Re: Jahressampler 2011 – Die Ergebnisse

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palez

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Seit genau 3:00 Uhr morgens bin ich wach. Zeit, etwas mit meinem Leben anzufangen und etwas gegen Lazarus‘ Sampler zu unternehmen.

Playlist of the Dead:

1. Cynic – Carbon Based Anatomy
2. Dark Suns – Ghost
3. Tesseract – Acceptance – Concealing Fate Part One
4. Devin Townsend Project – Sumeria
5. Between the Buried and me – specular reflection
6. Obscura – Prismal Dawn
7. Vildhjarta – shadow
8. Vallenfyre – desecration
9. Necros Christos – Necromatik Nun
10. Amorphis – Crack in a Stone
11. Moonsorrow – Huuto
12. Nucleus Torn – Death’s Triumphant
13. Defeater – Quiet the Longing
14. Light Bearer – Prelapsus
15. Lantlôs – Intrauterin

Los geht es mit den mit dem Fortlauf ihrer Karriere scheinbar immer jünger werdenden Cynic und „Carbon Based Anatomy“, wie ich hier gelernt habe, dem Titelsong ihrer aktuellen EP. Für Death Metal ist hier kein Platz mehr, für Metal generell auch nur sehr wenig, damit und mit dem Vocoder sind auch die Nerdträume von „Focus“ verschwunden. Gleichzeitig klingt der Song entschlackter und fokussierter als alles, was ich von „Traced In Air“ in Erinnerung habe. Was bleibt dann von Cynic übrig? Sehr feingliedriger und hypnotischer, progressiv angehauchter, metallisch glänzender Rock, bei dem die eigenartig (gut eigenartig!) junge Klargesangsstimme die Brücke zur Vergangenheit sprengt. Cynic sind angekommen „in absentia“ (so um 2007 rum habe ich diesen alternativen Kuschelprog öfter gehört und mir wären bessere Vergleiche eingefallen). Die Bassarbeit klingt angenehm nach den 90ern, wenn sie sich am Anfang aus dem Nichts anschleicht, die zart Luft aufwirbelnden Drums schicken das Stück in weit entfernte Sphären. Vorsichtig und gewissenhaft arbeitet man aber auch an der Songdramaturgie, ohne den Mindestabstand zwischen Füßen und Boden zu vergessen. So ergibt das Solo am Ende genauso viel Sinn wie die gelegentliche Chorunterstützung und die minimal schwereren Gitarren.
Fand ich schön, werde mir die EP mal anhören, hoffe, dass die Tendenz für ein eventuell kommendes weiteres Album beibehalten wird.

Ist es falsch, sich an keinen einzigen Ton einer Band erinnern zu können und sie trotzdem in einer bestimmten mentalen Schublade zu behalten? Hier die Schublade „lascher Düsterprogmetal“, Karteikarte „Opeth-Kopisten“. Irgendetwas muss ich beim Sortieren damals richtig gemacht haben, denn einige Jahre nach „Existence“ ist Opeth immer noch der erste Bandname, der mir bei Dark Suns einfällt. Ich muss ihnen dabei zugestehen, dass sie die Verbeugung auf „Ghost“ gar nicht mal so ungeschickt gestalten. Der Vibe ist eigentlich immer da, aber schwer bis unmöglich zu fassen. Vermeintliche Déjà-vu-Momente zerrinnen einem zwischen den Fingern. Nach einem versucht breitbeinigen Einstieg mit einer lustigen Schweineorgel ist die jazzig angehauchte Pianoklimpereinlage gleich der erste davon. Sie klingt so schmückend wie nutzlos. Ein bisschen besser und eleganter wirkt sie im Hintergrund, wenn der suggestiv harmlose Klargesang die Ohren mit Goldfäden umwickelt. Wird Progrock/Metal eigentlich auf dem Wiener Opernball gespielt? Sollte man sich vielleicht mal überlegen, hierzu kann man sicher gut tanzen. Zwischendurch wird es immer wieder lauter und der Sänger klingt fortan vor allem wie eine nicht überkandidelte Version von Daniel Gildenlöw (Pain of Salvation, aber als sie sich noch nicht in Feinrippunterhemden auf die Straße trauten). Angst haben, dass der Boden unter den eigenen Füßen plötzlich wegbricht, braucht man aber nicht, das Stück ist sehr fließend und die Taktvariationen zaghaft und überschaubar. Ganz zum Schluss kann die fette Orgel nochmal Pluspunkte sammeln und fertig ist ein Song, an dem ich nichts zu beanstanden habe und den ich mir hiernach vermutlich nicht wieder anhören werde.

Die folgende Anmerkung ist nicht als Kritik an der Songreihenfolge oder als Verbesserungsvorschlag zu verstehen, denn mir ist aufgefallen, dass diese dir wirklich ausgesprochen gut gelungen ist. Aber es wäre für mich wahrscheinlich praktischer gewesen, wenn Vildhjarta vor Tesseract an der Reihe gewesen wären, denn dann hätte ich die gesamte Songrezi daran aufziehen können, wie man es richtig macht (umgekehrt ist irgendwie nicht so das Wahre…). Okay. Aber anstatt zu sagen, dass sie es besser machen, kann man ja sagen, dass die Gallionsfiguren der, äh, Djent-Szene (gibt es die schon?) ihre Sache einfach sehr gut machen. Natürlich finden hier taktgewordene Matheaufgaben und Beweisführungen zum Thema technisches Können statt, aber nichts, wovor ich bei Prog/Math Metal Angst habe. Das mit Synthesizer gespielte Leitmotiv (ja, ich nenn’s hier mal so) klingt wie der Prolog zu einer langen Geschichte, und im Grunde haben Tesseract damit schon bei mir gewonnen. Es folgt die wahrscheinlich obligatorische Meshuggah-Polyrhythmikhirnmassage, böses Metalcoregeschrei, das nicht stört, und ein Ausblick darauf, wie frühe Linkin Park und ex-zeitgenössischer Mädchenemocore hätten klingen können, wenn sie würdevoll älter und weiser geworden wären. Das wirklich Besondere und Faszinierende sind hier aber nicht die Bestandteile selbst, sondern ihre Summe. Die Kunstfertigkeit dieser Komposition ringt mir tatsächlich höchsten Respekt ab. Hier gibt es keine Nahtstellen, jeder Part ist so sehr an der richtigen Stelle, dass ich ihn gar nicht mehr als Part wahrnehme. „Acceptance – Concealing Fate Part One“ atmet, pulsiert, lebt, es könnte all diejenigen Lügen strafen, die Prog Metal Atmosphäre und emotionale Ausdruckskraft absprechen. Grund dafür ist vor allem das bewundernswert geschickte Einbinden dieser sehr einfachen verwunschenen Leitmelodie, die von Variationen und Nebenschauplätzen flankiert wird und am Ende zu einem großangelegten Finale auswächst. Nicht einmal der gelackte Sound und das knabenhafte Timbre des Sängers gingen mir hier auf die Nerven. Überraschend großartig (beim Erstkontakt habe ich noch eher verhalten reagiert, glaube ich), wird umgehend weiter verfolgt.

Wo wir grad bei gelungenen Übergängen waren…der folgende ist zumindest abenteuerlich, ergibt auf eine nicht näher bestimmbare Weise jedoch tatsächlich Sinn. Dem kontemplativen Chromprog von Tesseract wird nun der latent wahnsinnige Chelsea Smile-Prog von Devin Townsend gegenübergestellt. Wobei „Sumeria“ mich darin auch irgendwie enttäuscht. Zu sehr ist das musikalische Gerüst ein behäbiger Hybrid aus entseeltem, elektrofiziertem Modern Metal-Gestampfe und Dimmu Borgir-an-die-Wand-Chören, zu lange bleibt alles auf gleichem Lautstärke- und Intensitätslevel. Innerhalb dieser Materialschlacht werden zwar durchaus auch sehr brauchbare Melodieansätze verschleudert, die der Chose den antizipierten Rummelplatzwahnsinn beimischen. Aber es hilft wenig: Dieses tonlose virile Braten der Gitarren ist bei derart maßlosem Einsatz ein absoluter Stimmungskiller. Okay, „schlecht“ oder auch nur „belanglos“ will ich es nicht nennen (der Kommentar ist als Kapitulation und nicht als Verriss zu lesen), aber ermüdend ist es und absolut die falsche Musik im falschen Moment. Da halte ich mich im Zweifelsfalle lieber an sein Dancepop-Album mit Anneke van Giersbergen.

Auch wieder so ein famoser Übergangsmoment: An die letzte Minute von „Sumeria“, dominiert von ankündigenden Synthies, sonniger Akustikgitarre und jungenhaftem Klargesang, schließt „Specular Reflection“ mit böse verstimmtem Klavier, paranoiden Pizzicato-Streoichern und gruseligen Blechbläsern an. Dass der HevyDevy-Song längst aufgehört und der Between the Buried and Me-Song angefangen hat, merke ich erst nach ungefähr einer Minute, als die Band effektvoll unerwartet ihr Death Metal-Programm abzuspulen beginnt.
Okay, kennt man ja schon von „The Great Misdirect“, die sitzt man aus und kommt irgendwann an die verdiente Karamellfüllung. Der erste interessante und vielversprechende Part kommt kurz vor der zwei-Minuten-Marke, da fällt dem Bassisten nach seinem großen Auftritt der Scheinwerfer auf den Kopf. Ansonsten halt wie immer: Eine dezidiert moderne Auslegung von Death Metal, die Cut-Up-technisch Subgenre-Querverweise einbaut und um die Geschichte der Band (irgendwas mit Core, sagen die Banausen) weiß. Virtuose, aber brutal tonlose Krakenarmmusik, die alles weiß und gesehen hat, sich windet und im Sekundentakt neu erfindet, aber zumindest in meinem Kopf nichts ergeben will. Der erste Cleangesangsversuch geht dann auch entsprechend unter, ein kurzer, aber grundloser Blick Richtung Sonnenuntergangspanorama, und dann geht’s auch schon weiter mit Zermürbung und Kopfschmerzen. Leider gelingt der Band der clean gesungene Refrain diesmal nicht so spektakulär wie zum Beispiel auf „Swim To The Moon“. Doch bei 4:45 erfüllen sich die hohen Erwartungen; auf erwartungsvoll angespanntem Drumfundament und vibrierender Tool-Bassline löst das Stück sich vom Boden, Sänger Tommy Rogers schaut in einen leuchtenden Himmel. Auf dieser Welle von Wärme und Hochgefühl schwebt zeitweise sogar die spätere Death Metal-Attacke kurzzeitig dahin, bis man irgendwann doch noch mit dem Gesicht auf heißem Asphalt aufschlägt. Aber ab hier gerät sogar das einigermaßen mitreißend. Nach der neun-Minuten-Marke erschließt sich die Band nochmal die Möglichkeit eines erneuten Höheflugs, verpasst diese und schließt „Specular Reflection“ mit dem Refrain ab, der dem Song nicht gerecht wird. Und so Geräuschen halt.

Ach Mensch, man kann nicht sagen, dass ich es nicht versucht hätte. Wahrscheinlich ist ihre Interpretation von Death Metal ziemlich einwandfrei und technisch wie kompositorisch bewundernswert, aber meine Ohren sind halt leider taub für sowas. Und natürlich sind Between The Buried and Me eine überaus spannende und talentierte Band, aber sie werden vermutlich nie wirklich meine sein.

Okay, ich gebe zu: Vor Obscura hatte ich im Vorfeld vermutlich am meisten Angst. Vorurteile sind nicht nett, ich weiß, aber wir haben uns einfach komplett auseinandergelebt, der Progressive Death Metal und ich. Nicht grad die besten Vorzeichen, möchte man meinen, aber andererseits wird man mit einer so niedrigen Erwartungshaltung manchmal umso schöner überrascht.

Der Anfang ist noch ein geschickter und durchaus zweckdienlicher Etikettenschwindel. Die Einleitung ist so ein Opeth-meets-Mastodon-Part mit angespannter Akustikgitarre und Märchenonkelmelodie, die schließlich in irgendetwas Lauteres und Gitarrenschülerartiges, aber nichtsdestotrotz Hochmelodisches umschlagen. Ich wusste erst nicht, ob ich das richtig oder billig finden sollte, aber angesichts dieses beispiellos flüssigen Überganges beantwortet sich die Frage eigentlich von selbst. Aus der Einleitung habe ich die Grundentspanntheit in den Prog Death-Mainpart mit rübergenommen, aber der ist auch ohne abschweifende Gedanken zu meiner großen Überraschung ziemlich unterhaltsam. Das Gaspedal wird recht plötzlich ganz durchgetreten, und schon befindet man sich in einem Cabrio mit zerschlagener Frontscheibe und 200 km/h auf der schlaglochversehenen Hauptstraße der Hölle – als Geisterfahrer. Es gibt durchaus weniger spaßige Möglichkeiten, seinen Freitagabend zu verschwenden. Natürlich geht auch hier nichts ohne fliegende Wechsel im Rhythmusbereich, eine aus der Reihe tanzende Bassrampensau, Soli und andere Sperenzchen, aber man hat nie den Eindruck, dass die Qualität des Songs von der Band vorab daran gemessen wurde. Es ist adrenalintreibend, aber überhaupt nicht anstrengend, weil die einzelnen Glieder so sorgsam und konzise gleich Perlen auf dem roten Faden aufgezogen wurden. Einzig das etwas unmotivierte Ende finde ich komisch; der vorangegangenen Hyperaktivität wird das Feedbackrauschen irgendwie nicht gerecht.

Gefällt mir wesentlich besser als erwartet. Wenn ich nicht mehr so wahnsinnig müde bin (wie gesagt, auf die Sekunde genau um drei Uhr nachts aufgewacht), höre ich da mal intensiver rein.

Okay, was wollte ich sagen…müde…müde…ich dürfte das erste Mal in meinem Leben froh darüber sein, dass ein Song lediglich 3:38 Minuten dauert. Vildhjarta (ich höre doch keine Bands, deren Namen ich nicht aussprechen kann!) zeigen uns, wie Djent nicht…na gut, wie Djent auch geht, während des Tesseract-Reviews hatte ich definitiv mehr Anlass, über „Shadow“ zu schimpfen. Auch die hier haben ein hübsches und stilvolles Synthie-Intro, welches seinem Potential zum Trotz hier aber in den Hintergrund verbannt wird. Ganz vorne im Wahrnehmungsfeld dürfen die Meshuggah-Gitarren (Bestimmt kann keine Band aus dem Bereich diesen Vergleich mehr hören. Entschuldigung!) wieder ran, sie winden sich und fräsen durch den eigenen Aluminiumüberzug, während offenbar zwei zugegebenermaßen talentierte Vertreter ihrer Zunft sich beim Keifen abwechseln. Was ich an diesem Song mag, ist die Schwere, beziehungsweise: Ich würde sie mögen, wenn ich gerade nicht ziemlich starke Kopfschmerzen hätte. Was mich stört, ist die klinische Sauberkeit, die „Shadow“ weder überwinden noch zum eigenen Vorteil umdeuten kann.
Und bei ungefähr 2:20 Minuten geschieht etwas Seltsames. Wirklich ganz wunderbare melodische Gewitterwolken verdecken den Himmel, zumindest kurzzeitig bekommt der Song eine für mich nachvollziehbare Atmosphäre. Und doch: Wie die Melodie in die klangliche Umgebung eingelassen wurde, hat etwas Unnatürliches. Und mit der Art, wie sie sie im weiteren Songverlauf (nicht wirklich) verarbeitet, verspielt die Band viele Chancen. Schade-Marmelade.

Das klingt jetzt zugegebenermaßen alles viel mehr nach Verriss, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Die meiste Zeit über fand ich den Song ja sogar gut (jetzt grad nicht, okay, aber sonst…), aber er hat es vorerst nicht geschafft, bei mir Interesse für die Band zu erwecken. Passiert.

Weil ich ein Weichei bin, ist hier erstmal Schluss. Den zweiten Teil gibt’s auch irgendwann. Bestimmt.