Re: Eddies Plattenkiste: Millenium

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palez

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Hier geht doch noch was: Fell Voices


So viel schonmal vorab: Nein, diese Band ist eigentlich nicht wichtig. Sie hat nichts wirklich Entscheidendes zum Black Metal der Jahre 2000-2009 beigetragen. Dennoch hat sie mit ihrem Demo und ihrem Album (beide selbstbetitelt & 2008 erschienen) das beste veröfentlicht, was ich in dem Bereich seit dem Debüt und leider einzigen Album von Weakling gehört habe.
Ihr kaum über lokale (kaskadische) Grenzen hinausgehender Bekanntheitsgrad ist zu gewissen Teilen auch ihrem in der Szene manchmal als Integrität missverstandenen Veröffentlichungs-Habitus (Vinyl only, dazu auch nur bei Mailordern, auf die man ebenfalls nicht so ohne Weiteres stößt) geschuldet, gewissermaßen aber auch ihrer Musik. Mit traumtänzerischer Sicherheit haben sich Fell Voices in einen toten Winkel hineinmanövriert: sie sind modern in dem Sinne, dass sie aus den in den vergangenen Jahrzehnten neu erschlossenen Möglichkeiten schöpfen und weder Album noch Demo in den 90ern hätten veröffentlicht werden können, aber sie sind nicht trendy. Sie haben wenig eindeutige stilfremde Einflüsse, sind aber keineswegs Traditionalisten. Sie sind gerne mal ausufernd (über 15 Minuten ist Standard), nicht eben sofort zugänglich, weitblickend und komponieren ohne mentale Grenzen oder szenegebundene Dogmen, klingen dabei aber nicht mal wirklich experimentell. Sie sind wohl nicht wirklich innovativ, aber definitiv besonders. Um das Besondere an Fell Voices entdecken zu können, muss man einen guten Blick für Details und im gewissen Sinne eine grundsätzliche Toleranz/Schwäche für die typischen Stilmittel des Black Metal haben, um einerseits die Referenzen deuten und andererseits die zentralen Unterschiede bemerken und das Gesamtwerk genießen zu können (ich hoffe mal, das wird jetzt nicht als falscher Szene-Elitarismus interpretiert, haha).

Einer dieser zentralen Unterschiede, eigentlich sogar der größte und wichtigste, ist das Drumming. Nie hätten diese beiden Releases mit einem Drumcomputer funktionieren können, das Schlagzeugspiel hat einerseits eine Unberechenbarkeit und Energie an sich, die nur von menschlicher Hand generiert werden können, andererseits aber auch eine schier erschlagende Intensität, Manie und Vehemenz, die der Musik etwas fast Weltentrücktes und Unmenschliches verleihen. Weit jenseits des herkömmichen Dauerblastbeats entsteht hier ein infernalischer Sog, pausenlose und sich stets am Gipfel des Erträglichen befindene Ekstase, ein stetes inneres Lodern, eine Unendlichkeit zwischen Tornado und Trance. Besonders beim Demo (und da vor allem bei „In The Hands of a Blind God“) wird dieses tranceartige Flair in den Vordergrund gestellt, das Hängen in der Luft zwischen dem spannungsgeladenen, labilen Gleichgewicht von absoluter Ruhe und der nächsten Eruption, die tiefe Hypnose. Durch die Kombination von diesem wunderbar originellen Drumming und durch sorgfältige, geringe, aber bedeutende Tonverschiebungen in allen Spektralfarben schillernden Melodieansätzen entsteht ein musikalischer Mahlstrom, der öfters mal eine erstaunliche Nähe zu Bands wie Menace Ruine, aber auch teilweise Minsk oder gar The Angelic Process aufweist. Fast mehr noch als an den Songs selbst liegt diese Verwandtschaft zu Drone und Noise aber an der Produktion. Hier versteht man auch vielleicht, was ich mit muss man […] im gewissen Sinne eine grundsätzliche Toleranz/Schwäche für die typischen Stilmittel des Black Metal haben, um […] das Gesamtwerk genießen zu können meinte. Einer Person, die sich mit dem Black Metal bisher kaum bis gar nicht beschäftigt hat und seine Eigenheiten nicht kennt oder nichts für sie übrig hat, wird nicht das Besondere dieser auf dem ersten Blick so arttypischen LoFi-Produktion auffallen, aber selbst der Tue Madsen-Fan von nebenan wird erkennen, ohne den Grund dafür benennen zu können, dass diese Musik nicht anders klingen soll, darf und kann als hier vorgeführt. Das Highlight ist hier mal wieder das Drumming bzw. eher die erstaunliche, aber eigentlich auch folgerichtige Art und Weise, wie man es betont; nicht nach BM-Drummer, eher nach archaischen Kriegstrommeln klingt das Schlagzeug hier, nach Kriegstrommeln als musikalische Begleitung der Apokalypse. Wie das wohl live erst wirken muss… Ich habe zudem in diesem Subgenre noch nie einen solch…ja, räumlichen Klang gehört; die Schlucht, die insbesondere das Album in den Erdboden reißt, hat die Weite und Tiefe des Grand Canyon. Die klangästhetische klaustrophobische Enge des Demos trennt es vom sich ausbreitenden Klang des Albums, während das Demo eher vom Rauschen überlagert ist, aber einen grundsätzlich warmen Gesamtklang hat, kehrt das auch in songwriterischer Hinsicht aggressivere Album seine Dornen nach außen, akzentuiert den Lärm und signalisiert die Gefahr, wenn man sich ihm mit Kopfhörern zu stark annähert.

Die zuvor ohne wirkliche Verbindung genannten Weakling, meine ewig unerreichbare Messlate im Berech des Black Metal, müssen nun als Hauptreferenz herhalten, wenn es darum geht, Fell Voices zu beschreiben und die Musik stilistisch einzugrenzen, einerseits aufgrund der gemeinsamen songwriterischen Brillanz, omnipräsenten Spannung und des richtigen Gefühls für große, ergreifende Melodiebögen (wobei bei Fell Voices das epische Moment seltener ist) und effektive Dynamik, andererseits aber auch aufgrund des Umwehtseins von Verzweiflung, Nervenkollaps, Tod und Wahnsinn. Das Talent, aus strengster Monotonie und Reduktion noch neue, interessante Aspekte zu schöpfen, haben Fell Voices mit den besten Momenten von Paysage d’Hiver gemeinsam, ihre Kompromisslosigkeit in der Ausführung vielleicht noch mit S.V.E.S.T. Bezeichnenderweise habe ich (ungleich bekanntere, gebe ich zu) Liebhaberbands als Vergleiche herangezogen, um eine Liebhaberband zu beschreiben und für die Zielgruppe interessant zu machen. Bleibt nun nur noch zu hoffen, dass die angesprochenen Liebhaber auf Fell Voices aufmerksam werden.

http://www.myspace.com/hmnxresources
http://www.myspace.com/fellvoicesca

Ich hoffe, es geht in Ordnung, dass ich die beiden Veröffentlichungen in einem Review abgehandelt und sie innerhalb dessen selten wirklich getrennt besprochen habe.