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Warnung: Viele „Spoiler“…wobei es bei diesem Film eigentlich nicht auf so etwas ankommt. Sowas wie eine Spannungskurve oder eine Story gibt es schon gegen Mitte nicht mehr.
2. Persona (1966)
Schon im Vorspann macht Regisseur Ingmar Bergman sich daran, den Hauptfilm zu zersetzen. Gezeigt wird eine schnelle Abfolge zusammenhangsloser Szenen: Zeichentrickfilme. Stummfilmausschnitte. Ein eregierter Penis. Ein ausgeweidetes Schaf. Ein Nagel wird in die Hand einer Frau geschlagen. Ein kleiner Junge sitzt auf einem Bett in einem Krankenhaus – einer Leichenhalle? – , steht auf und streckt seine Hand aus nach einem Bildschirm. Er zeigt ein verschwommenes Bild eines nicht identifizierbaren Gesichtes, das sich in ein anderes nicht identifizierbares Gesicht verwandelt.
Alma (großartig: Bibi Andersson) kann mit ihrem Leben zufrieden sein. Sie ist eine schöne junge Frau von etwa 25 Jahren. Sie lebt in einer glücklichen Partnerschaft und hat eine Arbeit – sie ist Krankenschwester in einer psychotherapeutischen Anstalt – , die sie ausfüllt. Sie ist lebensfroh, ambitioniert und selbstsicher. Den Auftrag, sich einige Wochen lang auf dem Landsitz der Chefärztin um die Schauspielerin Elisabeth Vogler (Liv Ullmann) zu kümmern, betrachtet sie als reiz- und wertvolle persönliche Herausforderung.
Elisabeth Vogler schweigt. Bei einer „Elektra“-Vorstellung dreht sie sich plötzlich um, das Theater-Make-Up zu einer Maske des Entsetzens versteinert, ihr Text bleibt ihr im Halse stecken. Sie ist katatonisch. Sie weint, als sie im Krankenzimmerfernseher Bilder von der Selbstverbrennung Thich Quang Ducs sieht. Ihr Schweigen ist eine Rolle, eine Möglichkeit, die menschliche Psyche und die Grenze des Erfahrbaren und Aushaltbaren am eigenen Beispiel zu studieren. Es ist auch ein versuchter Ausbruch aus jeglichen Rollen, eine Suche nach Wahrhaftigkeit auf dem für sie denkbar radikalsten Weg. Und es ist ihre Bewaffnung, ihr Panzer wie auch ihre Munition gegen ihre Umwelt. Von der Chefärztin wird sie durchschaut, sie kommt in Bedrängnis. Ihr unausgesprochener gemeinsamer Pakt bleibt Alma verborgen.
Im Sommeranwesen der Chefärztin denkt zunächst keine der beiden Frauen an ihre Erfolgsaussichten. Sie genießen die Abgeschiedenheit, die Ruhe, die Natur. Doch während Elisabeth sich in ihrer Rolle immer wohler zu fühlen beginnt, entfaltet sich die Wirkung dieser neuen Umgebung gerade bei Alma am stärksten. Weil Elisabeth nicht spricht und es ansonsten keinen gibt, der ihr zuhören könnte, entwickelt Alma eine Zuneigung und ein völlig irrationales Vertrauen zu ihr, die über jedes berufliche Maß hinausgehen. Dass Elisabeth keine wirklich eindeutigen Signale gibt, dass sie ihre Freundschaft annimmt, macht Alma nichts aus – es reicht ihr, dass sie sie nicht ablehnt. Und so erzählt Alma, erzählt und vergisst, dass ihr gemeinsames Idyll kaum von langer Dauer sein würde und dass Elisabeth im Grunde jeden Moment zu sprechen anfangen könnte. Sie erzählt betrunken über ihr Leben, ihre Beziehung, über einen gedankenlosen Seitensprung, den sie vor ihrem Partner bisher geheim gehalten hatte, und eine Abtreibung. Sie weint und presst im Bett ihr Gesicht trostsuchend an die Schulter von Elisabeth, die ihr sanft über die Haare streicht. Sie macht Elisabeth zu ihrer Freundin, und Elisabeth spielt gerne mit.
Eine solche Beziehung beruht natürlich auf einem fragilen Gerüst, und so dauert es nicht lange, bis Alma hinter die Gründe des Verhaltens von Elisabeth kommt und durch diese Erkenntnis tief enttäuscht und verletzt wird. Es ist ein verräterischer unversiegelter Brief von Elisabeth an die Chefärztin, der die Welt von Alma in sich zusammenstürzen lässt – und den Film gleich mit sich reißt. Denn mit dem Verhältnis der beiden Frauen zueinander verändern sich auch die Stimmung und das Gesicht von „Persona“.
Mehr als noch zu Beginn zeigt sich nach dem scheinbaren Verbrennen der Filmrolle, was für ein wahnsinnig gutaussehender und formal zeitloser Film „Persona“ eigentlich ist. Er wurde dabei nicht bestimmend für den Stil folgender Autorenfilm-Produktionen, seine Zeitlosigkeit entsteht aus dem Umstand, dass er in kein Jahrzehnt passt. Kameramann Sven Nykvist, der neben Bergman auch Größen wie Andrej Tarkovsky, Roman Polanski und Woody Allen bei der Verwirklichung ihrer Visionen unterstützt hat, glänzt hier durch einen kompromisslos strengen Perfektionismus. In den minutiös durchkomponierten Bildern wurde kein Detail dem Zufall überlassen, fast jedes dieser Bilder ist ein museumswürdiges fotografisches Meisterwerk. Um diese große Stärke von „Persona“ voll zur Geltung bringen zu können, musste Bergman die narrative Struktur auflösen. Ohne halbwegs stabiles Gerüst ist der nunmehr nur noch allegorische Film zu einem noch größeren Teil auf seine Bildsprache angewiesen.
Wesentlich stärker hängt „Persona“ aber von seinem überschaubaren Schauspielerensemble ab, das hier eine emotionale Welt ausdrücken soll, an deren Komplexität bis heute Myriaden an Filmstudenten verzweifelt sind. Bibi Andersson verausgabt sich merklich, sie lebt und stirbt in ihrer Rolle. An ihr liegt es, so ziemlich die gesamte Palette an menschenbekannten Gefühlszuständen in ihr Spiel einzubringen. Für Liv Ullmann hingegen ist die größte Herausforderung ihrer Rolle die äußerste Zurückhaltung, nach der sie verlangt. Ullmanns Elisabeth ist ein Geschöpf, das sich jeglicher Greifbarkeit entzieht, apathisch, entgrenzt, schwebend und schön. Ihr schauspielerischer Ansatz spiegelt dabei auch die Beziehung der beiden Frauen, die für beide immer mehr zu einem Geschwür auswächst.
Bergman hat bei „Persona“ mit einem quantitativ drastisch zusammengestrichenen Cast gearbeitet; von insgesamt fünf Rollen sind lediglich die beiden Hauptdarstellerinnen länger als insgesamt fünf Minuten im Bild. Keine anonyme Menge, keine Freunde oder Familienmitglieder oder Bekannten können hier eine der beiden Hauptpersonen vom konzentrierten Druck der Aufmerksamkeit der jeweils anderen entlasten. Die naturnahe Abgeschiedenheit des Sommerhauses verwandelt sich in ein Gefängnis. Nun hocken die beiden Frauen aufeinander, kennen das Waffenarsenal der jeweils anderen. Alma nimmt den erschreckend mühelosen Etappensieg von Elisabeth nicht hin, sie begibt sich in Kampfhaltung – mit mal mehr, mal weniger subtilen Mitteln. Sie scheitert, sie verwirft ihren eigenen, überzeugten Hass. Dabei stellt sie fest, wie Elisabeth sie infiltriert und sie ihr immer ähnlicher wird. Die psychologische Kriegsführung von Almas Patientin basiert auf Methoden, gegen die sie nichts ausrichten kann, doch auch Elisabeths Panzer bekommt durch die fortwährende Zermürbung Risse – Risse, durch die wiederum Alma in ihr Leben dringen kann. Die Hölle, das ist die andere.
Elisabeth macht im Grunde nichts, um ihre Pflegerin in die emotionalen Grenzzustände zu bringen, die sie im Filmverlauf durchlebt, und genau daran droht Alma zu zerbrechen. Die völlige Passivität verleiht ihr unbegrenzte Macht über Alma, die scheinbar schon verloren hatte, als sie (zwangsläufig) den ersten Schritt machte. Elisabeth fixiert Alma, objektiviert sie, stellt sie in das gnadenlose Scheinwerferlicht ihres sanften Blickes und lässt sie darunter versteinern. Elisabeth saugt Alma das Blut aus den Venen, als diese sich, auf der Suche nach Katharsis im Schmerz, bei einem Gespräch den Unterarm aufkratzt. Elisabeth ist das allesverschlingende Nichts, in ihrer Position ist sie unangreifbar.
Doch Elisabeth ist kein kaltes, gefühlloses Monster, sie ist keine Sadistin – die Lebensumstände, die sie bis in dieses Sommerhaus gebracht haben, sind denen Almas nicht völlig unähnlich. Elisabeth ist eine erfolgreiche Theaterschauspielerin, sie hat einen Ehemann, der sie liebt und dem sie vor einigen Jahren ein Kind – einen Jungen – geboren hat. Doch was bei Alma bisher noch lediglich ein trüber Schleier der Unzufriedenheit und des Zweifels war, ist bei Elisabeth zu einer schwarzen Decke der Verzweiflung geworden, die sich über ihr gesamtes Leben gelegt hat. Alma bleibt dies nicht verborgen. Sie befreit sich von der Last des Blickes, erzählt Elisabeth die Geschichte ihrer eigenen Verfehlungen und ihrer Lebenslüge, findet ihren wunden Punkt. Elisabeth fühlt sich nämlich von ihrem Sohn abgestoßen, und dieses Angewidertsein überträgt sich auf sie selbst. Dies war der Knackpunkt, der Grund, wieso Elisabeths Leben aus den Fugen geriet. Der Junge aus der Leichenhalle, er ist Almas abgetriebenes Kind und Elisabeths ungeliebter Sohn gleichermaßen.
Schwer zu sagen, was bei „Persona“ stärker zum Tragen kommt – Bergmans größenwahnsinnige Ambitionen oder sein (mutmaßlicher) Perfektionismus. Der Verdacht liegt nahe, dass er sich übernommen hat, dass er den vielen verschiedenen Themenfeldern, die der Film behandelt, nicht gerecht werden kann. Solange „Persona“ nicht wesentlich mehr will, ist es eine nanometergenaue Charakterstudie, ein beeindruckend vielschichtiges Psychodrama, das auch bei Filmemachern wie Darren Aronofsky und David Lynch seine Spuren hinterlassen haben muss. Die Identitätsstörungen werden zudem zum Schauplatz einer filmischen Selbstreflexion, während der so ziemlich alles gesagt wird, was es anno 1966 zu diesem Kunstmedium zu sagen gibt. Und es gibt wenige Filme, in denen die Grundannahmen des Existentialismus nach Sartre so gut illustriert wurden. Doch „Persona“ ist nicht perfekt. Der Film scheitert ausgerechnet an seinem Leitthema: der Verschmelzung und Gleichsetzung der Identitäten. So sehr sie auch bemüht wird, gerade in diesem Aspekt findet „Persona“ nicht zu einer Geschlossenheit, kann das Einbinden gerade dieses Themas nicht ausreichend rechtfertigen. Man kann beobachten, wie der Film langsam an sich selbst zerbricht.
Und damit wird sein Werk vollendet. „Persona“ findet seine Vervollkommnung in der Meta-Ebene, in einem Bereich, der jenseits der Kontrolle aller Beteiligten liegt. Hier wird das Scheitern zum roten Faden eines Films, der irgendwann alle Orientierung und Linearstruktur hinter sich lässt. Denn vor allem ist „Persona“ ein Film über das Scheitern, über die Kapitulation in ihrer reinsten, wahrsten und erschütterndsten Form. Die beiden Hauptfiguren entdecken die eigenen Abgründe und die der jeweils anderen, werden aneinander gefesselt durch ihren gegeneinander und sich selbst gerichteten Ekel. Wenn „Persona“ so etwas wie eine Botschaft haben soll, dann ist es die, dass zwischenmenschliche Beziehungen in jedem Fall völlig aussichtslos und unmöglich sind. Sie enden unweigerlich in Überforderung, in Fassungs- und Sprachlosigkeit. Es gibt für niemanden eine Möglichkeit, sich aus dem Bann des Subjekt-Objekt-Wechselverhältnisses zu befreien. Es gibt auch für niemanden eine Möglichkeit, das lebensbildende Grauen eines anderen auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Es wird größer und unbegreiflicher, je mehr man sich ihm nähert.
„Persona“ eignet sich super dafür, sich mal zu vergegenwärtigen, dass man genau nichts verstanden hat.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]