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Muse – Bliss
So. Ich habe nun also das Vergnügen (?), mich durch Tiz‘ Dschungel von einem Sampler durchzuschlagen wie Rambo mit der Machete. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich erst nicht genau wusste, was ich davon halten soll. Ich kann Tiz Geschmack nämlich furchtbar schlecht einschätzen, da wir sehr viele Gemeinsamkeiten haben – und mindestens genauso viele Unterschiede.
Aber gut. Der Sampler beginnt mit Muse. Muse. Tiz, du hast gewonnen.
Für alle die Muse nicht kennen eine Einführung und mein aufrichtigstes Beileid. Vor allem mein Beileid.
Muse sind eine Dreimann-Band aus England, welche eine Mischung aus Indie- und Alternativerock, Electronica und allerlei Anleihen an klassische Musik, Heavy Metal, Space Rock und Prog spielen.
Bliss ist von ihrem zweiten Album Origin of Symmetry (2001) und gut ohne Ende.
Man beginnt mit einem herrlichen, klaren Pianoarpeggio, welches aber schon nach wenigen Sekunden einem total abgespacten Synthieorgelelectroarpeggio weicht – welches sich dann auch konsequent durch den ganzen Song zieht, mal etwas höher, mal etwas tiefer gespielt.
Schon hier schwebt man ein wenig im Weltraum, und das Gefühl zieht sich durch das ganze Lied.
Es folgt das einsetzen eines monoton gespielten Schlagzeuges und des dominanten Bassspiels, welches Bliss in den Strophen führt.
Bellamys unverwechselbare und schwer zu beschreibende Stimme (irgendwo zwischen etwas zu hoch, fast gesprochen und Britpop) setzt ein, und sagt eigentlich schon sehr schnell alles, was ich über Bliss denke: „Everything about you is so easy to love.“
Nochmal viel besser als die Strophen ist aber der Refrain – der Bass zieht sich etwas zurück, die Synths erobern das Klangbild und Bellamy Stimme schraubt sich in Falsetto-Höhen als gäbe es keine Schmerzgrenze. „Give me all the bliss and joy in your mind.“
Und dann halt mal so’n richtig catchiges Riff reingehauen.
Noch eine Strophe.
Noch ein Refrain – dieses Mal sogar drei Zeilen.
Alles setzt aus, nur die Spacesynths plappern unbeirrt vor sich hin. Verheißungsvoll bollernde Schläge, seichtes Wispern – Reeeefraaaaaaaaain. Spacesynths. Ende.
Könnte ich ehrlich gesagt den ganzen Tag in Dauerschleife hören – hab ich auch schon getan.
Einer der ganz großen Songs einer ganz großen Band. Tiz, du gehörst ab jetzt offiziel zu den supercoolen Kids.
Sophie Hunger – LikeLikeLike
Name sagt mir nichts. Gar nichts. Wikipedia sagt eine Schweizer Singer-Songwriterin und Schauspielerin. Hm. Sagt mir trotzdem nichts. Das Lied ist scheinbar vom 2012er Album The Danger of Light. Auch das sagt mir nix.
LikeLikeLike beginnt mit brummigen Bass, ratterndem Geschlagzeugse, süffisantem Piano und aufgesetzt tiefer Frauenstimme. Hat so einen 20er-Jahre Salon-Charme.
Die Herren sitzen in Anzug und Schlips auf den Stühlen an den strahlend weißen Tischen.
Eine mit rotem Samt ausgelegte Bühne, auf der eine junge Frau in weißem Kleid mit Pelzmuff steht. Sie schaut in die Menge, den Blick immer wieder auf einem der jungen Männer sitzend.
„I know I’m not s’pposed to look at you the way I look at you. I know I’m not s’pposed to look at you the way I look at you.“ Sehr elegant und entspannt, gefällt mir so gut. Der Refrain ist, zumindest für mein Hörempfinden, doch etwas ungewöhnlich. Auf ein (weitaus höher gesungenes) „And I sing“ folgt ein von tief zu hoch schraubendes, mehrstimmig gesungenes „LaLaLaLaLaLaLaLaLa, I like to see you.“
Das dann mehrmals. Die Stimme wirkt hier natürlicher, und irgendwie gefällt mir dieses rumgelalle sogar richtig gut.
In der zweiten Strophe singt Frau Hunger auch so, wie ich mir ihre normale Singstimme vorstelle.
Unglaublich angenehme, sanfte Stimme, recht hoch, trotzdem irgendwo leicht kantig, beziehungsweise rauchig. Sehr toll.
Wieder ein Refrain, und dann eine Maultrommel, denke ich zumindest, die munter vor sich hinschnattert. Sozusagen ein Maultrommelsolo.
Dann wird es still, und LikeLikeLike endet mit einem erneuten LaLaLa.
Ich bin gut gelaunt, und fühle mich ein Stück weit glücklicher. Mission erfüllt.
The Clash – Koka Kola
Mit The Clash treffe ich wieder auf eine mir bekannte Band. Erste Welle britischen Punkrocks, eine der bekanntesten Bands da neben den Sex Pistols und Ramones (auch wenn die aus den Staaten kamen). Die kennen eigentlich alle.
Koka Kola ist von ihrem bekanntesten Album London Calling, und auch wenn es dem titelgebenden Song nicht das Wasser reichen kann, macht es ordentlich Spaß und gute Laune. Was auch sonst bei einem Lied über Kokain.
Schon alleine der Text ist ein Traum, spielt mit Klischees und Bildern, wie dem Manager in “…snakeskin suit and your alligator boot.“.
Herrlich. Musikalisch ist das ganze recht unspektakulär – aber das kennt man von The Clash ja so.
Dominanter Bass (wen wundert es da, dass die Briten den Post Punk erfunden haben), eine unterdrückte Gitarre, die versucht mit kleinen Spielereien auf sich aufmerksam zu machen und rasselndes Getrommele. Dazu Strummers kratzig-raue Stimme, welche so vor sich hinredet, mal etwas hochgeht, oder auch einfach mal ganz verkackt und in den Keller geht. Zwischendurch etwas hoher Backgroundgesang. Passt und reicht so, mehr muss und sollte da gar nicht sein.
Und wem das nicht spannend genug ist, hier ein Tipp:
„I get my advice from the advertising world, treat me nice says the party girl.
Koke adds life where there isn’t any – so freeze, man, freeze…“
Ich mag die einfach.
Sonic Youth – Kool Thing.
Wieder mal ein doch bekannterer Name. Ich mag Sonic Youth, hab mich aber noch kaum reingehört, und somit angesichts ihrer 1000000 Phasen auch keinen wirklichen Überblick.
Kool Thing kommt vom Album Goo (1990), und ist in erster Linie ein ziemlicher Noiserockbrecher.
Tiefe dröhnende Gitarren, die ein verboten catchiges Riff wiederholen, während der Bass im Hintergrund rumbrummelt.
Der erste Song des Samplers mit tatsächlich gespieltem (und nicht in Dauerschleife stehenden) Schlagzeugspiel. Darüber dann Kims Stimme. Klingt wie Johnny Cash mit Brüsten, könnte man sagen. Größtenteils spielt das Lied so vor sich hin, bis auf ein recht langes, ruhigeres Intermezzo in der Mitte, welches einen Dialog mit einer nicht in Erscheinung tretenden Person darstellt.
Der Titel sagt es sehr gut – das Lied ist einfach cool. Lässig. Was auch immer man da für Worte verwendet.
Kool Thing wirkt abweisend und abgeklärt, und gerade dadurch irgendwo unheimlich verführerisch.
“Kool Thing let me play it with your radio. Move me, turn me on, baby-o. I’ll be your slave.“
Dazu kommt dann noch der Refrain, der quasi aus der immer wieder wiederholten (heiliger klingt das doof) Zeile „I don’t wanna… I don’t think so…“ besteht. Irgendwie gut.
Und irgendwo erinnert es mich bei jedem hören an einen tumblr-Post. Und Dinge, die mich an tumblr-Posts erinnern, finde ich generell immer sehr toll.
mcchickened:[INDENT]i wish i could be 1 of those girls thats really badass and hard to get and stuff like the ones in movies that wear leather jackets and smoke cigarettes and when the guy tries to get with them theyre like “yea right keep dreaming” like if a boy ever wants to sleep wiht me i will just be like yes lets go
Denn das beschreibt das Lied eigentlich perfekt, also der erste Teil, nicht der traurige.
Kool Thing passt irgendwie in den Sampler, aber eigentlich auch nicht. Fröhlich finde ich es nämlich eigentlich nicht – vor allem im Vergleich zu Koka Kola und Dashboard. Dennoch passt es irgendwie rein, und funktioniert super im Samplerkontext. Weird as shit.
Modest Mouse – Dashboard
Hands down, Tiz hat den Sampleraustausch sowas von gewonnen. Was oder wie, egal. Aber gewonnen. Ich.liebe.Modest.Mouse. Und.ich.liebe.Dashboard.
Aber gut, auch hier wieder eine kleine Einleitung für alle bedauernswerten, die die Band nicht kennen. Modest Mouse sind eine Indierockband aus Washington, Dashboard vom 2007er Album We were dead before the Ship even sank.
Sommerliches Gitarrenspiel und stampfendes Schlagzeug leiten ein, und der Gesang legt sich schön drüber. „Well, it would’ve been, could’ve been worse than you would ever know. Oh, the dashboard melted, but we still have the radio.“
Schon hier schrammelt sich immer mal wieder eines der fiesesten Ohrwurmriffs aller Zeiten ein.
Langsam fügen sich immer mehr Instrumente ein, erst der Bass, dann mit der wundervollen Zeile „Well, you told me about nowhere well it sounds like someplace I’d like to go.“ eine fröhliche Trompete. Wechsel zwischen hohem Wispern und kräftigem Gesang, Streicher, die an Strand und Sonne erinnern. Dashboard blutet gute Laune aus jeder Pore.
Starke Parts im Wechselspiel mit verträumten, ruhigen Passagen mit blubbernden Synthies.
“Every dawn you’re surprising, and in the evening one’s consoling. Saying „See it wasn’t quite as bad as““
Ich weiß gar nicht, wie ich am besten beschreibe, wie gut das Lied eigentlich ist.
Die Riffs mit Ohrwurmgarantie, die orientalischen Streicher, die überschwängliche Trompete, der stepptanzende Bass und die verträumten Streicher zu dieser Stimme, welche weder harmonisch noch klar ist, und gerade dadurch so gut wird.
Dashboard wirkt wie ein riesiges, gut gelauntes Multikultifestival, in der jeder Mal so reinspringt, wie er will. Aber gerade dass ist eben das gute daran.
Modest Mouse schaffen hier das, was 90% moderner Indiebands gerne seien würden.
Dazu dieser schon verboten positive und lebensbejahende Text. Das Lied kann einfach alles.
Definitiv der Stimmunghochpunkt von Tiz Sampler, und außerdem mit Abstand von den mir bekannten Sachen das beste. Einfach.geil.hört.es.euch.an.ob.ihr.es.kennt.oder. nicht.sofort.
Yes – Heart of the Sunrise
Nachdem ich nach Dashboard überglücklich im Bett rumhüpfe, kommt jetzt das, wovor ich mich am meisten gefürchtet habe – klassischer Prog Rock aus den 70ern. Ich weiß, das Tiz auf sowas steht – und ich weiß auch, dass ich das nicht tue.
Yes, mal wieder Briten, gehören wohl zu den bekanntesten Bands aus dem Bereich, glaube ich zumindest. Und mit Heart of the Sunrise sehe ich mich auch sofort einem 11 Minuten langen Monster ausgesetzt. Ehrlich gesagt – beim ersten Hören des Samplers hab ich den Track nach der zweiten Minute geskippt, weil ich mir das zu dem Zeitpunkt einfach nicht geben konnte.
Kommen wir erstmal zum objektiven – ob man es mag oder nicht, man kann nicht abstreiten, dass hier sämtliche Musiker ihre Instrumente virtuos beherrschen. Komplexe Melodien werden mit einer beeindruckenden Leichtfüßigkeit rübergebracht, das Keyboard legt sich sphärisch über das Geschehen, und das Schlagzeug spielt mit einem Feingefühl und so gut eingepasst, dass es fast wehtut. Die ganzen kleinen Ausbrecher, Spielereien, Pausen und Wechsel sind gelungen in Szene gesetzt, so dass das eigentlich sehr komplizierte und facettenreiche Stück leicht verdaulich wirkt.
Das kann man der Band einfach nicht abstreiten. Schnelle, wiederholte Frickeleien wechseln sich mit langen, ruhigen Passagen ab, dann etwas psychedelisches Gespiele.
Auf mich als Unkenner wirkt Heart of the Sunrise wie eine Mischung aus Primus und der Allman Brothers Band auf LSD. Die elf Minuten vergehen auch eigentlich erstaunlich schnell.
Dennoch packt mich das so gar nicht, versetzt mich in keinerlei Stimmung und joa. Ich weiß nicht, es läuft einfach an mir vorbei.
Dazu kommt, dass der Gesang für meinen Geschmack gar nicht geht. Das klingt für mich teilweise wie Prince Herbert aus Monty Python and the Holy Grail:
Und so kommt nach viel Licht der erste Schatten in Tiz Sampler. Tut mir leid, du. Aber das ist einfach nichts für mich.
Yndi Halda – A Song For Starlit Beaches
Wir nähern uns dem Ende der Freude. Seichte Gitarren und melancholische Streicher leiten das Finale des ersten Aktes ein.
Yndi Halda sagt mir nichts. Laut Wikipedia handelt es sich dabei aber um eine britische Postrockband – und genau dass ist es, was ich hier zu hören bekomme.
Postrock. Keine xte Studentenwahwaheffektband oder generischer Explosions in the Sky-Klon, sondern ein zwanzigminütiges Abenteuer mit ganz eigenem Charme.
Wechsel von tragischen Streichern und gefühlvoll gespieltem Piano, weite Klangfelder in Shoegazemanier. A Song for Starlit Beaches macht seinem Namen alle Ehre. Stimmungstechnisch wird nämlich genau dieses Bild eingefangen, zwischen Schönheit und schleichender Trauer.
Nach einem langen Klimax, welcher nach sieben Minuten einfach in sich zusammenfällt, folgen Klaviertasten, die ins leere klingen, bis sich Streicher und Bass, so wie schüchterne Percussion dazugesellen – schleppend, und atemberaubend emotional.
Vor allem die Streicher fesseln mich, klingen bekannt aber doch irgendwo fremd.
Eigentlich hat das für mich alles, was Postrock haben muss. Dichte Atmosphäre, schöne Melodien, spannend und abwechslungsreich, kurzweilig und inspirierend.
Im Hintergrund ertönen Bläser, während die Musiker sich den Sternen entgegenstrecken und ein Zusammenspiel aus Schnelligkeit und Kraft das Stück in neue Höhen drückt, Hoffnungsschimmer in die dunkle Nacht wirft und sich selbst verliert.
Erschöpft und glücklich fallen sie in den Sand zurück, und erneut folgt eine melancholische, ruhige Passage. Herrliche Stimmungswechsel, welche problemlos ineinander übergehen.
Aber es geht noch ruhiger. Und noch melancholischer.
Dann, ganz unerwartet – gehauchter Gesang. Gezupfte Streicher. Das wäre das letzte, womit ich gerechnet hätte – selbst ein plötzlicher Blackmetalausbruch wäre für mich naheliegender gewesen – und doch passt es. „There would be birdsong over flooded beach, and we would be daylight over the shipwreck-sands.“ Gänsehaut.
Ein gelungener Abschluss, nicht zuletzt, da es A Song for Starlit Beaches immer wieder geschafft hat, mich zu überraschen, mitzureissen und einen ganz eigenen Klang zu finden.
The National – Sorrow
Sorgen. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Ich denke, die meisten Leute neigen dazu, sich zu viele Sorgen zu machen, über Gott und die Welt, über sich selbst und Andere. Wie man wahrgenommen wird, was über einen gedacht wird, wie man gerne wäre und was man hätte sein können, wie das Leben verlaufen wird und wie alles verlaufen hätte können.
Sorgen umgeben uns wie die Kleidung, welche wir jeden Tag tragen, von welcher wir uns fragen, was die vorbeilaufenden Menschen wohl über sie denken, obwohl wir diese gar nicht kennen, Sorgen, welche diese Menschen umgeben, über deren Kleidung wir uns urteile Bilden.
Sie sind die unwillkürliche Handbewegung, wegen der wir denken, dass das Lachen der Mädchen drei Reihen hinter einem einen selbst betrifft, und das über die Schulter rutschende Top, wegen dem eines dieser Mädchen denkt, dass der alte Mann gegenüber sie verurteilend anschaut.
Sie sind das, was wir sehen, wenn wir in den Spiegel schauen, wenn wir unsere verzerrten Umrisse in einer Pfütze erkennen oder unsere Reflektion in einer Scheibe im Kaufhaus.
Was hat das mit dem Lied zu tun? Eigentlich alles. Denn genau dieses Gefühl ist es, was The National in Sorrow einfangen. Tiz überrascht mich hier, und dafür bin ich ihm mehr als dankbar.
Ich habe schon mehrmals versucht, in Lieder von The National reinzuhören, aber aus irgendeinem Grund hat es mich bisher nie gepackt. Ich mag es nicht, Lieder in Reviews schlecht zu bewerten, und somit hat der Anblick von The National auf der Samplerliste einen faden Nachgeschmack in meinem Mund hinterlassen.
Und jetzt sitz ich hier, und denke nach, wie ich die Intensität dieses Liedes wohl am besten in Worte fasse, welches für mich das Highlight des Sampler ist.
Sorrow beginnt mit schnellem, tackernden Trommeln, über welches sich ruhig die Gitarre legt. Die Bassdrum spielt einen langsamen Marsch, während sich eine tiefe Baritonstimme einschleicht.
„Sorrow found me when I was young. Sorrow waited, sorrow won. Sorrow that put me on the pill. It’s in my honey, it’s in my milk.“
Dann das erste Mal der Refrain… ist das eine leise Frauenstimme im Hintergrund?
„Don’t leave my hyper heart below. On the water, cover me in rag and bones, sympathy.
Cause I don’t wanna get over you. I don’t wanna get over you.“ Dazu leise Streicher.
In der zweiten Strophe werden die Gitarren mit Effekten verziert, fast postrockig.
„Sorrow’s my body on the waves. Sorrow’s a girl inside my cave. I live in a city sorrow built. It’s in my honey, it’s in my milk.“ In der letzten Zeile ertönt erneut die Frauenstimme, dieses Mal deutlicher als zuvor, auch weiter im Refrain, in welchem sich ebenfalls ein dezenter Bass dazugesellt. Der Gesang verstimmt, dafür erklingen Synthies, welche wie ein Chor klingen.
Erneut der Refrain, etwas abgewandelt, die Frauenstimme nun fast gleichberechtigt neben dem samtigen Bariton, die Streicher erneut ins Klangbild eingewoben, klingt Sorrow mit Synthesizern und Schlagzeug aus.
Das Lied transportiert ein Gefühl gefasster Ruhe, welche im Gegensatz zum düsteren, melancholischen Text steht. Es erinnert mich an andere Bands, welche ich dem Post Punk Revival zuordnen würde, wie Interpol oder auch Editors. Aber irgendwas ist anders.
Sorrow ist nicht direkt deprimierend, weder in seiner Stimmung, noch von seinen Melodien.
Trotzdem spüre ich, wie mein Magen sich zusammenzieht, und sich ein unbehagliches Gefühl in mir ausbreitet. Unglaublich.
Sophie Hunger – Rise and Fall
Und ein zweites Mal habe ich das Vergnügen mit Sophie Hunger. Da drängen sich zwei Fragen auf – kann Rise and Fall das Niveau des ersten Songs halten? Und kann es mit Sorrow mithalten?
Die Antworten sind einfach: Ja und Ja.
Tiefes Piano und Frauen, welche im Hintergrund summen. Frau Hunger singt, und ich weiß nicht warum, aber ich finde ihre Stimme unfassbar toll. Dieses sanfte, gebrochene darin. Rise and Fall macht schon hier klar, dass das kein Gute-Laune-Lied wird.
Gerade im Refrain beweist sie wieder ein gutes Händchen. „And all of this, yeah, all of this, to you does not exist.“ heißt es, bevor sich Xylophon und schwarmartige Streicher dazugesellen. Wie schon bei LikeLikeLike leitet sie den Refrain mit LaLaLaLa-Gesang ein – doch da, wo zuvor gute Laune herrschte, dominiert hier Trauer und Schmerz.
Gespenstische Chöre und kaltes Xylophonspiel erschaffen eine umwerfend dichte Atmosphäre. Mit umwerfendem Gefühl, welches einem geradezu die Haut vom Körper schält, zieht Sophie Hunger ihr Résumé. „And empires rise and empires fall and empires rise and empires fall and we engage and we dissolve.“ Großartiger Gesang, großartige Textzeile.
Dann ein Bruch – bollerndes, tiefes Piano in schnellem Arpeggio, unheilvolles Xylophon, das Piano setzt aus, abgehetzter Gesang (und eine unwillkürliche Assoziation mit The Black Heart Rebellions Avraham). Das ist definitiv kein Englisch. Aber was dann? Da das Piano zuvor etwas vom typischen Klezmerweltschmerz hatte, lag meine erste Vermutung bei jiddisch. Das Internet half mir aus, und ich fand schnell raus, dass das gar nicht so daneben lag, denn tatsächlich ist es hart verwurstetes Deutsch – Schweizerdeutsch.
Wirklich Sinn macht der Text für mich dennoch nicht – aber auch hier kann die geniale Erfindung der Stichwortsuche mir helfen, und so entdecke ich schnell, dass es sich um eine Interpretation des sogenannten Guggsberglied handelt. Um das genauer zu erläutern zitiere ich einfach mal Wikipedia zum Inhalt:
WikipediaDas traurige Lied basiert vermutlich auf einer wahren Handlung aus den Jahren zwischen 1660 und 1670. Es handelt von einem „Vreneli“ (schweizerdeutsch für „Verena“) aus Guggisberg, ihrem Auserwählten aus schlechteren Verhältnissen und seinem Nebenbuhler von einem besserem Hof. Die beiden Männer haben eine Schlägerei. Weil der „Simes Hans-Joggeli“ (Simons Hans-Jakob) glaubt, seinen reicheren Kontrahenten im Handgemenge umgebracht zu haben, flieht er und tritt, wie damals üblich, in fremde Kriegsdienste ein. Als er nach Jahren vernimmt, dass sein Gegner doch überlebt hat, kehrt er nach Hause zurück, doch ist sein Vreneli aus Kummer („das Mühlrad gebrochen, das Leiden ein End“) schon gestorben.
In Anbetracht des restlichen Textes macht das mit diesem Wissen erstaunlich viel Sinn – und das Hörerlebnis noch spannender und intensiver.
Dann folgt erneut der Refrain, und ich bin vollkommen hin und weg. Nachdem ich LikeLikeLike gut fand, überzeugt mich Sophie Hunger mit Rise and Fall vollkommen. Ganz großes Kino.
„But all of this… yeah all of this, to you does not… exist.“
The Mars Volta – Cicatriz E.S.P
Die letzten drei Lieder könnte man ja getrost als „wow!“ titulieren. Deshalb bin ich umso gespannter was jetzt kommt. The Mars Volta hab ich schon öfters gehört, bin also gespannt.
Ersteindruck: Nä. Einfach nä.
Also ganz ernsthaft? Das ist so… ich weiß nicht. Das soll wahrscheinlich irgendein Prog/Mathrockhybrid sein.
Das klingt nämlich genau danach – ein wenig rxBandits, ein wenig Exotic Animal Petting Zoo, ein wenig Protest the Hero, ein bisschen The Sound of Animals Fighting, nichts davon wirklich, und nichts davon gut.
Die ersten vier Minuten sind unfassbar langatmig, und kommen nicht aus dem Quark. Da ist kein Druck hinter, und es wird so hart und angestrengt versucht, dieses typische Chaos zu erzeugen, aber es klingt einfach nur viel zu strukturiert, als hätten sie vor dem Schreiben eine Abhakliste gehabt: Dinge die in einem Prog-Song vorkommen müssen. Das einzige, dass man hier positiv anrechnen könnte, wäre der Gesang, damit hat es sich dann aber auch. Ab der sechsten Minute wird es dann aber ganz schlimm. Da kommt dann nämlich etwas, das ein sphärischer Ambientpart sein soll.
Die Soundscapes klingen aber eher, als hätte ein Dreijähriger am Regler rumgespielt.
Keine Spannung, keine Atmosphäre, keine Dichte, kein Nichts. Nur nervige Effekte.
Und das geht dann auch noch ganze drei Minuten so. Heiliger Kuhmist.
Dann wird ein wenig rumgespielt, versucht komplex und exotisch zu klingen, und wieder zum Anfangsmotiv zurückgekehrt. Und jetzt jault der Sänger auch noch furchtbar rum, das ist ja grausam.
In der letzten Minute der obligatorische Ausbruch, heißt, das Hauptmotiv, wo in einer weiteren Tonspur der Sänger reingesamplert wird, der dazwischenschreit. Der einzige Moment auf zwölf Minuten, der etwas hat. Aber selbst das hab ich schon tausend Mal in besser gehört.
Das war einfach gar nichts.
Tuxedomoon – East/Jinx/…/Music #1
Bitte bitte bitte wird das wieder erträglicher. Danke.
Der Name Tuxedomoon sagt mir erneut überhaupt nichts. East/Jinx/…/Music ist sehr experimentell angehaucht, wie der Name schon vermuten lässt. Ein Bass, der nach Funk klingt, dafür aber zu langsam ist, träge Streicher, die mich irgendwie an Ägypten erinnern.
Hohe, schräge Elektroorgel, die dann aber auch schnell wieder weg ist, keine Ahnung was ich davon halten soll. Ein Bläser im Hintergrund. Klingt ein wenig, als würde man die verschiedenen Instrumentalspuren eines Dark Jazz-Stückes statt nebeneinander nacheinander über den Bass spielen. Interessant, aber bisher bleibe ich mit meiner Meinung noch neutral, denn ich finde es nicht schlecht, kann aber auch noch nichts damit anfangen.
Dann plötzlich ein komischer Rhythmus, funkige Gitarren, wahwah-Effekte im Hintergrund, und klezmerorientierte Streicher. Whut, aber gut, es bleibt also spannend. Eine tiefe Stimme mit deutlichem Akzent fügt sich in das Klangbild ein. Doch, das gefällt mir schon. Chöre, und zischendes „It’s a jinx it’s a jinx it’s a jinx.“
Dann kommen nur noch Geräusche, die aneinandergereiht werden. Piepsen, tackern. Ein Krankenhaus? Dröhnen und Zettern. Man merkt dass es vier verschiedene Lieder sind, die auch eigentlich nicht wirklich aneinander anknüpfen. Wirkt trotzdem irgendwie gut als Ganzes.
Ich finds auch nicht schlecht, und sogar interessant. Aber irgendwie… wirklich nochmal anhören will ich mir das auch nicht.
Warning – Bridges
Sagt mir schon wieder nichts. Aber die hab ich im Forum schonmal gesehen, ich glaube die waren in der Top 10-Liste von Pennywise, oder?
Erstaunlicherweise spielen sie… Metal. Und zwar ziemlich schwerfälligen Doom.
Die anfänglichen Riffs haben mich sofort an Mournful Congregation erinnert, und so kam die Hoffnung auf einen ziemlichen Funeraldoomkracher. Aber nein, schade.
Denn der Gesang macht schnell klar, dass man doch eher traditionell orientiert.
Die Stimme ist ungewöhnlich – schnarrend und eigentlich eher unangenehm. Nach einem durchhören hab ich mich da aber dran gewöhnt.
Dafür, dass ich mit eher traditionell angehauchtem Doom, und vor allem mit der Stimme, eher weniger anfangen kann, gefällt mir der Song aber sogar ganz gut.
Nichts, dass ich mir so anhören würde. Aber auch nichts wie The Mars Volta, wo mich der Drang überkommt, kopfüber aus dem Fenster zu hüpfen.
Viel schreiben kann ich dazu aber auch nicht so viel – den im Grunde hat man zehn Minuten lang das selbe, extrem langsam gespielte Riff zu den selben, extrem langsam geschlagenen Rhythmen und dem selben Gesangsbild.
Anathema – Alternative 4
Eine Band, von der wohl jeder schon gehört hat. Ich oute mich hier aber – reingehört hab ich noch nie. Wenn sie immer so klingen, wie auf Alternative 4, wäre das aber eigentlich mal ne gute Idee.
Den Song finde ich nämlich sehr cool.
Wieso, weshalb, warum? Das Lied ist sehr minimalistisch gehalten, und erzeugt doch eine tolle Atmosphäre.
Dark Ambientesque Soundscapes, die auf mich einen orientalischen Eindruck machen, hallendes Trommeln, welches wie ein Donnern durch die Klangfelder fegt.
Eine tiefe Männerstimme mit hartem Akzent. Als wiederkehrendes Moment nach dem, was man wohl Strophe nennen könnte, ein kurzes Spiel einer verzerrten Gitarre. Nicht störend, aber auch nicht notwendig. „Dreaded memories flood back to me. But there’s still a willful mind behind these cold… psychotic eyes. Now I tread this path so differently. I’ve opened my mind and darkened my entire life.“ Ich mag es, wie er „psychotic“ ausspricht. Und diese hohen Piepspianohexentöne in den letzten Zeilen der Strophen finde ich auch klasse. Haben ein wenig was von den Geisterhäusern aus alten Super Mario-Spielen.
Der wirklich großartige Teil folgt dann aber erst.
Stille. Verlorenes Gitarrenzupfen. Soundscapes und das dramatische Trommeln. Kein Gesang.
Nur noch die Soundscapes. Verzerrt, und mit hartem Akzent ertönt eine Spoken Word Passage.
„I’ll dance with the angels to celebrate the holocaust, and far beyond my far gone pride, is knowing that we’ll soon be gone… knowing that I’ll soon be gone…“
C.R.E.E.P.Y.
Das Drumming setzt wieder ein, der Gesang erhebt sich zu einem Geräusch, welches keinen Text hat, und wie ein erstickter Schrei wirkt.
Tolle Atmosphäre, dieses spukende und rituelle daran gefällt mir einfach unheimlich. Wortwitz.
Jason Molina – Let Me Go Let Me Go Let Me Go
Drumcomputersound und ambientesque Töne. Hat Chill Out Charakter, ich bin verwirrt und gespannt, was da wohl kommen wird.
Eine schnarrende Gitarre wirft immer wieder einzelne Akkorde ein. Hm. Hallender, verlorener Gesang. Ein ruhiges Lied, mit düsterer, ergreifender Atmosphäre.
Es passiert nicht viel, der Hauptfokus liegt auf dem Gesang – melancholisch bis depressiv, mal werden bluesige oder countrylastige Gitarrenspielereien eingeworfen. Wohl eines der Lieder, welche ohne ersichtlichen Grund runterziehen. Wo die Depression aus jedem Ton quilt.
Wo alleine die Authenzität mehr als tausend Stilmittel sagt.
“Wait behind… shadows still with us… the tides are with us… silent sorrow with us… as long as there’s no forgiveness.“
Ich weiß eigentlich gar nicht was ich dazu sagen kann. Let Me Go Let Me Go Let Me Go ist so minimalistisch, dass es schwer fällt Anhaltspunkte zu finden, an denen man das Lied weiter beschreiben kann. Es spricht einfach für sich.
„Hymns still close to your ears that you can still hear. Graves still close to the water, moon still walking the shore.“
Wie ich bei einem kurzen Künstlercheck gesehen hab ist Jason Molina am 16.03. aufgrund von Organversagen in Folge von schwerem Alkoholismus gestorben. Rest in Peace.
Pain of Salvation – Undertow
Hm, auch von Pain of Salvation hab ich schon gehört. Machen die nicht Progressive Metal? Erneut kann ich nur betonen – nicht wieder sowas wie The Mars Volta, bitte.
Aber nein, Glück gehabt. Bei Undertow muss ich sofort an das Tool-Debüt denken, damit hat es aber nicht wirklich was zu tun.
Klare, hallende Gitarren leiten das Lied mit einem sehr einfachen, aber schönen Motiv ein.
Der Gesang wirkt etwas zitternd und teils gebrochen, ja, im Grunde einfach sehr gefühlvoll.
Klavier beginnt die Gitarre zu begleiten, und der Gesang wird etwas kräftiger.
Alles unerwartet ruhig und simpel, wenn auch nicht schlecht. Es wird etwas lauter, und wabbernde Gitarren bringen ein neues Motiv ein, bis der Gesang erneut einsetzt und einen recht schönen Refrain anstimmt. „I’m alive and I am true to my heart now – I am I, but why must truth alwas make me die?“ Der Gesang nimmt zusammen mit der restlichen Instrumentalisierung an Kraft und Fahrt zu. “Let me drain! Let me die! Let me break the things I love I need to cry! Let me burn it all! Let me take my fall!Through the cleansing fire! Now let me die! Let me die…“
Dann wird es schlagartig ruhig. „Let me out. Let me fade into that pitch-black velvet night.“
Ein paar Mal hört man noch das Wort „Die“ nachhallen, dann ist es auch schon zu Ende.
Ich muss sagen, dass mir Undertow dafür, dass es vom Gitarrensound bis hin zur Stimme des Sängers überhaupt nicht mein Fall ist, und ich es dafür auch erstaunlich oft gehört habe.
Denn das Gefühl, dass hier rübergebracht wird, wirkt so ehrlich, dass es schwerfällt, sich dem zu entziehen.
Fazit? Fazit!
Wow, das war also der Sampler von Tiz. Musikalisch sehr abwechslungsreich, und genau so war es mit dem Gefallen. Wie bei Tiz zu erwarten kam einiges an Prog vor, was ich aber gar nicht so schlimm fand wie erwartet, und die vielen Nähen zum Post Punk, auf welche ich mich hingegen schon sehr gefreut hatte (und nicht enttäuscht wurde). Überraschend war für mich hingegen, dass viel vorkam, was Nähen zum Indie hat, und auch einiges mit deutlichen Bezügen zum Gothic.
Nicht, dass ich das schlecht fand, im Gegenteil, nur überraschend. Vor allem der erste Teil des Samplers hat mir sehr gut gefallen. Es kam einiges vor, dass ich schon kannte (Muse, The Clash, Modest Mouse), einiges, dass ich zwar flüchtig kannte, aber näher kennenlernen durfte (Sonic Youth, The National, Anathema, Pain of Salvation) und auch vieles das mir unbekannt war.
Viel wichtiger aber noch: Es gab sehr viel sehr gutes (Muse, Modest Mouse, Yndi Halda, Sophie Hunger, The National), viel gutes (The Clash, Sonic Youth, Anathema, Jason Molina, Pain of Salvation), einiges, dass mich etwas ratlos zurückließ, oder mir nicht ganz zusagte, was ich aber auch nicht schlimm fand, und meinen Horizont wieder ein Stück erweitern konnte (Yes, Tuxedomoon, Warning) und naja, dann gab es eben noch The Mars Volta.
Auch klasse – viel Piano und viele Streicher und viele Synthies. Fook yeah.
Alles in allem ein toller, und empfehlenswerter Sampler, ich bedanke mich herzlichst, Tiz!
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