Re: Paula Pantoffeltierchens Drogentrip mit Nikki dem Clown, Schachtmenschen, Mördern und einer Aberratio Mentalis Partialis

Home Foren METAL HAMMER’s Ballroom Meetingpoint User vs User Paula Pantoffeltierchens Drogentrip mit Nikki dem Clown, Schachtmenschen, Mördern und einer Aberratio Mentalis Partialis Re: Paula Pantoffeltierchens Drogentrip mit Nikki dem Clown, Schachtmenschen, Mördern und einer Aberratio Mentalis Partialis

#6809903  | PERMALINK

palez

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 10,795

Jappy ist doof. Der Grund, weshalb ich dort bin, auch. Lycia sind nicht doof. Ich sollte wieder so aufdringlich Werbung für die Band machen wie 2009, „A Day In The Stark Corner“ und „Live“ sind nämlich vermutlich das Beste, was unter dem Gothic-Deckmantel veröffentlicht wurde. Die Alben solltest du dir in voller Länge anhören, besonders ersteres ist atmosphärisch ziemlich filmreif.
Ähnlich sieht es wohl bei The Gault aus, deren „Even As All Before Us“ für mich ein potentieller Erbe des Isolationsmeisterwerkes „A Day In The Stark Corner“ ist (das Album ist wiederum sowas wie mein „Closer“ der 90er, um mal zu verdeutlichen, wie viel ich davon halte). Auf Albumüberlänge entfalten sich Ghost Towns und zermürbende Stimmung am besten. Left an open door, as if I’d know my way.

3. Carnival in Coal – Don’t Be Happy, Worry

Es ist ja im Grunde so wie immer, man hat nach dieser zuallererst verschossenen Vorstellung keine Verwendung mehr für uns und wir dürfen machen, was wir wollen, solange wir nach dem Fall des Vorhanges wieder angetanzt kommen. Darauf legt die Zirkusdirektion nämlich Wert, dass die Freaks alle bleiben und beisammen sind und keiner verloren geht, vielleicht, weil wir am längsten dabei sind, die ach so ernsthaften Artisten würden uns schon liebend gerne loswerden. Da die Ignoration und Verheizung uns also wieder Freigang gewährt hat, strömen die Kinderchen in die Tiergehege, Alonzo der Armlose und Beatrice die Bärtige, meine liebreizende Assistentin, in die gemeinsame Koje, und mir, tja, mir hat man zur Unterhaltung immerhin noch den Anzugträger hinterlassen.

Das Beste an dem Ort, an dem wir heute zum letzten Mal unsere Zelte aufgespannt haben, ist, dass man, ehe man wieder auf eine asphaltierte Straße zur Stadt hin hinauskommt, erst einmal vereinzelte Flecken Nadelwald durchqueren muss. Das muss man sich mal vorstellen: tiefste Nacht, knirschender Schnee, und dann verlässt man das Zelt auch noch vorzeitig alleine, weil einem das, was man miterleben durfte, gereicht hat. Genau das macht mein tapferer kleiner Anzugträger nämlich. Er drückt den Mantel an seinen Körper und stapft durch den Schnee, mit aufgestelltem Kragen. Ruhig, konzentriert, leise schimpfend. Mal sehen, wie viel es braucht, um ihn aus der Ruhe zu bringen.

Nicht viel, wirklich nicht. Ich werfe einen Clownsschuh nach einem Baumwipfel, ein gut gezielter Wurf, wie sich herausstellt, denn der Schnee landet ihm direkt auf dem Kopf. Der Schuh auch. Spätestens bei dem Schuh fällt der Groschen. Er rennt also zwischen den dicht stehenden Fichten in die Richtung, die er für den direktesten Weg hält, die Beine versinken bis zu den Knien im Schnee, er stolpert. Rührend. Ich verstecke mich hinter den Bäumen, natürlich ist sein kürzester Weg der falsche, werfe mit Schneebällen. Wie viel Angst ein erwachsener Mann vor einem Schneeball haben kann! Na, der findet alleine raus. Ich komme auf den Platz hinaus, wo die Autos geparkt sind, gut, dass meine reizende Assistentin das Kennzeichen noch wusste, schließe die Tür auf und steige umständlich auf den Rücksitz. Den Schlüssel lasse ich gut sichtbar vor die Tür fallen. Woher ich den habe? Betriebsgeheimnis! Hach, ja. Schön hier. Warm. Sogar ein Autoradio hat der. „Leave today, I won’t change my way, I won’t listen to what you have to say…“

Ich muss nur aufpassen, mit meinem Rücksitzgroove früh genug aufzuhören und außerhalb der Sichtweite zu rutschen, sobald ich ihn sehe, und ja – da kommt er. Den Gesichtsausdruck, als er seine Autoschlüssel im Schnee findet, sehe ich zum Glück noch, der ist aber auch zu herrlich. Immerhin steigt er trotzdem noch ein, schnell und hektisch, ohne auf den Rücksitz zu schauen – ein Fehler, Freundchen, ein ganz großer Fehler! Mit hervortretenden Knöcheln hält er sich am Lenkrad fest, und allmählich, denke ich, ist es an der Zeit, aus meinem Versteck hervorzukommen – so langsam bekomme ich Rückenschmerzen. Leider bringe ich mich selbst um den Überraschungseffekt, denn er sieht mich im Rückspiegel. Aber bevor er sich umdrehen oder den Sicherheitsgurt lösen kann, presse ich meine Hände an sein angstschweißnasses Gesicht.
„Oh, einen wunderschönen guten Abend wünsche ich Ihnen! Würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz anzuhalten, damit ich den Platz wechseln kann?“
Der werte Herr Anzugträger ist so folgsam wie ein ein politischer Gefangener in einer Militärdiktatur nach mehreren Wochen Folter.
„Dass Sie an einem Werktagsabend so weit hinausfahren, um unsere letzte Vorstellung zu sehen, da darf man sich doch direkt geehrt fühlen! Macht es Ihnen denn keine Umstände? Sie sehen aus, als hätten Sie im Beruf einen ÄUSSERST verantwortungsvollen Posten inne, da muss man doch am nächsten Morgen vorbereitet sein!“
„Es…es ist Samstag.“
„Ach, was bin ich doch heute wieder schusselig, entschuldigen Sie bitte meinen dummen Fehler! Aber einen äußerst verantwortungsvollen Posten haben Sie doch bestimmt, oder? Jetzt nach rechts lenken!“
„Ich b-bin Manager.“
„Nein, wie beeindruckend! Und, wie läuft das Geschäft? RECHTS!“
Lange Pause. Er atmet laut aus.
„Hören Sie, wenn Sie mich um Geld erpressen wollen, ich habe kaum Banknoten dabei, ich -“
„Also wirklich, glauben Sie ernsthaft, dass es mir nur um Ihr Geld geht? Halten Sie mich für einen solchen Materialisten? Ich muss doch sehr bitten! Rechts!“
„In Ordnung. In Ordnung. ich weiß nicht, was Sie von mir wollen -“
„WISSEN, WIE DAS GESCHÄFT LÄUFT! Haben Sie mir etwa nicht zugehört?“
„Das Geschäft?! Oh, es…läuft gut. Nach den letzten Stellenstreichungen ist der Betrieb finanziell und personell entschlackter und kann viel effizienter arbeiten.“
„Na, das klingt doch nach erfreulichen Nachrichten! Halten den Betrieb auf Kurs, zahlen die Steuern, ernähren die Familie. Sie haben doch Familie, oder? Rechts!“
„Ich, ja, ich habe -“
„Seien Sie so gut und stellen doch bitte das Autoradio wieder an. Oh, ein wunderbares Lied! Leave today, I won’t change my way…“
„Ich habe Frau und Kinder…he, was machen Sie da?“
Aus seiner Jackentasche habe ich das Portemonnaie und daraus ein Foto herausgezogen, von einem überschminkten Mädchen mit dümmlichem Gesichtsausdruck, zu alt, um seine Tochter zu sein.
„Wie reizend! Ist das etwa Ihre Frau?“
„Was? Nein, ja. doch, das ist -“
„ICH FRAGE SIE JETZT NOCH EINMAL IN ALLER DEUTLICHKEIT, IST DAS IHRE FRAU?! REEEECHTS!“
„Also, ich. äh -“
„Weil das nämlich MEINE FRAU IST! Ja, auch wir Zirkusleute haben Familien, und nicht immer begleiten sie uns.“
„Das…das wusste ich nicht, ich wollte Sie nicht, äh, also, dass das Ihre Frau ist…“
Ich schaute ihn an und wie von zwei Fischerhaken gezerrt zogen sich meine Mundwinkel nach oben. So anrührend. Und so grenzenlos lächerlich.
„Heeeey, na, was ist denn los auf einmal? Sie brauchen sich doch nicht so zu fürchten! Ich habe mir bloß einen kleinen Scherz mit ihnen erlaubt! Einen Jux, einen Schabernack, verstehen Sie? Ich bin ein Clown, schon vergessen? Wenn Sie also bitte noch einmal rechts einbiegen würden…“
Nachdem wir einige Minuten im Kreis gefahren sind, kommen wir wieder am Parkplatz an, aber mein schweißgebadeter Chauffeur wider Willen hat durchaus Besseres zu tun gehabt, als das zu bemerken.
„Hehe, ja, heh…ein Scherz. Die Scherze sind bei euch immer sehr gelungen, muss ich sagen. Doch, ich mochte das. Auch die Freakshow fand ich hervorragend, heh, heh…“
Ein besseres Stichwort für mein Grande Finale hätte er mir gar nicht geben können.
„WAS haben Sie gerade gesagt?“
Seine Miene versteinert.
„Ich, ich habe Ihnen und Ihren Kollegen doch nur ein Kompliment gemacht…ein ehrliches Kompliment?“
„Los, steigen Sie aus.“
„Aber -“
„AUSSTEIGEN.“
Er ruckelt an der Tür, mir dauert das zu lange. Mit einem beherzten Tritt stoße ich die Tür auf meiner Seite auf, gehe um das Auto herum, reiße an seiner Tür, er stürzt hinaus. Im Fall packe ich ihn noch am Kragen, um ihn dann wieder mit dem Gesicht voran in den frischgefallenen Schnee zu schleudern.
„DIESE MENSCHEN, VON IHNEN GAR ABFÄLLIG ALS ‚FREAKS‘ BEZEICHNET, SIND WIE WIR ALLE KREATUREN GOTTES! WÜRDEVOLL UND WUNDERSCHÖN! UND HABEN SIE AUCH NUR DIE GERINGSTE AHNUNG VON DER KULTURELLEN SIGNIFIKANZ, DIE DIE CLOWNERIE IM LAUFE DER MENSCHHEITSGESCHICHTE ERLANGT HAT?!“
Während er zusammengekrümmt am Boden liegt und schützend seine Hände vors Gesicht presst, höre ich das Lachen von Klara und den Kinderchen hinter mir, außerdem Beatrices glockenhelle Stimme:
„Was machst du nur wieder hier? Musst du immer die Besucher erschrecken? Kannst du nicht einmal in deiner Koje bleiben, wenn du nicht gebraucht wirst, wie alle anderen? Los, komm mit, gleich ist die Show zu Ende.“
Ich lasse den Anzugträger vor seinem Auto liegen.
„In Ordnung.“

Ich habe ja ein paar Kommentare früher bereits darauf verwiesen, dass Herr Arno Strobl mir hier nochmal begegnen wird, nämlich bei seiner ehemaligen musikalischen Hauptdomäne Carnival In Coal. Was er da macht? Hauptsächlich wohl Mike Patton ersetzen, der investiert sein durch „Easy“-Tantiemen erwirtschaftetes Geld nämlich lieber in eine sich auf dem Flügel räkelnde Jennifer Charles und italienische Schlager, anstatt sich mit dem deutschen Crossoverzirkus abzugeben. Wobei: distinktiv zirkusmusikalisch ist „Don’t Be Happy, Worry“ gar nicht mal, wenn man die anderen Titel von Teil 1 des Samplers in Betracht zieht, eher schon middle-of-the-road-allgemeinbescheuert, aber ist ja auch schon was. Wichtig ist für das Allgemeinbescheuertzertifikat vor allem eine gewisse Unzurechnungsfähigkeit, was Stilkomponente und Übergänge angeht. Das haben die Jungs verinnerlicht, und so mischen sie Grindcore, Slipknot, Discofunk und Fahrstuhlmusik eben NICHT, sondern lassen die Versatzstücke ganz heterogen nebeneinander stehen. Kennst du eigentlich Waltari, Nik? Die kreuzten in den 90ern mitunter Metalgitarrengrätsche mit finnischer Folklore und Eurodance. Na, jedenfalls. Die ersten paar Durchgänge sind noch recht desorientierend, das ist gut und richtig so, weil die Wechsel geradezu forciert halsbrecherisch sind. Dann tritt die Gewöhnung ein, das ist auch gut und richtig so, man hat so langsam raus, wie lange man auf den dämlich eingängigen Refrain zum Stuhlgrooven warten muss. Jaja, ein Refrain, strukturell ist das Ganze nämlich durchaus durchschaubar und durchsetzt von so vielen Wiederholungen wie (gefühlt) ein David Guetta-Song. Deswegen ist das schleppende, von dissonant quäkenden Bläsern durchsetzte Ende auch der gefährlichste Part des Songs. Davor wird nämlich höchstens angetäuscht, einen Zentimeter vor dem Gesicht stoppt die fliegende Faust und stupst einen an die Nase. Oder, um bei der Bildsprache des (sehr witzigen) offiziellen Videos zu bleiben: die wollen einen gar nicht entführen und foltern oder menschenrechtsverletzende Experimente machen, die wollen nur eine Corpsepaint-Party schmeißen.
Ach ja, falls das nicht angekommen ist (ich werde immer schlechter darin, Komplimente zu geben): Nicht nur das Video fand ich sehr witzig, den Song durchaus auch. Ich weiß noch nicht, ob ich das brauche (finnischer Electroloremetal füllt mein Herz bereits aus), aber auf Songlänge hat die Band eigentlich einen ganz guten Eindruck hinterlassen.