Re: Anddies Mottenkiste: Die 70er Jahre

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Slothrop

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King Crimson – Red (1974)

Robert Fripp – Guitars, Mellotron
John Wetton – Bass, Vocals
Bill Bruford – Drums, Percussion

with:
David Cross: Violin
Mark Charig: Cornet
Mel Collins: Soprano Sax
Ian McDonald: Alto Sax
Robin Miller: Oboe

Red / Fallen Angel / One more red nightmare / Providence / Starless

Es gibt Alben, die scheinen maximal konsensfähig zu sein. „Red“ ist eine solche Platte: Kurt Cobain hat sie geliebt, Steven Wilson hält sie für eine der besten Scheiben aller Zeiten, Ivar Björnsson ließ sich von ihr beim Songwriting von „Axioma Ethica Odini“ inspirieren; man könnte hier noch zig weitere Musiker mit ähnlichen Statements aufführen, aber lassen wir das. Fakt ist: Dieses Meisterwerk steht quer zu allem, was in dieser Zeit (wir sprechen vom Jahr 1974) mit Progrock tituliert wurde und gilt trotzdem als Höhepunkt dieses Genres.

Was war passiert? King Crimson betraten die Bildfläche mit einem Paukenschlag, als sie 1969 ihr Debüt „In the Court of the Crimson King“ veröffentlichten – so etwas hatte man bis dato noch nicht gehört. An Bartok in gleichem Maße wie an den Beatles und traditioneller angelsächsischer Folklore geschult, konfontierte man die Hörerschaft mit einem stilistischen Parforceritt durch sämtliche Bestände der E- und U-Kultur. Prompt meinte Jimi Hendrix, die beste Band der Welt sei hier am Werk, und die Stones luden die Crims als Vorband ein. Zum ersten und letzten Mal übrigens und, wie sich zeigen sollte, aus guten Gründen. Denn das Quartett legte die Bühne in Schutt und Asche, ihr Proto-Metal-Horrortrip „21st Century Schizoid Man“ zerfräste die Blütenträume der anwesenden Hippies, um ihnen die häßliche Fratze der Realität zu offenbaren: „Blood rack barbed wire / Polititians‘ funeral pyre / Innocents raped with napalm fire /Twenty first century schizoid man.“ Hier wurde klar: Es gibt kein gutes Leben im Falschen, Vietnam hatte jede Utopie einer friedlichen Welt ein für alle Mal zunichte gemacht. Die Band, die diese Bankrotterklärung annoncierte, wurde nun als nächste Supergroup gehandelt, die ihren Platz neben den Stones und den Beatles einnehmen sollte – aber es kam anders.

KC wurde zu einem höchst instabilen Experimentierlabor für die verqueren Exaltationen von Bandchef und Gitarrenhexer extraordinaire Robert Fripp. In der Folgezeit gaben sich die Musiker die Klinke in die Hand, was mitunter auch daran gelegen haben dürfte, dass der Philosoph auf dem Gitarrenstuhl (stehend spielten nur die Doofen) ein ziemlicher Stinkstiefel sein konnte, wenn die Posse mal nicht spurte. Erst mit „Larks Tongues in Aspic“ formierte sich wieder ein Line-up, das den Ansprüchen des Meisters genügte, ja mehr noch: das prädestiniert war, den 1969 begonnenen Sturm auf den Rock-Olymp endlich zu vollenden. Bill Bruford, John Wetton, David Cross und Robert Fripp rührten auf „Larks“ und dem Nachfolger „Starless and Bible Black“ ein explosives Gemisch aus schneidenden Riffs, komplexen rhythmischen Figuren und improvisierten instrumentalen Berg- und Talfahrten an, dem sie immer wieder Momente von berückender harmonischer Schönheit entgegensetzten. Die Tourneen gerieten zu Triumphzügen (nachzuhören auf der unglaublichen Liveplatte „The Night Watch“), allabendlich trieb sich die Formation zu Höchstleistungen an, stellenweise entfachte die Musik eine Intensität, die den Hörer in ihrer lodernden Unmittelbarkeit zu verzehren droht.

Doch wer mit dem Feuer spielt, läuft Gefahr, sich zu verbrennen, und so kam es dann auch: Das aufreibende Tourleben forderte seinen Tribut, Wetton und Cross kompensierten die Kämpfe auf und hinter der Bühne mit Schnaps und bolivianischem Marschierpulver in rauen Mengen, während der bekennende Drogenfeind Fripp sich angeekelt in seine Meditationsbücher versenkte und die Zugedröhnten mit Nichtbeachtung strafte. Trotz dieser widrigen Voraussetzungen ging man ins Studio, und vielleicht war die persönliche Hölle, die einige der Musiker damals durchmachten, einer der Gründe dafür, dass „Red“ Crimsons mit Abstand härtestes und düsterstes Album wurde und der Schwanengesang dieser Besetzung noch dazu. Danach war nämlich – für immerhin sieben Jahre – Schicht im Schacht. Unbesteitbar ist jedoch, dass „Red“ den Höhepunkt einer Entwicklung darstellt und alle Stärken dieser Band auf beeindruckende Art bündelt. Wetton hat weder vorher noch danach eindrucksvoller gesungen, Bruford nie explosiver getrommelt. Und was Fripp hier abliefert, spottet sowieso jeder Beschreibung. Es ist ein Album, das immer noch auf seltsame Weise „unproggig“ klingt und zu keinem Zeitpunkt Gefahr läuft, sich in Peinlichkeiten in der Art, wie sie beispielweise Yes und auch Genesis produzierten, zu ergehen. Und es ist ein Album, dem man anhört, das es unter den allergrößten Schmerzen geboren wurde.

Red: Instrumental. Heavy, dissonant, ungemütlich. Wettons durch die Fuzzbox gejagter Bass pflügt sich wie ein Bulldozer durchs Unterholz, während Fripp seine Les Paul mit größtmöglicher Dringlichkeit bearbeitet. Und Bruford lässt die Becken scheppern, dass es eine Art hat. Der Song transportiert eine sehr eigenartige, nervöse Fiebrigkeit, alle agieren im roten Bereich. Inkommensurabel.

Fallen Angel: Ein Tränendrücker vor dem Herrn, der sich zu einer wahren Monströsität entwickelt. Es beginnt mit Mellotrongrollen, bevor Wetton zu einer Jeremiade über Mord und Totschlag in den Straßenschluchten New Yorks anhebt. Fripp bestäubt das ganze mit etwas Feenstaub, den er aus seiner Akustischen hervorzaubert, bevor Hörner, Klarinette und Saxophon eine kleine Apoklaypse heraufbeschwören. Die wächst sich dann zum wahrhaftigen Armageddon aus, wenn Fripp die mittlerweile in kakophone Gefilde abgedrifteten Bläser mit unerbittlichen Stakkatoriffs in kleine Fetzen reißt. Manisch.

One more red nightmare: Bruford! Ratterratterpschtpiffpaffkssstdaggedaggedamm. Dieser Song gehört ganz dem Drummer. Trotz der Donnerriffs und des Zahnarztbohrers von Leadgitarre. Trotz der unglaublichen Saxophoneskapaden von Ian McDonald. Trotz der großartigen Gesangsleistung von Wetton. Muss man gehört haben.

Providence: Impro. Dräuende Mellotron- und Basstöne, eine zitternde Geige, jaulende Gitarrenleads: So muss es in Hieronymus Bosch‘ Hölle zugegangen sein. Langsam nähern sich die Instumentalisten einander an, man sucht eine Struktur, findet sie, und schlägt sie anschließend genussvoll wieder kaputt. Hier hört man das Kollektiv in the heat of the moment, unter Schmerzen entlockt Fripp seiner Les Paul kreischende Sustains, und David Cross‘ Geige bockt störrisch zurück. Wenn man die kaputten Vibes, die die Bandmitglieder zu dieser Zeit innerlich verheerten, irgendwo spüren kann, dann hier.

Starless: Der beste Song, der je aufgenommen wurde.

http://www.youtube.com/watch?v=dwP0Xs635iw

http://www.youtube.com/watch?v=bJzA9l1C2Xg&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=Wb2eESIeugQ&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=NC2WcRBwLow&feature=related

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"Out in a bloody rain to feed our fields Amid the Maenad roar of nitre's song And sulfur's cantus firmus." Richard Wharfinger: The Courier's Tragedy http://www.lastfm.de/user/mossmoon