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Novocaine

Registriert seit: 21.12.2007

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Na gut, dann werde ich mal der Klugscheißeritis nachgeben und etwas ausführlicher plaudern, vielleicht entwickelt sich ja doch ein nettes Gespräch.
Die von mir zitierte Stelle ist die kürzeste Darstellung des Umstandes, dass das Töten anderer Menschen im Krieg mit der Konstruktion von Feindschaften begründet wird. Kriege werden über die bereits erwähnten Vorstellungen einer Bedrohung oder durch Ansprüche auf Territorien legitimiert. Zumindest heutzutage läuft das entweder über nationale Identitäten, wie es jüngst auf der Krim geschah, durch Bedrohungsszenarien, z. B. Legitimation des Irakkrieges oder des Einmarsches in Afghanistan, oder unter Berufung auf moralische Instanzen, Stichwort Demokratievorstellungen, wobei eine Opposition oder ein um Hilfe ersuchendes Element im anderen Land die Legitimationsbasis stellt. Das ist stark vereinfacht dargestellt und hat fließende Übergänge, beispielweise Pakistan, wo eine Regierung unterstützt und eine Bedrohung durch Terrorismus bekämpft werden soll.
Wie Bibsch schon sagte, sind einige Fortschritte der Menschheit aus kriegerischen Bemühungen hervorgegangen. Ein Beispiel dafür ist die Luftfahrt, die in zwei Weltkriegen und im Kalten Krieg erhebliche Entwicklungen durchmachte, die ohne forcierte Unterstützung durch das Militär vielleicht nicht möglich gewesen wären. Das Töten von Menschen ist aber auch kein auf den Krieg begrenztes Phänomen. Allerdings würde ich nicht so weit gehen, es als natürlich zu bezeichnen. Jede Tat erfordert eine Legitimation, ich esse, um zu leben, ich arbeite, um mir essen leisten zu können. Wenn ich töte, legitimiere ich das zumindest vor mir selbst und was legitimierbar ist, wird mit der Sozialisation vermittelt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Töten unter gewissen Umständen als legitim gilt, in einem „gerechten Krieg“ zum Beispiel, aus Notwehr und so weiter. Nun gibt es davon unterschiedliche Auffassungen, die Verteidigung der Ehre, der Ehe, des Autos, für manche Menschen sind diese Dinge essenziell und insofern unter Umständen ist es für diese Personen legitim, dafür zu töten. Das hat nichts mit einer kaputten Psyche oder verrutschten Wertvorstellungen zu tun. Diese Urteile entstehen aus einer Gesellschaft heraus, die gewisse Werte über andere stellt. Ein einfaches Beispiel: Ein Mann ist in einem Autoclub, sein Vater hat ihn mit seiner Vorliebe für Autos großgezogen, sein Lebensumfeld wird von dieser Leidenschaft geprägt. Für diesen Mann ist sein Auto eine Priorität im Leben, er identifiziert sich damit. Der Mensch ist in hohem Maße von seinem Selbstbild abhängig, wird nun etwas sein Identifikationsobjekt gefährden, versucht der Mann es zu verteidigen. Natürlich ist das noch keine genaue Erklärung, warum jemand wegen eines Autos mordet, sofern man von einer bewussten Entscheidung für grundlegende moralische Prinzipien ausgeht. Da kann man mich nun Pessimist nennen, aber die wenigsten Menschen machen sich meiner Meinung ernsthafte Gedanken darüber, ob ihre Lebensmaxime etwas taugen.
Danke für die Aufmerksamkeit.

P.S.: @judith: Deinen Absatz zu Hass und Nächstenliebe beachte ich nicht, da ich beim Überfliegen nicht den Eindruck hatte, als würdest du die Beiträge deiner Vorposter wahrnehmen.

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