Jahresbilanz 2011: Highlights, Lowlights und alles andere

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  • #6583813  | PERMALINK

    xTOOLx

    Registriert seit: 30.06.2008

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    Highlights von metal-hammer.de
    #6583815  | PERMALINK

    Ilo

    Registriert seit: 23.09.2007

    Beiträge: 13,393

    TizDanke an SirMetalhead und Ilo für die tollen Text, macht Spass das zu lesen und mit Dirge ist auch eine richtig tolle Neuentdeckung dabei 🙂

    merci & freut mich!! 🙂

    SirMetalheadmir ist aufgefallen, wie viel Standard-Zeug bei mir eigentlich dabei ist. Im Willkommensthread schmunzelt man immer über die, die Amon Amarth, Metallica und In Flames als ihre Favoriten angeben, aber so viel besser bin ich auch nicht… Oo
    *Geräusch einer zerbrechenden Glasschreibe*

    ist doch scheiß egal! geht doch drum was für musik dir taugt, nicht wie wenige leute die band kennen, haha. 😉

    #6583817  | PERMALINK

    xTOOLx

    Registriert seit: 30.06.2008

    Beiträge: 19,947

    was die jahresbilanz angeht: ich bin so unglaublich froh, dass ich grails für mich entdeckt habe. auch wenn viele der band nichts abgewinnen können: wow.
    genau mein ding! deep politics hat 2011 für mich sehr bereichert.

    #6583819  | PERMALINK

    Axe To Fall

    Registriert seit: 18.10.2009

    Beiträge: 9,142

    Schöner Text, Ilo! Die Dirge brauch ich noch unbedingt. Caleya und Dead Flesh Fashion klingen auch sehr interessant.

    --

    Musik-Sammler „I met God and he had nothing to say to me.“
    #6583821  | PERMALINK

    palez

    Registriert seit: 04.01.2007

    Beiträge: 10,795

    SirMetalheadmir ist aufgefallen, wie viel Standard-Zeug bei mir eigentlich dabei ist. Im Willkommensthread schmunzelt man immer über die, die Amon Amarth, Metallica und In Flames als ihre Favoriten angeben, aber so viel besser bin ich auch nicht… Oo
    *Geräusch einer zerbrechenden Glasschreibe*

    🙂

    So rein vom Lesen her klingen Montreal on Fire wie etwas, was mir eigentlich gefallen müsste.

    14. True Widow – As High As the Highest Heavens and From the Center to the Circumference of the Earth

    Eine Band, die ihren Stil selbst als „Stonegaze“ bezeichnet und dieser Chose noch einige Esslöffel Slowcore beimischt, könnte grausam inhomogene Musik machen, die nach Leuten klingt, die in den 90ern studiert, alles gehört und nichts verstanden haben. Dankenswerterweise ist der Ansatz von True Widow auf dem Album mit dem unmöglichsten Titel des Jahres völlig anders. Ihre Musik ist ein gemeinsamer Teiler der genannten Genres ohne Retrofeeling oder aufdringliche Einzeleigenschaften. Das hat man sich konkret so vorzustellen: Ein gemischtgeschlechtliches Gesangsdoppel singt androgyn und völlig apathisch von irgendeinem Ort aus, der außerhalb des Blickfeldes liegt. Dazu ziehen eine meist kaum verzerrte elektrische Gitarre und ein vibrierender Bass schlurfend ihre Runden um das Zentrum des Nichts, loten den Raum zwischen zwei bis drei Tönen aus, die Drums klingen auch bei Midtempoanklängen gleichbleibend lethargisch. Ein Sisyphos, dem alles egal geworden ist. Wenn die Gitarre aber mal verzerrt wird, dann richtig, dann nähert sie sich dröhnend dem Tiefstfrequenzbereich an, und man kann sich hinlegen, das Ohr gegen den Boden pressen und die tiefen und regelmäßigen, wohlige Schauer verursachenden Erschütterungen durch den eigenen Körper fahren lassen. Stilsichere Mauleselmusik für sehr geduldige Leute, der Soundtrack zu einem wolkenverhangenen, einsamen Sonntagmorgen in einer weißen, unmöblierten Plattenbauwohnung. Fände ich aber besser, wäre er nicht von zwei großartigen, aber völlig unpasenderweise spannungsgeladenen Songs eingerahmt worden: „Jackyl“ und „Doomser“. So sexy und gefährlich wie Telstar Ponies in ihren besten Momenten.

    http://www.youtube.com/watch?v=DQN5ZDtSeR4&feature=related

    13. Fleet Foxes – Helplessness Blues

    Ja, die Musik ist schön, so schön wie chinesisches Porzellan, Renaissancenaturalismus und Holzhäuser auf sonnigen Waldlichtungen. Die Produktion muss man bewundern, man hat gar keine andere Wahl, denn so hätten die Vorbilder von Fleet Foxes auch schon geklungen, wenn sie Ende der 60er nur gekonnt hätten. Warm und weich und voll und reich, an Klangvielfalt und Bombast wie an Ghost Notes, Stille und Zwischentönen. Der barocke Folk von „Helplessness Blues“ gerät dabei nie in Verdacht, selbst für eine Autotherapie vo Großstadthypochondern zu seicht zu sein. Er ist zu 99% authentisch, aber ich mag ihn trotzdem. Fröhlich summe ich die Regressionsphantasien des hymnischen Titeltracks mit ohne die Arroganz, mich verneinend über sie erheben zu wollen. Und „sunlight over me no matter what I do“ ist in den Art, wie sie gesungen wird, die vermutlich schönste und an Deutungsmöglichkeiten reichste Textzeile des Jahres. Nicht, dass das achtminütige Albumherzstück „The Shrine / An Argument“ nicht noch mehr zu bieten hätte. Ein paar wunschlos glückliche Minuten nach einem Durchgang kann ich mich an die anderen Songs aber nicht mehr so gut erinnern.

    http://www.youtube.com/watch?v=o3L_FAVB0hU

    12. Tim Hecker – Ravedeath, 1972

    Wie sitze ich nun hier mit Kopfhörern vor meinem Computer, mir der Tatsache bewusst, dass man über solche Musik per se nicht schreiben kann. Tim Heckers schwindelerregend virtuoser und vielschichtiger, elektronischer Drone rinnt mir durch die Finger. Jeder gesetzte Ton vernichtet seine eigene Vergangenheit, die Masse strömt auseinander, verdichtet sich, aber das jenseits des Verständnisses von Bewegung und Linearität. Kristalline Klangflächen morphen ineinander, unter der Verzerrungseisschicht ist bakterielles Leben in Form von natürlichen Instrumenten. Die engmaschig verwobenen Loops streifen Melodien, in „Analog Paralysis, 1978“ kratzen Glitch-Reste am Eis. Wäre vermutlich weiter oben, hätte ich mich eher mit dem Album beschäftigt.

    http://www.youtube.com/watch?v=QUpA8R01d50

    11. The Slaves – Grey Angel

    „Visions“, die Visitenkarte von meinem erklärten Lieblingslabel Profound Lore, erhebt sich in Höhen, in denen die Luft zugegebenermaßen allmählich kitschig wird. Die Mischung aus hochharmonischem Ambient und Rebekah Del Rio – Llorando (kennt man aus „Mulholland Drive“) ist atemberaubend schön, für die EP des Portland-Duos aber zum Glück nicht ganz repräsentativ. Die Stücke sind ähnlich meditativ, sparen sich aber über weite Strecken eine zu große Geste, Die warme und volle Stimme tritt hinter die psychedelisch blauen Klangflächen und spiegelt sich mehrfach im Wasser. Wäre eine bessere Idee als der leider mäßig einnehmende Stil auf dem neusten Output von Zola Jesus gewesen. Auch hier: Finde ich in ein paar Monaten möglicherweise noch besser.

    http://www.paradigms-recordings.com/audio.html

    10. Solstafir – Svartir Sandar

    Ein Album, mit dem ich mehr Tage und Wochen allein in den Bergen Islands verbringen möchte. Endlich! Auf dem Vorgängeralbum „Köld“ war über weite Strecken die Ausführung bei weitem nicht so gut wie wie Idee. Hier kann ich nun am eigenen Körper und nicht nur anhand von Vermutungen und Herleitungen nachvollziehen, was Solstafir mir eigentlich sagen wollen. Die Jungs sehen immer noch aus wie die Gothic-Zombiecowboys von Fields of the Nephilim nach mehreren Jahrzehnten ohne Kontakt zur Außenwelt und sie klingen immer noch so grobkörnig und völlig ungehalten wie vorher. Aber sie haben erstaunlich viel mehr Glückstreffer, verlieren sich nur noch selten in Redundanzen getarnt mit gutem Willen. So mag ich meinen Metal anno 2011: unmodern, zeitgemäß, mitreißend und ohne Präfix.

    http://www.youtube.com/watch?v=3Yy3_6oAbdY

    #6583823  | PERMALINK

    h0az

    Registriert seit: 27.06.2010

    Beiträge: 4,198

    13. and so i watch you from afar – gangs
    im sumpf all dieser rein instrumentalen (ich umfahre mal ganz (un-)geschickt das wort „postrock) bands sind ASIYFA eine echte oase. ich kenne aktuell echt wenig bands die derartig befreit und spielfreudig ihr ding durchziehen; jeder note hört man einfach spaß und kreativer überschuss an. hier mal unbrechbar energisch, da dann aber auch gern wieder was ruhiger und träumerisch. man könnte „gangs“ durchaus vorwerfen dass sich im vergleich zum vorgänger eigentlich nicht allzu viel getan hat, aber ehrlich gesagt fällt das gar nicht auf: zu aufregend und verschieden sind da einfach all diese ideen, die so unterschiedlich sind, und doch allesamt so gut zusammenpassen – ASIWYFA sind wahrlich unterschätzte songwriter, die die drei pfeiler technisches können, eigenheit, und eingängigkeit in absolut gekonnter form miteinander verbinden! ach und: auch live nicht weniger als eine offenbarung.

    Kann ich nur voll und ganz zustimmen, gut geschrieben. War bis zum Sólstafir-Release locker meine Platte des Jahres! 🙂
    Ich sollte meine Liste wohl auch mal schreiben..

    --

    I know there's no other world: ॐॐॐ [/COLOR][COLOR=#f0f8ff]mountains[/COLOR] and [COLOR=#f0ffff]websites[/COLOR] ॐॐॐ[/COLOR]
    #6583825  | PERMALINK

    Ilo

    Registriert seit: 23.09.2007

    Beiträge: 13,393

    palezSo rein vom Lesen her klingen Montreal on Fire wie etwas, was mir eigentlich gefallen müsste.

    wozu poste ich eigentlich youtube links?! 👿 dringend reinhören, madame. das debüt ist im übrigen ebenso empfehlenswert!

    palez
    14. True Widow – As High As the Highest Heavens and From the Center to the Circumference of the Earth

    Eine Band, die ihren Stil selbst als „Stonegaze“ bezeichnet und dieser Chose noch einige Esslöffel Slowcore beimischt, könnte grausam inhomogene Musik machen, die nach Leuten klingt, die in den 90ern studiert, alles gehört und nichts verstanden haben. Dankenswerterweise ist der Ansatz von True Widow auf dem Album mit dem unmöglichsten Titel des Jahres völlig anders. Ihre Musik ist ein gemeinsamer Teiler der genannten Genres ohne Retrofeeling oder aufdringliche Einzeleigenschaften. Das hat man sich konkret so vorzustellen: Ein gemischtgeschlechtliches Gesangsdoppel singt androgyn und völlig apathisch von irgendeinem Ort aus, der außerhalb des Blickfeldes liegt. Dazu ziehen eine meist kaum verzerrte elektrische Gitarre und ein vibrierender Bass schlurfend ihre Runden um das Zentrum des Nichts, loten den Raum zwischen zwei bis drei Tönen aus, die Drums klingen auch bei Midtempoanklängen gleichbleibend lethargisch. Ein Sisyphos, dem alles egal geworden ist. Wenn die Gitarre aber mal verzerrt wird, dann richtig, dann nähert sie sich dröhnend dem Tiefstfrequenzbereich an, und man kann sich hinlegen, das Ohr gegen den Boden pressen und die tiefen und regelmäßigen, wohlige Schauer verursachenden Erschütterungen durch den eigenen Körper fahren lassen. Stilsichere Mauleselmusik für sehr geduldige Leute, der Soundtrack zu einem wolkenverhangenen, einsamen Sonntagmorgen in einer weißen, unmöblierten Plattenbauwohnung. Fände ich aber besser, wäre er nicht von zwei großartigen, aber völlig unpasenderweise spannungsgeladenen Songs eingerahmt worden: „Jackyl“ und „Doomser“. So sexy und gefährlich wie Telstar Ponies in ihren besten Momenten.

    findsch gut! „stonegaze“ – sehr passend!

    #6583827  | PERMALINK

    palez

    Registriert seit: 04.01.2007

    Beiträge: 10,795

    Ilowozu poste ich eigentlich youtube links?! 👿

    Um mir nachher mit der Keule zu drohen. Da stand halt dein Beitrag, ich dachte, jetzt wäre es angebracht, irgendetwas (Redundantes) dazu zu sagen.
    Der Song da kickt mich grad nicht, aber ich kann, glaube ich, durchaus verstehen, was du daran findest.

    Der Dirge-Song ist natürlich zu kurz.

    #6583829  | PERMALINK

    Ilo

    Registriert seit: 23.09.2007

    Beiträge: 13,393

    palezUm mir nachher mit der Keule zu drohen. Da stand halt dein Beitrag, ich dachte, jetzt wäre es angebracht, irgendetwas (Redundantes) dazu zu sagen.
    Der Song da kickt mich grad nicht, aber ich kann, glaube ich, durchaus verstehen, was du daran findest.

    schade!

    palez
    Der Dirge-Song ist natürlich zu kurz.

    nicht dein ernst?

    #6583831  | PERMALINK

    palez

    Registriert seit: 04.01.2007

    Beiträge: 10,795

    Ilonicht dein ernst?

    Deswegen:

    http://www.youtube.com/watch?v=gCdTsOaa6W0

    Nein, das Album befindet sich immer noch nicht in meinem Besitz. Und ja, ich schäme mich ein bisschen.

    9. Heinali and Matt Finney – Ain’t No Night

    Eine weitere Nadja- und Jesu-Schmelztiegelmischung im Schrank zu haben, wäre zwar nett, aber nicht weiter notwendig. Nun ist man aber auch bereit, auf Dronegaze als Grundlage zu beginnen und weit über sie hinauszugehen. Matt Finneys geflüsterte Spoken Word-Parts stutzen den Kompositionen die Flügel, das wird diejenigen anfangs stören, die sich eigentlich bedingungs- und kopflos in der Musik verlieren wollten, aber das Eindämmen von Pathos macht die Sache hier erst so angenehm ungewöhnlich. Über weite Strecken werden Stimmung und Geschehen von den Texten dominierert, die sich irgendwo zwischen Charles Bukowski und „The Dead Flag Blues“ einfinden. Das geht so weit, dass aus dem Titeltrack eine verschleppte, rostüberzogene Bluesnummer wird, Trailerparks und Leichte-Mädchen-Drone. Wenn das, was Finney in sein kaputtes Diktiergerät spricht, mal keine so große Reichweite hat, hat Heinali freiere Hand beim Gestalten, der Opener „In All Directions“ steuert letztendlich auf eine schlichte und schöne Melodie zu. Das können sie gut, andere aber ein bisschen besser. Die beiden sollten fürs nächste Mal in den Trailerparks bleiben.

    http://www.youtube.com/watch?v=kUPcu5loSvA

    8. Nils Petter Molvaer – Baboon Moon

    Ein Pavian mit allzu menschlicher Mimik auf dem Cover, grau in grau. Es mag die Vielfalt und Dynamik dieser Musik ignorieren, unterstreicht ihre Stimmung nichtsdestotrotz. Der ätherische Ambientjazzrock von Nils Petter Molvaers neuer Band (unter anderem mit Ex-Mitgliedern von Madrugada & Motorpsycho…nicht, dass ich von den alten Besetzungen mehr als insgesamt einen Song kenne) ist so dezidiert nordisch, dass man sich die Musik gar nicht in einer anderen Umgebung vorstellen kann als zwischen Geysiren unter einem schweren, grauen Himmel. Molvaers Trompete und die gezielt eingesetzten Gitarren bringen die elektrische Spannung in die dampfigen Klangtexturen, das Tänzeln der Drums lässt ein Beben im Boden entstehen. Zwischen den einzelnen Stilelementen gibt es keine Nahtstellen, auch dann nicht, wenn die Stimmung kippt und vor Spannung vibrierende, aber in sich ruhende Songs den Naturgewalten überlassen werden – wie im Titelstück, dessen ungehaltene Tribaldrums und ätherischer Hintergrundgesang ihn zu einem der besten Songs des Jahres machen.

    http://www.youtube.com/watch?v=7XbfGHB7cfE

    7. La Dispute – Wildlife

    Wenn die zuständigen Internet- und Print-Medien ihre Jahresbestenlisten veröffentlicht haben und sich anderem, also dem Jahr 2012 widmen können, werden La Dispute sich möglicherweise fragen, ob besagte Medien (und sie sich selbst) ihnen wirklich so einen großen Gefallen getan haben. Mit „The Wave“ und so. „Wildlife“ ist der beste Beleg für die Sinnlosigkeit des Unterfangens, einen musikalischen Rückschluss auf sich selbst mal wieder in größere Zusammenhänge zu überführen. Kein anderes Album würde dadurch gefühlt mehr missverstanden werden. Ja, es ist wahrscheinlich einfach und reizvoll, im drahtigen, rockinduzierten, strukturell verschnörkelten Posthardcore von La Dispute zu irgendwas eine Gegenthese zu sehen. Eine Gegenthese zu strenger Ordnung, zum kürzesten Weg, weil man die interessantesten Dinge auf Umwegen und Abzweigungen findet. Eine Gegenthese zu Slogans, zu Aphorismen, zu Tattoos, zu Textzitaten in Statusnachrichten. Die Songtexte von Jordan Dreyer sind unhandliche Prosablöcke, die beim Lesen nicht gerade dazu einladen, gesungen zu werden. Umso seltsamer, dass sie erst nach der Musik formuliert wurden (die sich wiederum nach der jeweiligen Geschichte und Stimmung richtete). Daniel Gerhard hat in seinem Review für Visions die Wörter gezählt, es sind 6000, von denen wenige wiederholt werden und man sich keins hätte sparen können. Überhaupt Wiederholung: „Wildlife“ könnte ja auch eine Gegenthese zur herkömmlichen Kompositionsmathematik sein. La Dispute haben kapiert, wann das Strophe-Refrain-Strophe-Schema eher Barriere als Stützgerüst ist, und lassen’s sein. Wenn etwas wiederholt wird, dann aus größter Not heraus und nicht der Form halber.

    Aber das zieht man alles beim Hören am besten gar nicht in Betracht, blendet aus, dass es für „Wildlife“ außer einem selbst überhaupt noch ein Publikum gibt, und nimmt an, dass Außenwirkung das Letzte war, woran La Dispute beim Komponieren gedacht haben. Die Stücke von „Wildlife“ haben einen eigenen Mikrokosmos, in dem jede Eigenschaft des Albums ein Zahnrad im System ist. Dieser Mikrokosmos ist die Realität der Kurzstorys Jordan Dreyers, eine Realität, deren Wirkungsgrad nicht über Grand Rapids, Michigan hinausreicht, aber das soll er auch gar nicht. Diese wahren Storys gehören ihm und der Stadt. Es sind Storys über Menschen, die bei 200 km/h aus einem Auto auf die Fahrbahn geschmissen werden, dessen Kennzeichen „LI FE“ lautet. Narbenübersäte Väter mit schizophrenen Söhnen, sterbende Kinder, unschuldige Opfer von Krebs und Drive-By-Shootings. Absurde Grausamkeit, keine Happy Ends, keine poetische Gerechtigkeit, sogar die Trotzhoffnung und die Erkenntnis des Erzählers gibt es hier nur, wenn man sie sich wirklich wünscht. Can I still get into heaven if I kill myself? Dreyer hat nicht einmal die Gnade, eine Frage zu formulieren, die sich wenigstens nicht beantworten lässt. Nun gibt es hier aber keine Zeit und keinen Raum, sich abzukoppeln, hinzusetzen, das Gesicht in die Hände zu legen und zu heulen, weil ständig zu viel passiert. Es gibt kaum wirkliche Katharsismomente in der Musik, der Gesang ist dieses posthysterische, erschöpfte Restschreien, das zeigt, dass noch lange nicht alles zu Ende ist. Also weitermachen, in Bewegung bleiben, das Schlimmste verhindern, bevor man sich seiner eigenen Angst gewahr wird.

    Hier kann man kaum einen Schritt zur Seite tun aus dem Zusammenhang, in den man eingespannt ist. Jordan Dreyer versucht es durch die auktoriale Erzählperspektive. (Auf-)Schreiben führt zu Bewusstwerden, Bewusstwerden zu Erkenntnis. Schreiben lässt hier etwas zu Kunst und Wahrheit werden, Schreiben schlägt die Wahrheit aus dem Stein. Dreyer berichtet über das Schreiben, die Reflektion und die Innenperspektive in den zwischen die anderen Songs eingestreuten Monologen, verliert dabei den vermeintlichen Punkt aus den Augen, vergisst Empfänger, seine Absichten, sich selbst. Nichts ist hier sicher vor dem ätzenden Zweifel, Dreyer löscht schreibend Grand Rapids, die Welt und sich selbst aus, ohne sie zu hassen. Das Gelingen dieses Unterfangens ist nichts, was einen mit einem guten Gefühl hinterlässt, dafür aber mit dem Gefühl, gerade etwas tatsächlich Wichtiges gehört zu haben.

    http://www.youtube.com/watch?v=BUJScmvFmSM

    6. Ash Borer – s/t

    Nach der sehr kurzen, jedoch auch größte Krater hinterlassenden Laufbahn von Weakling begann sich in den USA langsam eine neue Black Metal-Szene zu formieren. Eine dritte Generation, die den Begriff durchaus puristisch, dabei aber entschieden anders als die Europäer auslegt. Minimalismus ist keine Schranke für die Größe der Ideen. Spartanisch instrumentierte, manchmal zwischen wenigen Tönen stattfindende Stücke hatten Cinemascope-Format. Längst hat die kaskadische Szene ihre eigenen Zeichencodes etabliert, in denen vor allem der Naturbezug eine große Rolle spielt. Ein jüngeres Projekt, dessen Problem bisher immer eine vergleichsweise schlecht ausgebildete eigene Handschrift war, verwandelt ihre Werktreue nun zu ihrem Vorteil. Nach einem Demo und einer Split mit Fell Voices stellen Ash Borer sich auf ihrem Debütalbum als die einzig legitimen Erben Weaklings dar, denn sie haben sie verstanden.

    In den zwischen acht und 19 Minuten langen Songs findet sich rasende Wut neben ebenso rasender und panischer Verzweiflung und Angst, aber auch Momenten von Erhabenheit und Erlösung. Genau wie ihre offensichtlichen Vorbilder beherrschen Ash Borer es tadellos, dem Hörer eine geladene und entsicherte Pistole an die Stirn zu halten, ihm ein Gefühl des freien Falls zu vermitteln. Sie haben sich mittlerweile aber auch ein Mindestmaß ein Eigenständigkeit erarbeitet, denn die Stücke lassen neben Black Metal der vergleichsweise puristischen Ausführung auch perlende Post-Rock-Melancholie zu und unterlegen episch ausladende Melodiebögen teilweise auch mit einem aus dem Crustcore entlehnten Rhythmusfundament. Wohlgemerkt ohne ausgestellten Eklektizismus, diese Musik schließt ihn zwar nicht aus, hat ihn aber auch nicht nötig.

    Wahrscheinlich nicht das nahezu perfekte Album, für das ich es kurz nach „Veröffentlichung“ (eine Geschichte für sich bei dieser komischen kleinen Untergrundszene) hielt. Dennoch ein Einlösen vieler Versprechen und doch auch ein guter Ausblick auf eine mögliche Zukunft.

    http://www.youtube.com/watch?v=NlQET8Ymm6k

    5. St. Vincent – Strange Mercy

    Es ist ein verlockender Gedanke, dass Annie Clark (alias St. Vincent) und EMA, die ein anderes großes Singer-Songwriter-Album des laufendes Jahres herausgebracht hat, im Vorfeld auf dieselbe Highschool gegangen sind. Abgesehen davon, dass die faktische Sachlage dagegen spricht, wären sie einander dort aber vermutlich eh nicht begegnet. Ihr Zugang zur Thematik ist von Grund auf verschieden; wo Erika M. Anderson eine rostige, blutverschmierte Rasierklinge in ihrer Hand einschließt und mal schaut, was passiert, arbeitet Annie Clark mit einem frisch desinfizierten Skalpell. St. Vincent hat vom sogenannten Amerikanischen Traum mit den Cheerleadern und den Football Coaches und den Schönheitschirurgen und den multidysfunktionalen Zwischenmenschkisten durchaus ’nen leichten Knacks weg, erzählt auch darüber, ohne aber sich selbst zum Abschuss freizugeben. Noch lieber seziert sie diese ganzen merkwürdigen Leute von den Highschool-Abschlussbällen, holt die Geschwüre des Grotesken aus ihren Gummikörpern und hält sie unter Stroboskoplicht.

    St. Vincent operiert mit musikalischen Mitteln, die die Songs mit gleichen Kräften sowohl Richtung Pop als auch Richtung Avantgarde zerren. Einerseits die strenge melodische Klarheit, das hochpräzise Herzschlagmetronom, das auch im Stolpern vom Titeltrack nie sein Ziel aus den Augen verliert. Andererseits ist die musikalische Ausgestaltung abenteuerlich widersprüchlich, denn hier trifft pastellfarbene Maschinenmusik auf Funkrock-Gitarren, die keine mehr sind, weil vor dem ersten Akkord der Achselschweiß weggetupft wurde. Im Spannungsverhältnis entstehen auf „Strange Mercy“ dabei die größten Hits, sei es die vergnügt zynische Single „Cruel“, das frenetische „Northern Lights“ oder das narkotisierende „Surgeon“, bei dem die Dosis am Ende aber dennoch nicht ausreicht, um nichts mehr von der Armamputation zu merken. Was natürlich völlig im Sinne der Erfinderin ist. Verantwortlich für diese gruselige Effizienz und die Mikrometerschärfe der Werkzeuge ist John Congleton, bekannt als Sänger der großartigen The Paper Chase und bekannter als Produzent von unter anderem Explosions In The Sky, Erykah Badu, The Appleseed Cast, Baroness, The Roots und Marilyn Manson. Ein wenig merkt man, dass Clark von ihrer Bühnenerfahrung mit „Age of Adz“-Sufjan Stevens profitiert hat. Im Gegensatz zu seinem elektronischen Kinderzimmer gibt es hier aber nichts, was den Eindruck eines Zufalls erwecken will.

    Die für das Klangkonzept notwendige Unnahbarkeit und Unverwundbarkeit kann einen durchaus erst einmal einschüchtern, doch glücklicherweise lässt St. Vincent dem Hörer zumindest manchmal die „seltsame Gnade“ zuteil, nach der das Album benannt wurde. „Champagne Year“ darf in seinem harmonischen Schwebezustand bleiben, ohne vom sonstigen Bohren und Fiepen und Löten gestört zu werden, eine künstlich warme Roboterumarmung. Und dann verfügt Annie Clark auch über eine Stimme, die gerade aus dem Grund super zur Musik passt, weil sie in einer solchen Umgebung normalerweise nichts zu suchen hätte. Eine tiefe, elegante, verführerisch vibrierende klassische Bardivenstimme ist es, die hier so souverän durch das alltägliche Gruselkabinett führt, und sollte Clark irgendwann auf die Idee kommen, das Telefonbuch von Tulsa, Oklahoma rückwärts einzusingen, ich würde immer noch an ihren Lippen hängen.

    http://www.youtube.com/watch?v=RGIbR5jdA58

    #6583833  | PERMALINK

    Tiz

    Registriert seit: 15.03.2009

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    Heinali and Matt Finney klingen wirklich mal toll. Wunderbar verhängte und noisige Mischung, weiss zu gefallen! Findet man aber wohl wie das auch sehr toll klingende Ash Borer Zeug wohl nirgends mehr, oder?

    #6583835  | PERMALINK

    Ilo

    Registriert seit: 23.09.2007

    Beiträge: 13,393

    palezDeswegen:

    http://www.youtube.com/watch?v=gCdTsOaa6W0

    hahahaha, okay, das kannt ich noch nicht. muss auch dazu sagen dass ich bis dato noch nichts anderes von der band kenne.

    sehr schönes la-dispute-review btw, hätte man wohl kaum besser auf den punkt bringen können (insbesondere diese ganze wave-geschichte)

    #6583837  | PERMALINK

    palez

    Registriert seit: 04.01.2007

    Beiträge: 10,795

    TizHeinali and Matt Finney klingen wirklich mal toll. Wunderbar verhängte und noisige Mischung, weiss zu gefallen! Findet man aber wohl wie das auch sehr toll klingende Ash Borer Zeug wohl nirgends mehr, oder?

    Die Alben von Heinali & Matt Finney sind zwar alle wohl auf 500 Einheiten limitiert, da sich aber niemand für die Musik interessiert, dürfte Paradigms Recordings noch genug davon haben. Hättest mal auf mich hören sollen, als „Ain’t No Night“ noch 67.5% seines jetztigen Preises gekostet hat.
    Bei Ash Borer kann man die Hoffnung aber tatsächlich von vornherein aufgeben.

    @ilo: Merci!

    #6583839  | PERMALINK

    Tiz

    Registriert seit: 15.03.2009

    Beiträge: 4,651

    palezDie Alben von Heinali & Matt Finney sind zwar alle wohl auf 500 Einheiten limitiert, da sich aber niemand für die Musik interessiert, dürfte Paradigms Recordings noch genug davon haben. Hättest mal auf mich hören sollen, als „Ain’t No Night“ noch 67.5% seines jetztigen Preises gekostet hat.!

    Ui, vielen Dank, und ich gelobe Besserung und werde das nächste Mal auf dich hören :angel:

    #6583841  | PERMALINK

    Leo-suomi

    Registriert seit: 16.03.2010

    Beiträge: 1,934

    Na ja, wenn du auch LPs kaufst, könntest du die Ash Borer schon noch erwerben.

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