Re: Euer Lieblingsbuch

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palez

Registriert seit: 04.01.2007

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TwistOfFate😆
Und mit welcher Begründung?

Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen: Ich war keinesfalls voreingenommen. Unerklärlicherweise genießt Herr Coelho ja einen ausnehmend guten Ruf (oder Leute, die an seinen Büchern etwas auszusetzen haben könnten, machen einen konsequenten Bogen um sie.)

Das Hauptproblem ist bezogen auf viele Aspekte wahrscheinlich die Einfachheit. Die ersten paar Momente funktioniert das sogar ein bisschen, die Lakonie, mit der die Gründe für den Suizidversuch der Hauptprotagonistin beschrieben werden, ist gar nicht mal reizlos. Danach reißt die Einfachheit das Machwerk und seine Prämisse mit sich in den Abfluss. Es ist sprachlich aufdringlich fantasielos und langweilig, und ich glaube kaum, dass da so wahnsinnig viel lost in translation sein könnte. Von einer Info- und Darstellungsbasis über Klinikpatieten aus, die so einfach ist, dass sie schon wieder falsch ist, wird weiterhin eine Verniedlichung des gesamten Themenkomplexes betrieben, und diese ist so lächerlich wie in künstlerischer Hinsicht dreist. Klar, die Klinikmitarbeiter und der Oberarzt sind verhärmte und verkrampfte Berufsmenschen mit Funktionalitätsneurose und Stirnfalten, wahrend die Patienten grundsätzlich einfach mal ein bisschen Spaß und lieb gehabt werden möchten und sich einfach mal von der lästigen richtigen Welt für eine Weile frei nehmen. Sei du selbst. Entspann dich und genieß dein Leben. Alles halb so schlimm. Nicht du liegst falsch, sondern die, die es anders sehen. Ein bisschen verrückt ist okay, solange es sich auf einen dummen Kalenderspruch herunterbrechen lässt.

Das Problem ist nicht einmal, dass das anspruchslose Unterhaltungsliteratur ist (wie arrogant von mir wäre es denn, mich über diesen Umstand zu beschweren), das Problem ist, dass so getan wird, als wäre es etwas anderes. Jede thematische Potenzialverschwendung reißt einen an sich interessanten Bereich an und möchte dem Leser ausreden, sich darüber Gedanken zu machen. Man hat seine kulturelle Pflicht erfüllt, man hat mal was mit Tiefsinn gelesen und mit – oho! – Tabuthemen wie Selbstmord, psychischen Krankheiten und deren Simulation, da wird der spießigen Gesellschaft mal so richtig der Spiegel vorgehalten, aber wir, wir sind ja nicht so spießig wie die, wir sind ja anders, wir glücklich verheiratete ObermittelschichtlerInnen und wir, ihre Anna-Lenas und Marie-Sophies, die wir die einzigen sind, die sich in der neunten Klasse für Literatur interessieren, aber wie schön und licht und erbaulich „Veronika…“ doch ist, nicht so trocken und sperrig wie die Wälzer, die wir früher im Deutschunterricht lesen mussten, und nicht so elend und langweilig und peinlich wie das richtige Leben, und deswegen können wir „Veronika…“ lesen und zustimmen und dann vielleicht beim Abendessen ein paar Worte darüber verlieren und wieder vergessen, denn es gibt keine Gefahr und allen geht es gut, auch und vor allem da, wo man es nicht vermuten würde. Für diese Wohlfühlkunstsurrogate in ganz verschiedenen Disziplinen (natürlich gibt es sowas in Film und Musik auch) ist „Veronika…“ vermutlich das selbstgefälligste, dümmste und ekelhafteste Beispiel. Und mit seinem vor Kitsch triefenden Happy End (!) torpediert es auch noch seinen letzten Rest an Würde (naja, gut, eigentlich habe ich schon bei der Mondscheinsonatenszene angefangen zu lachen…).

@topic: Gaaanz vielleicht abgesehen von meinem ausgeprägten Thomas Bernhard-Faible sind meine persönlichen Kandidaten für die Kategorie Lieblingsbuch alle schrecklich langweilig und unpersönlich. :<