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Keine Ahnung, ob ich die Idee morgen auch noch gut finde, aber ich stelle euch mal meine Top 3 vor.
3. Taxi Driver (1976)
Travis Bickle (verblüffend: Robert De Niro) ist 26 Jahre alt. Er verfügt weder über eine herausragende schulische Bildung noch über Ansätze von – oder Chancen auf – außergewöhnlichen beruflichen Erfolg. Er ist ein Ex-Marine. Regisseur Martin Scorsese und Drehbuchautor Paul Schrader gehen nicht weiter darauf ein, wie viel seine Vietnam-Vergangenheit mit Travis‘ Verfassung in der Filmgegenwart zu tun hat. Vermutlich kam es ihnen darauf nicht an. Travis leidet an Insomnie. Er geht nachts deshalb in Pornokinos, um sich von den Filmen zermürben und ermüden zu lassen. Letzteres funktioniert nicht. Er nimmt einen Job als Taxifahrer an. Er ist bereit, jederzeit, an jedem Ort zu arbeiten. Ihm werden deshalb meist die Nachtschichten und die Aufträge in den besonders dreckigen und gefährlichen Gegenden New Yorks zugeteilt. Weil er das macht, wozu sich sonst niemand herablässt, hat er einen sicheren Arbeitsplatz vor dem Hintergrund der Rezession und verdient möglicherweise relativ viel Geld. Es ist ihm nicht wichtig, weil es zunächst nichts gibt, was ihn interessiert.
Travis Bickle ist der titelgebende Hauptcharakter des Films. Manchmal ist er gefühlt der einzige. Wenige Szenen wurden nicht aus seiner Sicht erzählt. Ultraverlangsamte Kamerafahrten halten den ersten Auftritt der Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd) fest als das Erscheinen eines Engels, beobachten eine Gruppe afroamerikanischer Kneipenbesucher mit diffuser Abscheu. Travis ist der Mittelpunkt seiner Welt aus Mangel an Alternativen. Er sucht nach ihnen. Wie ein ferner Satellit kreis er um die Menschen und die Leben im nächtlichen New York, sie steigen ein und wieder aus und hinterlassen Blut- und Spermaflecken. Er ist immer ganz kurz dabei und nie beteiligt. „You talkin‘ to me? Well I’m the only one here.“ Selten wird der zweite Satz zitiert.
Travis Bickle ist ein Kind. Er ist aber auch ein junger Mann mitten in der Phase der Adoleszenz und ein verbitterter Greis, doch nie ist er erwachsen. Die Stadt und ihre Einwohner machen ihn krank, und um die Krankheit und den Ekel nicht im Körper und Geist behalten zu müssen, speit er sie aus über der Stadt und ihren Einwohnern in Wellen aus Überlegenheitsgefühl und Weltschmerz. Natürlich ist das alles ihre Schuld, die Schuld dieser verkommenen und amoralischen Menschen aus diesem Moloch namens New York, Drogenhandel und Gewalt und Prostitution haben Travis dazu gemacht, was er ist. Er hat sich ihnen selbst und freiwillig ausgesetzt, aber vielleicht nicht aus Gleichgültigkeit und bloßem Pragmatismus, vielleicht mit einer Hoffnung, die letztendlich enttäuscht werden musste. Travis ist nämlich ein durchaus sehr freundlicher Zeitgenosse, etwas altmodisch, aber mit den besten Absichten. Und es gibt sie ja auch, die Menschen (bevorzugt Frauen/Mädchen), die Travis‘ Welt kurz tangieren und für die er sich mehr interessiert als für andere, bei weitem mehr, die er in seine Welt aufnehmen oder denen er helfen will. Es funktioniert nicht, und auch das in einer Weise, die die Frauen und Mädchen ins Abseits stellt.
Der ehrliche und direkte Travis hat keinen Sinn für die ironischen Oberflächlichkeiten, aus denen die Kommunikation zwischen Betsy und ihren Kollegen besteht, er stößt die schöne Betsy ab mit seiner völlig irrationalen, unverborgenen Zuneigung und fasziniert sie damit. Der an Insomnie leidende Travis hat aber auch keinen Sinn dafür, was sich bei einem Date schickt und was nicht, und führt Betty in ein Pornokino. Nun hat die kultivierte Betsy aber leider keinen Humor, und die Kris Kristofferson-Platte gibt sie ihm auch zurück. Bei der minderjährigen Prostituierten Iris (Jodie Foster in ihrer ersten großen Filmrolle) scheint die Lage eindeutiger. Sie steigt in Travis‘ Auto, will von ihm weggefahren werden, egal wohin, und wird von Zuhälter „Sport“ (Harvey Keitel) wieder hinausgezerrt. Das Mädchen freundet sich zumindest mit Travis an, es braucht Hilfe, auch wenn es sie nach dem ersten Aufeinandertreffen bis zuletzt ablehnt, aber das Mädchen ist ja auch klein und dumm. Sinnsuchend wendet sich Travis an den Taxifahrer-Kollegen Wizard (Peter Boyle), seine leeren Floskeln bestätigen aber bloß, dass es keinen Sinn gibt.
Travis Bickle ist ein sympathischer junger Mann, doch irgendwann, und man kann den Zeitpunkt kaum festsetzen, hört er auf, einer zu sein. Für alle, die sich eingebildet haben, sich mit dem Hauptcharakter von „Taxi Driver“ identifizieren zu können, kommt irgendwann dieser unangenehme Moment, in dem man sich von Travis lösen muss, in dem man seinen Gedanken und Taten nicht mehr folgen und zustimmen kann. Travis kauft sich Pistolen auf dem Schwarzmarkt, anfangs vielleicht nur, um sie zu haben. Er trainiert wie besessen, sein sehnig und muskulös werdender Körper scheint dennoch keine zusätzliche Masse anzusetzen. Er stählt seinen angespannten Arm im blauen Licht der Gasherdplatte. Er spielt mit seiner Waffe herum, während er dasitzt und mit den Füßen gegen den Hocker drückt, auf dem der Fernseher steht. Der Hocker fällt um, der Fernseher explodiert. Er rasiert sich einen Iro und wird zum ersten Punk der Filmgeschichte. Im Pornokino formt sich seine Hand zur Pistole. Er steht vor dem Spiegel, aus seiner präparierten Jacke kommt ein Pistolenlauf, es ist die berühmte Szene, in der er einen imaginären Herausforderer provoziert und in der sich sein Entschluss festigt. Die Verantwortung für den „menschlichen Abschaum“, von dem er im Taxi Senator Palantine (Leonard Harris) erzählt, will Travis nicht der Politik überlassen. Er beseitigt ihn selbst.
Travis‘ Wille zur Selbstjustiz hat zunächst noch kein konkretes Ziel, dass er sich irgendwann Bahn brechen wird, steht aber recht schnell fest. In seiner dringlichen Sehnsucht nach Bedeutung ist Travis bereit, über Leichen zu gehen, notfalls über die eigene. Travis Bickle hat alle möglichen Grenzen überschritten, die einen Menschen vom Abgrund trennen, er hat mit allem, auch mit sich selbst abgeschlossen. Travis ist ein manisch Depressiver, ein gefährlicher Psychopath mit beängstigend klarem Bewusstsein. Travis ist „die Kraft des Geistes auf dem falschen Weg“ (Scorsese über „Taxi Driver“).
Travis Bickle scheint zumindest am Ende an seinem Ziel angekommen zu sein. An der Wand hängen Zeitungsausschnitte. Er ist aber kein Held. Er ist auch kein byronscher Antiheld. Und kein klassischer Bösewicht. Am ehesten noch ist Travis Bickle ein tragischer Held, der naiv an seinen guten Absichten festhält und in einer Spirale in die große Katastrophe taumelt, die immer enger wird. Auch wenn man seine Einstellung und seine Taten verurteilt, man kommt nicht umhin, sich um ihn Sorgen zu machen. Lediglich an seiner Oberfläche ist „Taxi Driver“ ein Film über Moral, weil man viel vom Film verpasst, wenn man die einzelnen Situationen in dieses Beurteilungsraster zu pressen versucht. Das heißt nicht, dass er auf dieser Ebene nicht funktioniert, die Ambivalenz verleiht dem Film auch 35 Jahre nach Erscheinen noch enorme Relevanz. Er ist auch nicht in erster Linie ein Sittenporträt oder ein Gesellschaftsgemälde, so sehr sich die düstermelancholischen Nachtszenen der großstädtischen Halbwelt auch einbrennen mögen. Er ist ein Film über Travis Bickle, ein zutiefst eindringliches, aber komplett unangestrengtes Noir-Psychogramm eines Menschen, der an der Geschlossenheit und Kälte und Absurdität der Welt zerbricht. Bei der Gewalteskalation am Ende, bis heute tief beeindruckend in ihrer Düsternis und Erbarmungslosigkeit, scheint Travis selbst am Ziehen des Schlussstriches zu scheitern. Man hätte den finstersten, hoffnungsbefreitesten Film, der je gedreht wurde, würde, nachdem die Kamera sich vom Tatort entfernt hat, die Leinwand (/der Bildschirm) schwarz werden.
„Taxi Driver“ ist ein Film über Verzweiflung.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]