Re: Anddies Mottenkiste: Die 70er Jahre

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palez

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Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von „Raus aus den Schulden“! Heute mit palez, die Nezyrael einen Senftopf zu The Stooges – Fun House serviert.

Bei oberflächlicher Betrachtung kommt man wahrscheinlich leicht auf den Gedanken, die Hauptmotivation der Protopunks und sich in ihrem Umfeld bewegender Rockmusiker sei es gewesen, harmoniesüchtige Hippies zu ärgern. Hinter der Entdeckung der Gewalttätigkeit und des Zynismus steckten dabei ähnliche Ansichten, und The Stooges, die als The Psychedelic Stooges ihre ersten Konzerte spielten, sind ein gutes Beispiel für personelle Verknüpfungen und eine tiefe und komplizierte Beziehung. Wenn man nun in der Retrospektive unbedingt einen Schnitt machen möchte, dann setzt man am besten an Woodstock und dem Kommerzialisierungsmoment an. Was von Gegen- zur Massenkultur wurde und nach Kitsch und Esoterik zu stinken begann, musste eben entsorgt werden.
Ende der 60er bis Anfang der 70er gab es drei hauptsächliche rockmusikalische Gegenentwürfe für die, die sich weder mit der bürgerlichen Gesellschaft noch mit Flower Power identifizieren konnten. Anfang 1970 hatten Räucherstäbchenschwinger und Sittenwächter vor der Teufelssymbolik und Riffgewalt von Black Sabbath wohl am meisten Angst. Diese war dabei zunächst nicht mehr als nur Symbolik, eine Verkleidung, die nicht einmal ganz bewusst und freiwillig getragen wurde, der Werdegang der Band war geprägt von Kontrollverlust und Zufall – was für den daraus entstandenen Metal sehr bezeichnend und symptomatisch ist. Die textlichen Abgrundexplorationen um Prostitution, Tod und Drogensucht von The Velvet Underground erwischten einen mit größerer Zielsicherheit am eigenen wunden Punkt. Ihre Kunsthochschulendistanziertheit bewirkte allerdings, dass ein Großteil derer, die sich von ihnen hätten provoziert fühlen können, das Wesentliche nicht verstand.
Der Aufgabe, Rockmusik wirklich gefährlich zu machen, nahmen sich also The Stooges an.

1969 wurde Woodstock die ultimative Hymne jugendlicher Desillusion gegenübergestellt: die Bestandsaufnahme „1969“ enthält Zeilen von ikonischem Nihilismus und erstaunlicher Beiläufigkeit, „No Future“ auf den Punkt gebracht. „We Will Fall“ wuchs dank Produzent John Cale (maßgeblich an den ersten beiden The Velvet Underground-Alben beteiligt) zu einer zehnminütigen Liturgie zwischen „The End“ und Nico-Klangruinen aus. „I Wanna Be Your Dog“ ist der vermutlich düsterste Rocksong der 60er; allein diese splittrigen, absichtlich unterproduzierten Gitarren ziehen einem jeden einzelnen Zahn ohne Narkose.
Das selbstbetitelte Debüt der Stooges war dabei ein Album, das sich vor allem in Details und Attitüde von der Konkurrenz unterschied. Bei näherer Betrachtung waren „1969“ vielleicht auch nur ein böseres „Sympathy for the Devil“, das Bandfoto auf dem Cover eine profitable Doors-Reminiszenz, Groove und Tanzbarkeit den Stücken nicht fremd. Der entscheidende Schritt sollte ein Jahr später mit „Fun House“ vollzogen werden; mit diesem Album wurde Rockmusik von innen gesprengt.

Während ihrer kurzen Karriere standen die Plattenfirmen The Stooges eher im Weg, als dass sie ihnen wirklich halfen. Nachdem man sie unter Vertrag nahm, behielt man sie scheinbar nur widerwillig, als hätte man nicht gewusst, worauf man sich eingelassen hat. Erst nachträglich ließ sich schließlich erahnen, was aus dem Debüt und „Raw Power“ hätte werden können, wäre alles von Anfang an so gelaufen, wie es Band und prominente Unterstützer gewollt hatten. Im Falle von „Fun House“ haben diese Produzenten und Marketingleute aber vieles richtig gemacht, vielleicht ohne dass sie es zu dem Zeitpunkt wirklich absehen konnten.
Es erwies sichr rückblickend zunächst als ein wahrer Glücksfall, dass man für die Produktion eine wenig erfahrene Person einstellte und diese auf die Idee kam, im Studio eine Live-Situation zu generieren. Durch den selbstinszenatorischen Wahnsinn von Fronter Iggy Pop und seine Aktionen (von Erdnussbutter auf der Brust über Selbstverletzung) stiegen The Stooges schnell zur berüchtigsten Liveband ihrer Zeit auf. „Fun House“ gelingt es von allen Alben am besten, diese Stimmung auf Studioalbum-Format zu übertragen.
Dann griff die Plattenfirma auch in ein vorläufiges Ergebnis der Songreihenfolge ein und stellte „Down on the Street“ vor „Loose“. Es mag nach einem unwesentlichen Korrektureingriff klingen, aber damit zementierte sich eine Albumdramaturgie, die schon fast (aber eben nur fast) als Konzept durchgehen könnte.

In seiner Struktur ist „Fun House“ eine Abwärtsspirale, unterteilt in drei entscheidende Stimmungsabschnitte. Im ersten Abschnitt hat man mit seinen Droogs vielleicht gerade die Korova-Milchbar verlassen und zieht durch nächtliche Großstadtstraßen, ritzt mit dem Messer beiläufig lange Linien in parkende Autos. „Down on the Street“ lässt den späteren Exzess lediglich erahnen, seine Rhythmik ist von einer roboterartigen Strenge, die nichts mehr von der tänzerischen Lockerheit des Vorgängers weiß. „Loose“ ist musikalisch viel beladener, Ron Ashetons Gitarre geht im Hintergrund ihre eigenen Wege. Das rhythmische Fundament ist dabei immer noch von einer beunruhigenden Monotonie, die den Song innerlich zerreißt und von sich selbst entfremdet. „T.V. Eye“ setzt mit einem markerschütternd manischen Schrei Iggy Pops ein und über die unbeeindruckt ihr Rifffragment durchspielende Gitarre legen sich Drums, die dem Song eher sein Leben aus dem Leibe prügeln wollen, als ihm irgendeinen Halt zu geben. Rockmusik ist hier keine musikalische Untermalung von sorglosem jugendlichen Eskapismus mehr; hierzu konnte man nicht tanzen. Der Zeitpunkt, an dem das Album erst richtig losgeht und unaufhaltsam in den Abgrund taumelt, beginnt ziemlich genau bei 2:35. Die Gitarre setzt aus, Drums und Bass prügeln weiter auf den Hörer ein, es entsteht eine bedrängende Leere im Songgefüge, die mit Schreien und Zischen gefüllt wird. Bevor das teuflisch eingängige Gitarrenriff wieder einsetzt, gibt es mehrere Sekunden furchterregender Stille. Dieses schwarze Loch, das da mitten im Song klafft, ist ein Tunnel zu einer veränderten Wahrnehmung, der Realität wird der letzte Rest ihrer hübschen Fassade heruntergerissen.

„Dirt“ vertont schließlich Kopf- und Gliederschmerzen, die erschlagende Erkenntnis der „danach“-Isolation, den großen Hangover. Über die zerschlissenen Arme des Stücks fließt das Blut des Blues‘, der Drumbeat ist starrköpfig langsam. Ron Asheton an der Gitarre und Dave Alexander am Bass füllen den Song mit Melancholie und Erschöpfung auf. Es sind unerwartete Stimmungen im Stooges-Universum, aber dargeboten mit einer solchen Angeschlagenheit und Verkommenheit, dass sie sich wieder hervorragend machen als Albumbaustein. Der Kampf geht nach dieser siebenminütigen vertonten Verwahrlosung weiter, im vielleicht besten Stück des Albums, „1970“. Die Kampfhaltung ist dabei sowohl nach außen als auch (und vor allem) nach innen gerichtet; in keinem anderen Song von „Fun House“ wird so deutlich, wie zersetzend das Album und der Aufnahmeprozess auf die Band gewirkt haben muss. Man kann kaum noch sagen, dass hier überhaupt noch eine Band miteinander spielt, diese Band, die sich nach diesem Album konsequenterweise für drei Jahre aufgelöst hat, spielt gegeneinander. Scott Ashetons Drumming und Dave Alexanders Basspiel sind aufeinander gerichtete Geschosse, gewollt untight und frei von Groove. Einig sind sie sich lediglich darin, dass sie der Schrammelgitarre von Ron Asheton kein auch nur annähernd stabiles Fundament bieten wollen. Iggy Pop verliert darüber endgültig die Nerven, kreischt das in diesem Zusammenhang abslut zynische „I feel alright“ auf eine Weise, die nichts Menschenähnliches mehr an sich hat. Der erneute Stimmungsumschwung und der Zeitpunkt, in dem die dritte Phase musikalischer Komplettvernichtung beginnt, lässt sich auch hier ziemlich einfach feststellen. Dann nämlich, wenn Steven Mackays Tenorsaxophon einsetzt, wird ein brennendes Streichholz in einen Benzinkanister geworfen, Menschen und Song verbrennen bei lebendigem Leibe. Die Pforte zur Hölle.

Ginge man nach dem Entwurf des Titelsongs, sieht die Hölle ungefähr so aus: In einem Nachtclub, in dem immer wieder brennendes Holz von der Decke rieselt, spielt eine Rockband gegen einen Jazzsaxophonisten an, beide nach in etwa einer Woche Schlafentzug. James Brown sollte hier eigentlich auftreten, sein Körper ist Zentrum eines Ritualfeuers in der Mitte des Raumes. Kurzerhand klettert ein knochiger Heroinjunkie auf die Bühne, schnappt sich das Mikrophon, greift sein „I feel alright“ von vorhin wieder auf. Seine Augen baumeln am Sehnerv aus ihren Höhlen. Auf seinem Bauch klafft eine große, blutende Wunde. Die Musik geht weiter – es gibt Versionen von disem Improvisationsinferno, in denen es elf Minuten (anstatt 7:45 wie auf dem offiziellen Albumtake) dauert. Ab „L. A. Blues“ geht dann nichts mehr. Nicht als Song, als eine einzige Kakophonie stürzen die Töne aus den Lautsprechern, eine Lawine aus entfesseltem Kreischen, kaputten Instrumenten, rostigem Metall, frischem Blut, Feedback und Noise. Operation gelungen, Patient tot.

Auf diesem Album haben sich The Stooges auf ähnliche Weise als Album- und Selbstzerstörer erwiesen, wie sich Thomas Bernhard regelmäßig als Geschichtenzerstörer erwiesen hat (und erzielen den gleichen durchschlagenden Effekt wie Wiens berühmteste Meckerelse). Hier gilt nichts mehr, was Rockmusik bis dahin ausgemacht hat, danach gilt vieles, was man damals noch nicht für möglich gehalten hatte. Natürlich haftet an solchen Bands oft das „ihrer Zeit voraus“-Stigma, und gemessen an der Anerkennung, die sie einige Jahre später von allen Seiten erhalten sollten, waren The Stooges zunächst auch absurd erfolglos. Lange genug gab es für ihren Musikentwurf aber auch kein geeignetes Publikum, mit der Musik und ihrer Ausstrahlung schaffte es die Band, sowohl zu abgehoben als auch zu primitiv zu sein. „Fun House“ fängt vor allem durch seine Saxophonexzesse diesen inneren Widerspruch ein. Es war womöglich gerade dieser innere Widerspruch, der die Band für die erste Punk-Generation so unermesslich wichtig machte. Es war aber auch genau das, was von den ersten Engstirnigen und Dogmatikern der Szene nicht verstanden wurde. Wäre „Fun House“ 1978 erschienen, hätten Punks es gehasst. Jener innere Widerspruch hat auch eine Teilschuld an der Nichtreproduzierbarkeit des Albums; kein Garage Rock-Revival und keine Schwedeninvasion konnte transportieren, was hier im Mai des Jahres 1970 an musikalischem Totalschaden aufgenommen wurde. Was „Fun House“ endgültig zum Klassiker macht, ist sein Geheimnis vor Publikum und Musikindustrie. Es ist kein Werk von Berechnung oder eines klaren Verstandes, man kann sich kein zweites Mal in den Zustand bringen, in dem man ein solches Album aufnimmt. Egal, durch wieviele Musikervenen das Blut von The Stooges floss und fließt – hier findet etwas statt, was man nicht zu einem Stilmittel ausbauen kann.

In den drei Jahren zwischen „Fun House“ und „Raw Power“ fand Pops erste schicksalhafte Begegnung mit David Bowie statt, der für die Band und Iggy Pop solo nun teilweise als Mentor agierte und der (bzw. dessen Management) großen Einfluss auf die Entstehung des Stooges-Drittwerks nahm. Das wohl größte Verdienst des Albums ist das Zugänglichmachen der Unterproduktion als probates Stilmittel im Rockbereich. 1976 war dann tatsächlich für lange Zeit Schluss, bis sich die Band im neuen Jahrtausend erst zu einzelnen Konzerten, dann zum Reunion-Album „The Weirdness“ wiedervereinigte.

http://www.youtube.com/watch?v=_SD-uF8uisA
http://www.youtube.com/watch?v=zxYXV2RrwIs
http://www.youtube.com/watch?v=hNVmV3KtrSc
http://www.youtube.com/watch?v=8bX275Crxxc

PS: Nächstes Mal mit mehr Musik und weniger Vorgeschichte. ^^