Re: Das wirklich beste BM-Album?

Home Foren Maximum Metal Plattenladen Das wirklich beste BM-Album? Re: Das wirklich beste BM-Album?

#6705663  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

@Twisty: Das Déjà-vu hatte ich kurz auch, aber die Suche hat nichts ergeben, und wahrscheinlich war es nur ein weiterer Bathory-Thread unter irreführendem Titel.

OK, ich denke, ihr wisst, was jetzt kommt:

Ende der 90er schloss sich ein Musikerkollektiv in San Francisco in einem Studio ein, um ein Album aufzunehmen, mit dem dann ziemlich lange nichts passierte. Erst im Jahre 2000 wurde „Dead As Dreams“ in kleiner Auflage (und begleitet von bescheuerten Gerüchten) vom Indie-Kleinstlabel tUMULt veröffentlicht. Weakling, die damals vermutlich nicht ahnen konnten, das wichtigste amerikanische Black Metal-Album überhaupt geschaffen zu haben, waren zu dem Zeitpunkt seit einem Jahr Geschichte. Schnell orientierten sich die Bandmitglieder neu, konzentrierten sich auf Bestehendes (The Fucking Champs) oder gründeten neue Projekte (The Gault, Asunder, Amber Asylum, Dispirit), die größtenteils keine Rückschlüsse auf die musikalische Ausrichtung der früheren gemeinsamen Band ließen. Es sollte einige Jahre dauern, bis im Meteoritenkrater erste Knospen sichtbar wurden; Bands wie Ash Borer, Fell Voices, Skagos, Fauna und Wolves In The Throne Room sind Fackelträger eines distinktiven, mit der Region assoziierten Sounds. Und außerhalb des amerikanischen Kontinents wird der Klangentwurf von beispielsweise (späteren, unproggy) Altar of Plagues und Drautran aufgegriffen und weiterentwickelt.

Womit wir auch schon beim Hauptproblem in der Rezeption wären, denn Leute, denen diese moderne, an den Grundpfeilern des Genres sägende Auslegung des Black Metal zuwider ist, lesen den Namen in Verbindung zu „irgendweilchen Ökohipstern“ und schreiben die Band mental erstmal ab. Tatsächlich hat „Dead As Dreams“ aber weit weniger mit dem musikalischen und thematischen Eklektizismus dieser kontroversen Spielkinder zu tun, als ihm nachgesagt wird. Es finden sich weit weniger Fremdeinflüsse in der Musik als bei späteren USBM-Gallionsfiguren, keine Post-Rock-Melodiebögen, keine wattigen Shoegaze-Zugeständnisse. Das Instrumentarium beschränkt sich fast auf die klassische Rockbandbesetzung, und das Keyboard wird äußerst sparsam eingesetzt. In seine Einzelteile zerlegt geschieht alles auf „Dead As Dreams“ im Rahmen des genreintern durchaus Möglichen und Denkbaren. Über weite Strecken zeigt die Band hier Pflicht und Kür der wichtigsten BM-Disziplinen – von skandinavischer Kälte und Wut über Emperor’sche Epik (ohne derart vordergründige Keyboards) über Täler der Depression nach Auslegung von Burzum. Doom Metal spielt in Abschnitten eine größere Rolle, die Integration des kriechendes Schritttempos war zu dem Zeitpunkt aber bei weitem nichts Neues mehr. Wichtiger ist hier ohnehin die Summe der einzelnen Teile, die außergewöhnlicher und größer ist, als man es sich anhand der Referenzen vielleicht vorstellen könnte.

Mit 76 Minuten kratzt „Dead As Dreams“ an der Höchstlänge einer einzelnen CD, fünf Songs sind auf dem Album enthalten, der kürzeste zehn, der längste zwanzig Minuten. In der Tat vermittelt die reine Faktenlage bereits eine Ahnung von der Kompositionsweise der Stücke. Einerseits waren Weakling, wie aus den oben beschriebenen äußeren Umständen hervorgeht, äußerst zielgerichtet und diszipliniert in ihrem Vorgehen. Keine stilistischen Schwenker, keine Klangfarbenschnörkel, nichts Überflüssiges. Und obwohl die Songs keinesfalls üblichen und einfachen Aufbauschemata folgen, sind sie nicht im eigentlichen Sinne progressiv. Oft sind die Melodien sägend und einfach gestaltet, und Weakling wissen um die zermürbende Effektivität der Monotonie. Andererseits dachten Weakling größer als bis dato jede andere Band in dem Sektor. Größer im Sinne von: länger, ausladender, ambitionierter, wider die Kompaktheit und Übersicht, auf den Überwältigungseffekt hin. Größer aber auch im Sinne von: epischer, einprägsamer, unmittelbarer und tragender, Wald und Berge und ständig das Gefühl, klein zu sein und immer kleiner zu werden, im Gegensatz zu den kalten und unzugänglichen Labyrinthen vieler „progressiver“ Genrevertreter.

Und das ist das vermutlich wichtigste Merkmal der nach einem Song der Swans benannten Weakling, das, was sie am meisten von anderen Bands abhebt: ihr Black Metal ist nicht kalt, weder klanglich noch metaphorisch, er ist auch nicht „heiß“ im Sinne des beliebten Höllenfeuermotivs. Der Mittelteil von „No One Can Be Called As A Man While He’ll Die“ illustriert die heißeste, körperlichste Verzweiflung, die ich im Black Metal-Genre bisher hören durfte. Die Musik von Weakling zeichnet sich durch eine solch unverdünnte emotionale Dringlichkeit aus, dass man beim Hören denken könnte, die Bandmitglieder hätten das Album in dem Bewusstsein aufgenommen, es wäre das letzte ihres Lebens. Rücksichtslos und gehetzt werden die Stücke von den Drums gepeitscht durch Parkours aus Raserei, Selbstzerfleischung, Blutrausch, Erhabenheit, Panik und Wahn. Man hört dieses Album mit den Fingernägeln in den Sessellehnen und dem Gefühl, als hielte einem jemand eine geladene und entsicherte Pistole an die Stirn. Es ist diese völlige Hingabe bis zur Besessenheit, die als Kleister zwischen atmosphärisch zum Teil völlig gegensätzlichen Parts fungiert.

Bei den wenigsten Bands dieser Stilrichtung klangen die Emotionen so schmerzhaft unverschlüsselt. Diese ungehaltene, manische Leidenschaft ist es, was von ihnen zumeist entweder bewusst nicht beachtet oder nicht verstanden wurde. Und natürlich ist sie auch nicht ohne weiteres reproduzierbar; vor dem Hintergrund dieses den Hörer zermahlen und erschöpft ausspuckenden Albums ist es nur zu verständlich, dass die Bandmitglieder nach einem Jahr nicht mehr wollten. In einem Interview sollte John Gossard später über seinen früheren Bandkollegen, den Gitarristen Josh Smith, sagen: „Er entdeckt etwas Neues, das ihn interessiert, ist dann wie besessen und lernt so viel wie möglich darüber für eine kurze Zeit und geht dann einfach weiter“. Möglicherweise steht dies (sowie die schnelle Umorientierung) im Gegensatz zur Authentizitätsauslegung der konservativen BM-Puristen, die es am liebsten sehen, wenn Musiker ihre gesamte Laufbahn mit der „richtigen“ Entscheidung verbringen. Die Geschichte von Weakling zeigt jedoch die zwangsläufige Flüchtigkeit der Perfektion und den logischen Schluss daraus auf: aufhören und weiterziehen. Auch als musikalische Station unter vielen nahmen die Musiker den Black Metal ernst im bestmöglichen Sinne, sie wurden allen seinen Ansprüchen gerecht und entsprachen keinem seiner Klischees. Sie arbeiteten mit großem Respekt vor den Klassikern und ohne heutige „Kill your idols“-Attitüde, aber mit einem konzentriert nach vorne gerichteten Blick, als würde hinter ihnen bereits der Boden wegbrechen. Ohne es also als inhaltsleere und klischeehafte Hyperbel verstanden haben zu wollen, komme ich zu dem Schluss, dass Weakling – Dead As Dreams für mich das beste, ja, das tatsächlich ideale, das perfekte Black Metal-Album ist.

http://www.youtube.com/watch?v=cEM3OJSpoDI (ich konnte mich nicht entscheiden…)