Re: Poesiealbum Written In Blood – Von Liebe, Lærm und Glasscherben

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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Den Gesang empfand ich bei Planes Mistaken For Stars immer schon als größten Vorzug. So fertig und dennoch teils so warm und melodisch zu klingen – das schaffen nur wenige Genreschreihälse und keiner so gut wie Gared O’Donnell. Aber kein Wunder, dass weder seine Stimmbänder noch der Rest der Band den Intensitätslevel lange durchhielten – „Mercy“ von 2006 blieb das letzte Album der Band (wobei die ehemaligen Bandmitglieder seitdem auch sporadisch kurzlebige Nachfolgeprojekte unterhielten).

Dagegen kommt der Shouter von Modern Life Is War auch für mich nicht an, obwohl „Witness“ mein wahrscheinlich zweitliebstes Hardcore-Album aller Zeiten darstellen dürfte. Kann da aber auch nicht sagen, wann und wieso da der Schalter bei mir umgelegt wurde.

Ich glaube, Wipers sind eine der am meisten als Einfluss herbeizitierten Bands der Welt, insofern würde es mich bei Refused zumindest nicht wundern.

Kann deine Vorbehalte bei The Stooges nachvollziehen und weiß auch selber nicht recht, welche Eingebung mich dazu gebracht hat, die Band und vor allem „Fun House“ für die Erfüllung meiner musikalischen Wunschträume zu halten. Zugangserschwerend muss sich wohl ausgewirkt haben, dass die Band sich standhaft geweigert hat, einen geraden Groove zu spielen. Für mich macht vor allem der Albumkontext viel aus sowie der blanke, feindliche Zynismus, von dem die Selbst-und-alles-andere-Zerstörungswut hier bestimmt wird. Sex, Drugs & Rock’n’Roll, ja, aber wenn, dann bitte so. The Stooges sind wohl eine der wenigen Bands (und die einzige, die mir momentan einfällt), die dieses Credo durchzieht und dabei nicht (nur) sleazy und hedonistisch, sondern auch heute noch brandgefährlich klingt.

9. Earthling – Me & My Sister

Anfangs steht noch die Befürchtung im Raum, mich mit prolligem Dubstep herumschlagen zu müssen, aber das erledigt sich schon mit dem Einsetzen eines herrlich queeren Beats. Zu diesem schon einmal ziemlich stark schwankenden Gerüst gesellt sich eine nicht minder queere Stimme. Der Gesang (obwohl der Song mir als Hip-Hop angekündigt wurde, sträubt sich irgendetwas in mir dagegen, es Rap zu nennen) adaptiert den zwischen flamboyant und verdeckt panisch schwankenden Ausdruck von Alan Vega (Suicide) und kombiniert ihn min Reminiszenzen an…wie hieß nochmal der Sänger bei Massive Attack – Angel? Das Ding ist, dass ich in dem Fall erst nach Jahren zufällig rausgefunden habe, dass der Song von einem Mann eingesungen wurde, und eine ähnliche Androgynität strahlt auch der Vokalist von Earthling aus. Ich weiß, Massive Attack-Vergleiche bei Trip-Hop-nahen Bands, wahnsinnig originell…aber ich muss es wieder tun. Eine gewisse Neigung zur Überproduktion und zu regelmäßigen Erschütterungen durch Lautsrärkeschwankungen haben Earthling nämlich auch, wenn auch vermutlich nicht so viel Zeit und Geld wie MA, um sie auszuleben.

Die vermittelte Stimmung ist ansonsten ganz interessant, der Text klingt, als hätte Steve McQueen ihn sich für einen „Shame“-Subplot abgeschaut. Den ich noch nicht gesehen habe. Naja. Begleitet von regelmäßigen E-Gitarrenzuckungen führt „Me & My Sister“ durch dreckige Korridore und Tunnel, die mit zunehmender Spielzeit immer schlechter beleuchtet werden, auf Sohlen, die anfangs kaum Kontakt zum Boden haben. Schließlich hat sich eine melancholische Melodie aber Bahn gebrochen und der hohlwangige Methdandy sitzt zusammen mit seiner blassen, kindlichen Schwester zusammengekauert und ängstlich umschlungen in einer feuchten Ecke in irgendeinem Keller. Schon irgendwie nicht praktisch, wenn beide zu kaputt sind, um sich aufeinander zu verlassen.
(den Song fand ich übrigens ganz prima, falls das nicht ankam)

10. Pink Turns Blue – Celebration’s Day

Raus geht’s aus dem feuchten Keller in eine zwar weniger klaustrophobieverursachende, aber nicht minder ungemütliche Umgebung mit dem Gitarrendarkwave von Pink Turns Blue, den ich irgendwie weit weniger spannend in Erinnerung hatte. Draußen ist alles grau, Regentropfen bilden eine Wand aus Wasser und es blitzt und donnert so nahe, dass man die Elektrizitätsentladungen in den eigenen Knochen zu spüren meint. Bei der Produktion hat sich die Band hörbar und angenehm Mühe gegeben, denn der Einsatz von Hall gerät so effektvoll wie maßlos („Sleep No More“, aber nicht so fahrstuhlschachtmäßig hermetisch), der Klang ist reich und räumlich. Zu Beginn gewinnt der Bass so viel an Raum und Lautstärke, dass er gleichberechtigt mit dem Gesang in einen Dialog tritt. Anfangs habe ich mir noch gewünscht, dass er ihn ganz übertönen würde. Der Sänger klingt so, als würde er an den Kartoffeln in seinen Mund ersticken, und welchen Akzent er auch immer imitiert, er sollte es lassen. Nach ein paar Durchgängen habe ich dann aber doch Gefallen gefunden an diesem Heulen eines Ertrinkenden, in dessen angsterfüllten Augen man nur noch die weiße Lederhaut sieht.
Im weiteren Songverlauf gewinnen die stählernen, überraschend und völlig undverhältnismäßig schweren Gitarren an Raum, während „Celebration’s Day“ vom Drumming immer noch die Gravitationskraft vom Halse gehalten wird. Lange kann dieser Zustand ja nicht aufrechterhalten werden. Und so hängt das Stück unmöglich angespannt in der Schwebe, während unter ihm die Erde bebt und der Boden sich öffnet. Alles ist erfüllt von einer delikaten Dramatik und der Ahnung einer nahen und furchtbaren Katastrophe – die aber in diesem Song lediglich eine Ahnung bleibt. Normalerweise ärgert mich sowas. Hier fasse ich das aber einfach mal als Cliffhanger auf und als Aufforderung, auf Albumlänge nach einer adäquaten Auflösung zu suchen. Ja, gut, sollte es die nicht geben, fände ich das aber auch nicht schlimm.

11. Nils Petter Molvær – Song Of Sand II

Ist nicht so, dass man mich von Nils Petter Molvær noch groß überzeugen müsste, aber schadet ja nicht. Das hier ist aber entschieden anders als „Baboon Moon“, das Rhythmusfundament…ach, Mist, es gibt bestimmt einen Namen für sowas. Jedenfalls scheint es seine Ursprünge eher in Trip-Hop und/oder Dub zu haben als in Rock, ist langsam, schlangenhaft und sehr sexy. Molvær ringt seiner Trompete zunächst nur mit Mühen ein paar gequälte Töne ab, aber nach 45 Sekunden, wenn das Stück klanglich voll da ist, kann er auch nicht mehr am melodischen Leitfaden vorbeispielen. Unterlegt von wässrigen Flächen wird das Stück kurzzeitig freundlich, bei ca. 2:20 sogar nochmal, aber das soll auch der letzte Akzent dieser Art gewesen sein. Sich selbst ausbremsende Gitarren flankieren die Trompete und den unveränderten Rhythmus, ungefähr zur Songmitte hin gibt Molværs Instrument dann sehr schmerzhafte kreischende Geräusche von sich und der Abstieg in die Unterwelt kann schließlich beginnen.
Der lange, wässrig blaue Korridor wird zu einer Hölle aus verbrauchter Luft, blasser nackter Haut und Schweiß, Gitarren kratzen an den Glaswänden des umgebenden Haifischbeckens entlang. Die leitende Melodie hat man zu diesem Zeitpunkt längst in der Menge verloren, allein das Drumming bleibt ziemlich unberührt von allem. Die vorbeischwebenden Synthieschwaden und der relativ freundliche Ausklang mit der wiedergefundenen Trompete können da im guten Sinne auch nicht mehr viel rausreißen. Hintergrundmusik für die Wartezimmer der Hölle.

12. The Vyllies – The Black Raven

Im Anschluss an den Nu Jazz von Nils Petter Molvær einen Song auf den Sampler zu pacen, der mit Blechbläsern beginnt – erstmal keine schlechte Idee. Ansonsten fällt mir nichts ein, was NPM mit The Vyllies verbindet.
Irreführend ist zunächst der Friedhofsernst dieser wahrscheinlich dem Keyboard entspringenden Bläser, denn die Grundstimmung ändert sich schnell. Der Drumcomputer gibt einen pappigen Spielzeugsoldatenrhythmus vor, ein Pianoimitat schafft mit akzentuierten Aufschlägen eine Fläche, auf der man sich dekadent räkeln kann, und da werden auch die Bläser auf eine verquere, zynische Art irgendwie feierlich. Apropos sich dekadent auf einem Klavierdeckel räkeln – eine Chanteuse betritt die Bühne und singt mutmaßlich mit halboffenen Augen und einem Lächeln, das sich am treffendsten als „twisted“ beschreiben lässt (auch ein Wort, für das mir kein gutes deutsches Äquivalent einfällt). Atmosphärisch befindet sich das irgendwo zwischen verbotenem Untergrundkabarett in Deutschland Mitte der 30er und einem Bordell, das ehemals luxuriös und edel war. Das Timbre der Sängerin liegt ziemlich genau im Niemandsland zwischen Gavin Friday (Virgin Prunes) und Anja Huwe (Xmal Deutschland), weshalb ich sie in all ihrer ätzenden Lässigkeit nach dem ersten, unaufmerksamen Durchlauf nicht einmal als weiblich wahrnahm. Ich weiß nicht, ob diese Irritation in meinem Assoziationsblaster in die hier generierte Umgebung von Sex und Verkommenheit und viel billigem Parfüm passt, aber sie stört mein Bild nicht. Bezüglich der physischen Erhältlichkeit des Albums brauche ich mir aber keine Hoffnungen zu machen, oder?

€: Reviews geschrieben, Kopfschmerzen weg. You can’t explain that!