden Filter in ihren DIY-Videos gelaufen ist, egal, wie alt die Ausschnitte sind. Dann gibt es von ihr aber auch die Bilder ohne Weichzeichner und die Webcam-Aufnahmen und Hip Hop-Einflüsse und kaputte alte Autos und Goldkettchen und böse tätowierte Typen. Es gibt die Geschichten von einer Jugend in heruntergekommenen Trailerparks, die natürlich nur Geschichten sind, und die misslungenen Lippen, von denen Del Rey behauptet, sie seien echt. Der Amerikanische Traum ist hier nicht nur Regressionsfantasie und durchschaubarster Eskapismus, die Schattenseiten und die vermeintliche Realität, nämlich, dass er vorbei ist und es keinen Weg dorthin zurück gibt, außer durch Archivaufnahmen, werden genauso sorgsam inszeniert. Und natürlich darf sich die Postmoderne selbst auf die Schulter klopfen für das schöne Geschöpf, das sie hier hervorgebracht hat. Lana Del Rey ist Cut-Up, Zitat, Pose, zumindest sähen sie gewisse Rezipientenschichten gerne so, sie ist ein popkultureller Wiedergänger, von dessen Erscheinung sich die Akteure dieser Popkultur durchaus geschmeichelt fühlen dürfen.

andysocialfinde sie sieht nach wachs aus. was ja nicht schlecht sein muss.

Natürlich ist Lana Del Rey sexy, sie ist dies auf eine größtmöglich vulgäre und beleidigende Art und Weise. Wenn ich mir die Promobilder ansehe, frage ich mich, ob man Botox in den Lippen eigentlich fühlen kann. Ich frage mich, ob man aus der Nähe die Stellen sehen würde, an denen die künstlichen Fächerwimpern auf die Lider aufgeklebt wurden. Ich frage mich, ob sich das Puder in feinen Fältchen und Poren in ihrem Gesicht sammelt. Hat Lana Del Rey überhaupt Poren? Hat sie feine blonde Härchen auf den Armen, die sich bei Berührungen aufstellen? Ich würde gerne ihre großzügig gelockten Haare zur Seite legen und ihr in den Nacken oder in die Wange beißen, aber ich denke dabei immer, meine Zähne würden sich in Wachs bohren, das schnell schmelzen würde unter Scheinwerferlicht.

Es schmolz spätestens unter dem Scheinwerferlicht bei Saturday Night Live, als Del Rey unsicher auf der Bühne stakste und mit falschen Tönen und unglücklichen Phrasierungen bewies, dass es doch etwas gibt, was „Video Games“ für den Moment entmystifizieren kann. Nichts war von der Verführungskunst zu spüren, die man vom Namen Lana Del Rey erwartet, die Bewegungen waren von einer quälenden Unsicherheit. Del Rey muss gewusst haben, wie sehr alles in diesen wenigen Minuten schief ging, in jedem folternden Moment, aber ganz besonders am Ende, wenn sie mit einem fahlen, scheuen Lächeln nach unten blickt. Der Shitstorm fing in Ansätzen schon davor an, erste Zweifel erst recht.

Im ersten Moment fragte ich mich ja, wogegen sich nun Blogger bis Feuilletonisten so entschieden wehren. Haben die das nicht alles schon vorher gewusst? Dass die Lippen aufgespritzt, sieht man doch, und dass Frau Del Rey zunächst widerspricht, ist doch auch vollkommen richtig so, alles andere würde gegen die Höflichkeitskonvention des Showbiz verstoßen. Dass das kein Indie oder „Sadcore“ (wer kam da überhaupt drauf und wieso haben das dann fast alle abgeschrieben?) ist, hört und weiß man doch auch, was bitte soll man denn auch erwarten, wenn sich die Produzenten von Robbie Williams und Cheryl Cole der Dame annehmen. Die zerwühlten Hotelzimmer sind harmlose Dekoration, wer die ausgedachte Biographie so bereitwillig aufgenommen und verbreitet hat, ist auch noch nicht klar. Lana Del Rey ist nicht authentisch! You don’t say!

Haben wir das nicht wissend in Kauf genommen? Pop ist schön und sorglos, vor allem ist Pop aber auch eine Lüge, das weiß man, nur deswegen ist Pop so wichtig und faszinierend. Haben wir uns nicht deswegen in Lana Del Rey verliebt? Dafür, dass sie eine Lüge ist und uns auch noch die Lüge selbst verkauft, die Lüge, die im Kunstwerk mit einbegriffen ist. Authentizität ist was für Metaller, Kunst ist größer als die Wirklichkeit. Hier kann man sich wissend ab- oder zuwenden, hier kann man mitspielen, hier kann man Essays drüber schreiben. Lana Del Rey ist ein Parkett für Selbstinszenierung. Und was tut der gemeine Hipster lieber als das? Diese White Trash-Hollywood-Barbie lässt sich wunderbar zu Tode analysieren, hier ist ein Popstarproduktdings für Leute, die alles benennen können und nichts verstanden haben. Ein pink umrahmter Spiegel für die tägliche Dosis Selbsterkenntnis und -verachtung, nicht zuletzt ein Spielzeug für alle, die gerne etwas Schönes zerstören.

Nun sind diese bloggenden, feministisch oder kulturpolitisch oder sonstwie aufgezogene Essays verfassenden Hipster im Kern vermutlich aber doch versprengte und unsichere Wesen, die sich am meisten nach dem sehnen, über das sie sich lustig machen. Wahrscheinlich wären sie jetzt gerne wieder in einer großen Welt für alle, ohne Internet, dafür mit Popstars, einfachen Herrschafts- und Hierarchiebedingungen im Showbiz, wo das Publikum sich nicht immer in Grüppchen von den anderen Grüppchen isolieren kann und manchmal aus dem gemeinsamen Futtertrog fressen muss. Notwendigerweise ist der selbstreflexive Hipster sein eigenes Feindbild, denn er treibt mit seiner eigenen Nostalgie und ironisierenden Zweckentfremdung das eigene kulturelle Zeitalter weiter voran und entfernt sich dadurch natürlich immer mehr vom Sehnsuchtsobjekt. Und natürlich hasst der Hipster dadurch alles, was er liebt und was auf ihn zugeschnitten ist. Lana Del Rey ist auf ihn zugeschnitten. Und sie hat noch nicht einmal den Anstand, wenigstens nur dem Hipster zu gehören, denn die wasserstoffgebleichte Mandy aus der Plattenbausiedlung bewirbt sich bestimmt auch schon mit „Video Games“ bei DSDS. Vor allem aber funktioniert sie nicht mal richtig. Die Live-Situation ist den Fernsehauftritten zufolge (zumindest die kenne ich alle nur von Youtube) zu viel für sie, nicht nur bei Saturday Night Live konnte sie die eigenen Songs nicht meistern. Mit diesem Scheitern bricht Lana Del Rey das größte Versprechen gegenüber dem Publikum, das sie brechen konnte. Sie ist kein Gesamtkunstwerk, sondern ein Mensch, ein Mensch, der manchmal überfordert ist und Fehler macht und wahr und wirklich ist und wahrscheinlich Poren und feine blonde Härchen auf den Armen hat. Das und nicht der schlechte Gesang war das eigentlich Unverzeihliche an ihrem Auftritt.

http://www.youtube.com/watch?v=D2AUmNToMVk

Mehrere Dinge sind an der gegenwärtigen Situation bizarr. Erstens fanden (vermeintlicher) Aufstieg und (vermeintlicher) Fall der Lana Del Rey innerhalb weniger Monate und sogar noch vor der Veröffentlichung des Debütalbums statt. Zweitens kommt mir das alles während des Schreibens schon unheimlich vergangen und unwirklich vor. Diese mediale Tragödie, die lange vor Lana Del Rey zur amerikanischen Folklore geworden ist, ist irgendwann auch tot und leer und nicht so wichtig. Sie wird zu einem weiteren Mosaiksteinchen in einem Bild, das weit über die Kontrolle von Del Rey und ihren Produzenten und Imageberatern hinausgeht. Drittens bin ich bisher kaum wirklich auf die Musik eingegangen. Das liegt daran, dass auch sie lediglich ein weiteres Mosaiksteinchen ist.

Selten hatte ich so sehr das Gefühl, ein unpersönliches Massenanfertigungsprodukt in den Händen zu halten, wie gestern, als ich mit der CD in der Hand den Elektronikfachhändler verlassen hatte und mich im riesigen Einkaufskomplex auf eine Bank setzte. Die Musik an sich erzählt nur einen geringen Teil davon, was mich dazu bringt, mich für Lana Del Rey zu interessieren, das ist wahrscheinlich das größte Problem von „Born To Die“. Das gesamte Mysterium kann man leider nicht kaufen, nicht einmal ein sonderlich bedeutungsvoll anmutendes Souvenir. Wenn man das ausblendet, ist sie eigentlich sehr in Ordnung, auch wenn sie sich nach „Video Games“ als Venusfliegenfalle herausstellt. Ein stilistisch ähnlicher Song findet sich auf BTD nicht, statt Glockenschlägen bestimmen Beats den Puls der Songs, die zwischen laszivem Trip Hop und breitbeinigen Hip Hop-Einflüssen pendeln. Das Kammermusikalische tritt denn auch hinter die imagehörige Produzentenmusik zurück, die aber gar nicht so retro klingt, wie die Interpretin aussieht. Lediglich gefühlt die Hälfte der Spielzeit singt Lana Del Rey mit der voluminösen, tiefen Stimme, die sie berühmt gemacht hat, oft schlägt sie um in vergifteten, hauchenden Mädchengesang, der von einer vollkommen anderen Person zu kommen scheint. Stört nicht weiter, solange Hits entstehen, und von den ersten fünf Songs tut sich „Off To The Races“ in der Hinsicht am meisten hervor. Hier übertreibt man am meisten und lustvollsten, es ist prollige Feindbildmusik, hat einen unwiderstehlichen Drive und man kann wunderbar dazu tanzen.

Merklich schlechter als die ersten fünf werden die folgenden Songs auch nicht, es ist nur immer dieselbe ermüdende Leier, die Lana Del Rey auf ihnen durchzieht, und das ist das zweite große Problem auf „Born To Die“. In keinem der Songs geht es um mehr als böse Kerle, Amour Fou und die Femme Fatale, die die Songs vorträgt. Lana Del Rey beschreibt Szenen, deren kulturellen Ursprung man zurückverfolgen kann, die in dieser Aufführung aber leere Hüllen der Gefühle von gestern sind. Ihr regressives, aber wohl keiner Meinung, sondern nur der Ästhetik dienendes Frauenbild präsentiert sie dabei mit einer erstaunlichen Konsequenz. Ich dachte, nur Männer – oder: nur andere – könnten über jemanden in einer so objektivierenden Weise erzählen und diesen Menschen so passiv machen. Obwohl Lana Del Rey aus der Ich-Perspektive singt, kann sie das sogar fast besser. Auf ihren Songs hat sie selten mal so etwas wie eine Persönlichkeit. Das ist beinahe bewundernswert.

Keine Ahnung, wie es mit Lana Del Rey weitergeht. Vielleicht ist auf dem nächsten Album, falls es kommt, alles anders. Bis dahin: 7,5/10

http://www.youtube.com/watch?v=odhmYrjObXY