Paula Pantoffeltierchens Drogentrip mit Nikki dem Clown, Schachtmenschen, Mördern und einer Aberratio Mentalis Partialis

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  • #6809897  | PERMALINK

    Nik

    Registriert seit: 24.04.2011

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    Come and join our wild ride, the sideshow is in town!
    Ha, schön das es dir gefällt :haha:In der Tat eine tolle Band, und ich finde (gerade auf Something Wicked) dieses übergreifen von Steampunk auf Zirkusthematik immer wieder toll. Da ich das selbe Problem wie du habe (es läuft schon wieder in Dauerschleife) ein paar Worte des Trostes. Wenn man sich einmal sattgehört hat, fängt das ganze wieder von vorne an, wenn man später wieder reinhört. Die Band war auch mein persönlicher Einstieg in die wundervolle Welt der steampunkinfluences Music, von der du dir ja leider nichts anderes andrehen lassen wolltest (man stelle sich vor ich würde traurig weinen). Ganz abgesehen davon, dass sie einen meiner Lieblingskomponisten gecovert haben (Procofiev). Machen auch sehr vielfältige Musik.
    http://www.youtube.com/watch?v=nnUD_4Bxma8
    http://www.youtube.com/watch?v=vnaphJb5jQg

    Mit Cranes hast du mich wieder neugierig gemacht :haha:

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    Highlights von metal-hammer.de
    #6809899  | PERMALINK

    Nik

    Registriert seit: 24.04.2011

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    Lycia – Everything is cold
    http://www.youtube.com/watch?v=3cmRyohR5ZU
    Ahh, ich lebe wieder, und habe die Ideen, zu schreiben. Nachdem ich mich die letzte Woche durchgehend tot fühlte, ist jetzt alles wieder mehr oder minder okay. Aber das gehört hier auch gar nicht rein, und so kommen wir dann jetzt auch schon zu Lycia. Hab ich mich drauf gefreut, denn sagt mir gar nix. Aber palez erwähnt die dauernd, zumindest empfinde ich das so. Und so erwartet mich etwas, das mit schwammigen Begriffen wie Gothrock, Cold- und Dark- und Ethereal Wave und solchem umschrieben wird. Was da jetzt genau zu erwarten ist? Sehen wir mal!

    La la la la… tropf… tropf… la la la la… tropf… tropf… tropf… tropf… la la la la… tropf… la la la la…
    Wassertropfen die auf den Boden klatschen sind ein faszinierendes Schauspiel. Schneller als das Auge sie wahrnehmen kann, ein leichtes Blitzen in der gespannten Luft, ein flüchtiger Kondensstreifen. Ein leichtes Platschgeräusch, während der Tropfen aufplatzt und in kleine Spritzer zerspringt.
    Dieses Tropfen war das einzige, dass sie hörte. Zumindest das einzige Geräusch, welches nicht von ihr selbst stammte. Unregelmässig fielen Tropfen von den Spitzen der Eiszapfen über ihnen. Sie hielt sie für Zähne. Denn sie war fest überzeugt, im Magen eines riesigen Monsters festzusitzen, und nach oben hin aus seinem Maul sehen zu können. Irgendwann käme ihr Bruder und rette sie, ganz sicher. Raureif überzog ihre bleiche Haut, feiner Schnee lag auf ihren Haaren. Wie schnell die Zeit vergeht merkt man in den tiefen eines Fahrstuhlschachtes nicht. Aber sie war überzeugt, ihr Bruder sei erst gerade zuhause angekommen, um Hilfe zu holen. Noch hatte sie Hoffnung. Die Wassertropfen waren rot, dass hatte sie gewundert, aber an sich war die Lichtsituation mehr als bizarr. Graues Licht mit bläulichem Schimmer umwölbte die stählernen Balken und steinernen Wände, welche voller Risse und Löcher waren. Dazu, als Kontrast, die roten, fast penetrant grellen Tropfen auf dem weißen Schnee. Ein wahrer Farbkontrast. Nicht, dass sie je etwas von solchen Dingen verstanden hätte, oder auch nur das Wort Farbkontrast gehört. Würde sie auch nie mehr tun. Aber das wusste sie noch nicht.
    Sie lag nur still da und sah nach oben. Die schleichende Kälte hatte ihren Körper taub gemacht, und die Beneblung des Schocks liess sie ihre Knochenbrüche nicht spüren. Dünnes Eis bildete die Straßen ihrer Tränen nach, so dass ihre Wangen glitzerten. Er kommt, er kommt bestimmt. Ich weiß, dass er mich nie im Stich lässt. Und bis er da ist, warte ich hier auf ihn, alleine mit diesem seltsamen, salzigen roten Wasser. In leichten Wolken schwebt der Schnee nach oben. Dünnes, feines Pulver. Fliegt er nach oben oder fällt er, und ist das, wo ich bin, überhaupt unten?

    Everything ist cold lässt sich wohl am ehesten als ätherisch bezeichnen. Da ist es verständlich, dass das Album dem Ethereal zugeordnet wird. Die Atmosphäre ist dicht und fließend, wenn auch irgendwie leicht zäh. Die Stimme sollte das eigentlich zerreissen, aber dieses gebrochene, schwache Stammeln vermag es einfach nicht, durch diese Dichte zu schneiden. Es ist alles düster und monoton, ohne zu versuchen, böse zu wirken. Es wird mehr auf eine gewisse Klangschönheit gesetzt. Und das wird mit all den harmonischen Melodien, seichten Klängen und dem dünnen Gesang auch wunderbar umgesetzt. Das Lied sollte, rein objektiv, bestechend schön und harmonisch sein. Aber es beunruhigt mich.

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    #6809901  | PERMALINK

    Nik

    Registriert seit: 24.04.2011

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    The Gault – County Road, six miles in
    http://www.youtube.com/watch?v=k2SREmZOifM
    Da palez scheinbar in den Tiefen von jappy.com (oder doch .de?)verschwunden ist, verschwinde ich nun in den nächsten Song des Samplers. Und in der Tat, verschwinden trifft es hier ganz gut. The Gault erfüllen eigentlich alle Vorraussetzungen für eine gute Doomband: Nach dem ersten Album aufgehlöst, bei Labels, die scheinbar nicht mehr existieren, dafür Texte von Schmerz und Misere, und, wie es sein muss, kaum Informationen, die im Internet rumschwirren. Da hat jemand seine Arbeit gut gemacht. Zudem sind bei der Truppe aus ‚murica! mit Sarah Weiner, Lorraine Rath und John Gossard Musiker von den phänomenalen Weakling und den von mir ebenfalls geschätzten Worm Ouroboros zu finden. Und, tatsächlich, County Road, six miles in erfüllt das, was man vom Zusammenspiel dieser Bands erwarten könnte. County Road, six miles in ist ein kranken Vergnügen mit erdrückender Verzweiflung. Das Dröhnen, die dichte Atmosphäre von Weakling in der Langsamkeit eines Schneckenrennens , verbinden sich mit dem himmlischen Klang welcher Worm Ouroboros innewohnt. Der hymnische Gesang der gebrochenen Frauenstimme entfesselt eine grandiose Stimme, irgendwo zwischen Verzweiflung und Faszination, und wird immer wieder durch die, im Grunde nicht mals dominante Männerstimme unterbrochen. Intensiv, mitreissend, toll, und vor allem eigen.

    Die Wände sind so hoch. Sie kommen näher, wenn man sie lange genug anstarrt. Sie verengen sich nach oben, sie umschliessen den, der in ihnen gefangen ist. Wenn man die Wände anstarrt, scheinen sie sich zu öffnen – die Spalten, Risse, Löcher verzerren sich, ziehen sich auseinander, sie öffnen gigantische Portale, hinter denen sich Meilen weg zu befinden scheint. Die losen Kiesel fallen herab, ohne ein Geräusch zu machen, versinken langsam im losen Schnee.
    Sie lag auf dem Rücken, und bewegte sich nicht. Die Stunden zogen sich zu Monaten hin, und sie fühlte sich, als altere sie in vielfacher Geschwindigkeit. Eine große Leere füllte sie, hinterließ Sehnsucht, Angst, Zweifel in ihr. Würde ihr Bruder noch kommen? War sie verloren? War sie für immer hier gefangen? Würde sie hier, ganz langsam, verhungern? Und was war eigentlich mit ihrer Hand los? Sie hatte es, ja, wann hatte sie es entdeckt? Wenn sie ihre Hand mit voller Kraft gegen die Wand schlug, spürte sie keinen Schmerz. So lange, bis die Haut sich abschälte, weiße Flusen auf der Oberfläche ihres Handrückens bildete, so lange, bis sie das Fleisch sehen konnte, und Blut ihren Arm herablief. Sie spürte nichts.
    Das wenige Licht, dass zu ihr herabschien, schien weniger zu werden. Mit jeder Sekunde wurde ihr Versteck dunkler, beengender, beklemmender, sie hatte Angst, und diese Angst wuchs.
    Sie spürte, dass sie hier bleiben würde. Ihr Verstand befohl ihr, in naivem, kindlichem Vertrauen, dass ihr Bruder kommen würdem sie retten, vielleicht auch ein Suchtrupp, und das der böse Mann bestraft werden würde. Aber ihr Unterbewusstsein war längst über die Phase des Verleugnens hinaus. Sie wusste, dass ihr junges Leben hier sein Ende finden wird.
    Erstaunlich, was für düstere, gnadenlos realistische Gedanken das kindliche Gehirn in solch einer Situation formen konnte. Tränen hatte sie längst keine mehr, es fühlte sich an wie ein Schwamm voll Wasser, der mit aller Gewalt leergepresst worden war, und nun trocken zerbröselte.
    Auch ihr verzweifeltes Schreien war längst zu wimmerndem Krächzen verkommen. Schmirgelpapier, das ihren Rachen herabgedrückt wurde, ihre Lungen mit Blut füllte. Wenn man von oben herabsah, konnte man ihr Gesicht erkennen. Es war das Gesicht eines normalen, jungen Mädchens, noch der Kinderspeck auf den Wangen, die Konturen nicht entwickelt, mehr Baby als Frau. Das reine weiß von Staub, Dreck und Ascheflocken besprenkelt. Das, war unsere Realität. Doch sie lag im Schacht. Dort unten zierte ihr Gesicht ein Gewirr schwarzer Linien. Krakelig war ihre Haut mit Kreide und Wachsmaler ummalt, eine weiße Fratze die immer wieder aufbrach und die Haut durchliess. Die Augen glichen schwarzen Löchern, mit runden, blitzenden Knöpfen. Rote, runde Kreise auf den Wangen, lange, scharfe Linien die das Gesicht verließen und umrannten rissen aus den Augen heraus. Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt, wenn man hineinsieht. Die Schachtmenschen wussten das.

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    #6809903  | PERMALINK

    palez

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    Jappy ist doof. Der Grund, weshalb ich dort bin, auch. Lycia sind nicht doof. Ich sollte wieder so aufdringlich Werbung für die Band machen wie 2009, „A Day In The Stark Corner“ und „Live“ sind nämlich vermutlich das Beste, was unter dem Gothic-Deckmantel veröffentlicht wurde. Die Alben solltest du dir in voller Länge anhören, besonders ersteres ist atmosphärisch ziemlich filmreif.
    Ähnlich sieht es wohl bei The Gault aus, deren „Even As All Before Us“ für mich ein potentieller Erbe des Isolationsmeisterwerkes „A Day In The Stark Corner“ ist (das Album ist wiederum sowas wie mein „Closer“ der 90er, um mal zu verdeutlichen, wie viel ich davon halte). Auf Albumüberlänge entfalten sich Ghost Towns und zermürbende Stimmung am besten. Left an open door, as if I’d know my way.

    3. Carnival in Coal – Don’t Be Happy, Worry

    Es ist ja im Grunde so wie immer, man hat nach dieser zuallererst verschossenen Vorstellung keine Verwendung mehr für uns und wir dürfen machen, was wir wollen, solange wir nach dem Fall des Vorhanges wieder angetanzt kommen. Darauf legt die Zirkusdirektion nämlich Wert, dass die Freaks alle bleiben und beisammen sind und keiner verloren geht, vielleicht, weil wir am längsten dabei sind, die ach so ernsthaften Artisten würden uns schon liebend gerne loswerden. Da die Ignoration und Verheizung uns also wieder Freigang gewährt hat, strömen die Kinderchen in die Tiergehege, Alonzo der Armlose und Beatrice die Bärtige, meine liebreizende Assistentin, in die gemeinsame Koje, und mir, tja, mir hat man zur Unterhaltung immerhin noch den Anzugträger hinterlassen.

    Das Beste an dem Ort, an dem wir heute zum letzten Mal unsere Zelte aufgespannt haben, ist, dass man, ehe man wieder auf eine asphaltierte Straße zur Stadt hin hinauskommt, erst einmal vereinzelte Flecken Nadelwald durchqueren muss. Das muss man sich mal vorstellen: tiefste Nacht, knirschender Schnee, und dann verlässt man das Zelt auch noch vorzeitig alleine, weil einem das, was man miterleben durfte, gereicht hat. Genau das macht mein tapferer kleiner Anzugträger nämlich. Er drückt den Mantel an seinen Körper und stapft durch den Schnee, mit aufgestelltem Kragen. Ruhig, konzentriert, leise schimpfend. Mal sehen, wie viel es braucht, um ihn aus der Ruhe zu bringen.

    Nicht viel, wirklich nicht. Ich werfe einen Clownsschuh nach einem Baumwipfel, ein gut gezielter Wurf, wie sich herausstellt, denn der Schnee landet ihm direkt auf dem Kopf. Der Schuh auch. Spätestens bei dem Schuh fällt der Groschen. Er rennt also zwischen den dicht stehenden Fichten in die Richtung, die er für den direktesten Weg hält, die Beine versinken bis zu den Knien im Schnee, er stolpert. Rührend. Ich verstecke mich hinter den Bäumen, natürlich ist sein kürzester Weg der falsche, werfe mit Schneebällen. Wie viel Angst ein erwachsener Mann vor einem Schneeball haben kann! Na, der findet alleine raus. Ich komme auf den Platz hinaus, wo die Autos geparkt sind, gut, dass meine reizende Assistentin das Kennzeichen noch wusste, schließe die Tür auf und steige umständlich auf den Rücksitz. Den Schlüssel lasse ich gut sichtbar vor die Tür fallen. Woher ich den habe? Betriebsgeheimnis! Hach, ja. Schön hier. Warm. Sogar ein Autoradio hat der. „Leave today, I won’t change my way, I won’t listen to what you have to say…“

    Ich muss nur aufpassen, mit meinem Rücksitzgroove früh genug aufzuhören und außerhalb der Sichtweite zu rutschen, sobald ich ihn sehe, und ja – da kommt er. Den Gesichtsausdruck, als er seine Autoschlüssel im Schnee findet, sehe ich zum Glück noch, der ist aber auch zu herrlich. Immerhin steigt er trotzdem noch ein, schnell und hektisch, ohne auf den Rücksitz zu schauen – ein Fehler, Freundchen, ein ganz großer Fehler! Mit hervortretenden Knöcheln hält er sich am Lenkrad fest, und allmählich, denke ich, ist es an der Zeit, aus meinem Versteck hervorzukommen – so langsam bekomme ich Rückenschmerzen. Leider bringe ich mich selbst um den Überraschungseffekt, denn er sieht mich im Rückspiegel. Aber bevor er sich umdrehen oder den Sicherheitsgurt lösen kann, presse ich meine Hände an sein angstschweißnasses Gesicht.
    „Oh, einen wunderschönen guten Abend wünsche ich Ihnen! Würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz anzuhalten, damit ich den Platz wechseln kann?“
    Der werte Herr Anzugträger ist so folgsam wie ein ein politischer Gefangener in einer Militärdiktatur nach mehreren Wochen Folter.
    „Dass Sie an einem Werktagsabend so weit hinausfahren, um unsere letzte Vorstellung zu sehen, da darf man sich doch direkt geehrt fühlen! Macht es Ihnen denn keine Umstände? Sie sehen aus, als hätten Sie im Beruf einen ÄUSSERST verantwortungsvollen Posten inne, da muss man doch am nächsten Morgen vorbereitet sein!“
    „Es…es ist Samstag.“
    „Ach, was bin ich doch heute wieder schusselig, entschuldigen Sie bitte meinen dummen Fehler! Aber einen äußerst verantwortungsvollen Posten haben Sie doch bestimmt, oder? Jetzt nach rechts lenken!“
    „Ich b-bin Manager.“
    „Nein, wie beeindruckend! Und, wie läuft das Geschäft? RECHTS!“
    Lange Pause. Er atmet laut aus.
    „Hören Sie, wenn Sie mich um Geld erpressen wollen, ich habe kaum Banknoten dabei, ich -“
    „Also wirklich, glauben Sie ernsthaft, dass es mir nur um Ihr Geld geht? Halten Sie mich für einen solchen Materialisten? Ich muss doch sehr bitten! Rechts!“
    „In Ordnung. In Ordnung. ich weiß nicht, was Sie von mir wollen -“
    „WISSEN, WIE DAS GESCHÄFT LÄUFT! Haben Sie mir etwa nicht zugehört?“
    „Das Geschäft?! Oh, es…läuft gut. Nach den letzten Stellenstreichungen ist der Betrieb finanziell und personell entschlackter und kann viel effizienter arbeiten.“
    „Na, das klingt doch nach erfreulichen Nachrichten! Halten den Betrieb auf Kurs, zahlen die Steuern, ernähren die Familie. Sie haben doch Familie, oder? Rechts!“
    „Ich, ja, ich habe -“
    „Seien Sie so gut und stellen doch bitte das Autoradio wieder an. Oh, ein wunderbares Lied! Leave today, I won’t change my way…“
    „Ich habe Frau und Kinder…he, was machen Sie da?“
    Aus seiner Jackentasche habe ich das Portemonnaie und daraus ein Foto herausgezogen, von einem überschminkten Mädchen mit dümmlichem Gesichtsausdruck, zu alt, um seine Tochter zu sein.
    „Wie reizend! Ist das etwa Ihre Frau?“
    „Was? Nein, ja. doch, das ist -“
    „ICH FRAGE SIE JETZT NOCH EINMAL IN ALLER DEUTLICHKEIT, IST DAS IHRE FRAU?! REEEECHTS!“
    „Also, ich. äh -“
    „Weil das nämlich MEINE FRAU IST! Ja, auch wir Zirkusleute haben Familien, und nicht immer begleiten sie uns.“
    „Das…das wusste ich nicht, ich wollte Sie nicht, äh, also, dass das Ihre Frau ist…“
    Ich schaute ihn an und wie von zwei Fischerhaken gezerrt zogen sich meine Mundwinkel nach oben. So anrührend. Und so grenzenlos lächerlich.
    „Heeeey, na, was ist denn los auf einmal? Sie brauchen sich doch nicht so zu fürchten! Ich habe mir bloß einen kleinen Scherz mit ihnen erlaubt! Einen Jux, einen Schabernack, verstehen Sie? Ich bin ein Clown, schon vergessen? Wenn Sie also bitte noch einmal rechts einbiegen würden…“
    Nachdem wir einige Minuten im Kreis gefahren sind, kommen wir wieder am Parkplatz an, aber mein schweißgebadeter Chauffeur wider Willen hat durchaus Besseres zu tun gehabt, als das zu bemerken.
    „Hehe, ja, heh…ein Scherz. Die Scherze sind bei euch immer sehr gelungen, muss ich sagen. Doch, ich mochte das. Auch die Freakshow fand ich hervorragend, heh, heh…“
    Ein besseres Stichwort für mein Grande Finale hätte er mir gar nicht geben können.
    „WAS haben Sie gerade gesagt?“
    Seine Miene versteinert.
    „Ich, ich habe Ihnen und Ihren Kollegen doch nur ein Kompliment gemacht…ein ehrliches Kompliment?“
    „Los, steigen Sie aus.“
    „Aber -“
    „AUSSTEIGEN.“
    Er ruckelt an der Tür, mir dauert das zu lange. Mit einem beherzten Tritt stoße ich die Tür auf meiner Seite auf, gehe um das Auto herum, reiße an seiner Tür, er stürzt hinaus. Im Fall packe ich ihn noch am Kragen, um ihn dann wieder mit dem Gesicht voran in den frischgefallenen Schnee zu schleudern.
    „DIESE MENSCHEN, VON IHNEN GAR ABFÄLLIG ALS ‚FREAKS‘ BEZEICHNET, SIND WIE WIR ALLE KREATUREN GOTTES! WÜRDEVOLL UND WUNDERSCHÖN! UND HABEN SIE AUCH NUR DIE GERINGSTE AHNUNG VON DER KULTURELLEN SIGNIFIKANZ, DIE DIE CLOWNERIE IM LAUFE DER MENSCHHEITSGESCHICHTE ERLANGT HAT?!“
    Während er zusammengekrümmt am Boden liegt und schützend seine Hände vors Gesicht presst, höre ich das Lachen von Klara und den Kinderchen hinter mir, außerdem Beatrices glockenhelle Stimme:
    „Was machst du nur wieder hier? Musst du immer die Besucher erschrecken? Kannst du nicht einmal in deiner Koje bleiben, wenn du nicht gebraucht wirst, wie alle anderen? Los, komm mit, gleich ist die Show zu Ende.“
    Ich lasse den Anzugträger vor seinem Auto liegen.
    „In Ordnung.“

    Ich habe ja ein paar Kommentare früher bereits darauf verwiesen, dass Herr Arno Strobl mir hier nochmal begegnen wird, nämlich bei seiner ehemaligen musikalischen Hauptdomäne Carnival In Coal. Was er da macht? Hauptsächlich wohl Mike Patton ersetzen, der investiert sein durch „Easy“-Tantiemen erwirtschaftetes Geld nämlich lieber in eine sich auf dem Flügel räkelnde Jennifer Charles und italienische Schlager, anstatt sich mit dem deutschen Crossoverzirkus abzugeben. Wobei: distinktiv zirkusmusikalisch ist „Don’t Be Happy, Worry“ gar nicht mal, wenn man die anderen Titel von Teil 1 des Samplers in Betracht zieht, eher schon middle-of-the-road-allgemeinbescheuert, aber ist ja auch schon was. Wichtig ist für das Allgemeinbescheuertzertifikat vor allem eine gewisse Unzurechnungsfähigkeit, was Stilkomponente und Übergänge angeht. Das haben die Jungs verinnerlicht, und so mischen sie Grindcore, Slipknot, Discofunk und Fahrstuhlmusik eben NICHT, sondern lassen die Versatzstücke ganz heterogen nebeneinander stehen. Kennst du eigentlich Waltari, Nik? Die kreuzten in den 90ern mitunter Metalgitarrengrätsche mit finnischer Folklore und Eurodance. Na, jedenfalls. Die ersten paar Durchgänge sind noch recht desorientierend, das ist gut und richtig so, weil die Wechsel geradezu forciert halsbrecherisch sind. Dann tritt die Gewöhnung ein, das ist auch gut und richtig so, man hat so langsam raus, wie lange man auf den dämlich eingängigen Refrain zum Stuhlgrooven warten muss. Jaja, ein Refrain, strukturell ist das Ganze nämlich durchaus durchschaubar und durchsetzt von so vielen Wiederholungen wie (gefühlt) ein David Guetta-Song. Deswegen ist das schleppende, von dissonant quäkenden Bläsern durchsetzte Ende auch der gefährlichste Part des Songs. Davor wird nämlich höchstens angetäuscht, einen Zentimeter vor dem Gesicht stoppt die fliegende Faust und stupst einen an die Nase. Oder, um bei der Bildsprache des (sehr witzigen) offiziellen Videos zu bleiben: die wollen einen gar nicht entführen und foltern oder menschenrechtsverletzende Experimente machen, die wollen nur eine Corpsepaint-Party schmeißen.
    Ach ja, falls das nicht angekommen ist (ich werde immer schlechter darin, Komplimente zu geben): Nicht nur das Video fand ich sehr witzig, den Song durchaus auch. Ich weiß noch nicht, ob ich das brauche (finnischer Electroloremetal füllt mein Herz bereits aus), aber auf Songlänge hat die Band eigentlich einen ganz guten Eindruck hinterlassen.

    #6809905  | PERMALINK

    Hati

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    Beiträge: 4,571

    palezImmerhin steigt er trotzdem noch ein, schnell und hektisch, ohne auf den Rücksitz zu schauen – ein Fehler, Freundchen, ein ganz großer Fehler!

    i see what you did thar :haha:

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    Edgirl &Ich dachte ja eigentlich das die Jungs Erwachsen sind, insbesondere Tobi aber nach der Aktion,... das ist Kindergartennivou. Als das heißt das die Jungs zu Kleinkindern Motieren oder was? ich blick echt nicht mehr durch...
    Ich auch nicht, Sina. Ich auch nicht.
    #6809907  | PERMALINK

    palez

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    Hatii see what you did thar :haha:

    Herrliche Szene :haha:

    #6809909  | PERMALINK

    Nik

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    Ja, die Szene ist super, an sich war es wahrscheinlich das Video, wegen dem ich mich entschieden habe, Don’t be happy, worry in den Sampler zu nehmen :haha:
    Mein Lieblingssong von denen ist, bleibt und wird immer sein (uh, verkackte Satzstellung, schnell mit seltsamem Satz in Klammern retten, damit das niemand merkt) Yes, we have no bananas. Wie du merkst, CiC sind lyrische Lebensbejahung in pseudoepikuristischer Manier
    Apropos Video, und Arno Strobl, der nicht Mike Patton ist:
    http://www.youtube.com/watch?v=c-2Qw17BITw

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    #6809911  | PERMALINK

    Nik

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    And also the trees – Anchor Yard
    http://www.youtube.com/watch?v=JpoFz65qyAQ
    Erst einmal vorweg, bin ich der einzige der findet, das der Name, sowohl Lied als Band, geradezu penetrant nach Klischeepostrock schreit? Aber okay. Musikalisch wird dieser Schrei vollkommen ignoriert. Was auch daran liegen mag, dass sich wichtige Postrockvertreter wie GY!BE! erst ein paar Jahre nach dem Album gründeten, und selbst diese Anfangstage noch Jahre vor den Klischeenamen kamen. Und so liefert mir dieser Brocken von 89 irgendwas zwischen verstörend depressivem Postpunk in krank repitiv, aber irgendwie auch mehr Country als Punk, mit leidender Stimme und bedrückender Atmosphäre. Alles in allem irgendwo sehr eigen. So ein typisches Palezlied eben. So, keine Ahnung, Terra Tenebrosa goes Dark Wave. Auf jeden Fall sehr toll!

    Wenn hohes Lachen die Stille zum Erbeben bringt, flattern leinerne Bandagenbänder von dünnen Händen durch die Luft, umwickeln den Körper in einer gespenstischen Kür. Ihre rosafarbene Haut errötet leicht merklich, die klaren Augen starren in die Leere, die roten Lippen unmerklich gespreizt.
    Dünne, fleischige Beine strecken sich wie Gazellen, gespenstisch hüpft sie durch die Luft. Sie hat keine Kontrolle, als ihr Haar entgegen der absoluten Windstille in sämtliche Richtungen weht. Das flackernde Licht wirft ihre Schatten hundertfach an alle Wände, übertönt die rostigen Eisenhaken. Schwere Gerippe aus gebrochenen Knochen hallten die schwere Kathedrale, die gebröckelten Rände entlassen Kabel aus ihren Ritzen. Wie Schlangen werfen sie zuckend Blitze in die Gegend, tanzen auf den dünnen schwarzen Pfützen, sprenkeln die Dunkelheit mit Lichtkegeln.
    Ein großes Loch eröffnet ihr Ziel – ein riesiger Zylinder, ewig hoch. Tausende und Abertausende Schächte laufen aus den Wänden heraus. aus allen Höhen und Ebenen. An ihren Enden fällt es steil ab, direkt in die Tiefe. In der Mitte des riesigen Zylinders erhebt sich ein ebenso monumentaler Turm, auf welchen selbst der Turmbau zu Babel niederknien würde. Unmengen an Treppen und Leitern, Aufstiegen und Rutschen, Aufzügen und Bahnen besteigen ihn zu hunderttausenden Ebenen, eine riesige Stadt. Ihre Eingänge zieren Häuser und Geschäfte, Terassen und Gärten, Bäder und andere Gebäude. Alles getaucht in staubiges graubraun.
    Ununterbrochen ihrer Kür fröhnend lösen sich die Füße von der Kante in die stillstehende Luft. Sie schwebt wie ein Engel im Vakuum.
    Eine Sekunde zwei Sekunden drei Sekunden vier Sekunden fünf Sekunden sechs Sekunden sieben Sekunden acht Sekunden neun Sekunden zehn Sekunden elf Sekunden zwölf Sekunden dreizehn Sekunden vierzehn Sekunden fünfzehn Sekunden sechszehn Sekunden siebzehn Sekunden achtzehn Sekunden neunzehn Sekunden zwanzig Sekunden einundzwanzig Sekunden zweiundzwanzig Sekunden dreiundzwanzig Sekunden vierundzwanzig Sekunden Knacken.
    Ihr Körper besprenkelt den Boden gleichmäßig. Ungeachtet ihres zertrümmerten Behältnisses wuseln die Schachtmenschen hektisch durch die Gegend. Mit dem Brechen ihrer Gliedmassen ertönt ein Horn in der Nähe. Nichts imposantes, oder einschüchternes. Eher in verqueres Quäcken, entstammend aus einem verdrehtem, welligen blechernen Corpus voller schlampig angebrachter Flicken.
    Sofort eilen drei Schachtmenschen herbei. Der erste, der Anführer, thront einschüchternd vor den anderen. Sein sehniger, anorexischer Körper wird von einer schwarzen, schmutzigen Kutte umspielt, der lange dürre Hals presst einen Adamsapfel wie einen echten Apfel hervor. Die eingefallenen Wangen lassen das lange Gesicht noch länger wirken. Dunkle Augenhöhlen halten schwarze Knöpfe, die im Dunkeln leicht sachte aufblitzen, und aus denen drahtige schwarze Linien sein Gesicht zieren. Die Wangen sind mit schwarzen Spiralen beschmiert, welche die weiße Schminke aufbrechen, die Haare stehen borstig zu allen Seiten ab und durchstechen die Luft. Darüber, arrogant und überheblich, sitzt schief wie der Turm von Pisa ein gigantischer Zylinder, schwarz weiß gestreift. Ein ähnliches Bild bieten seine beiden Begleiter, welche ihm gebückt folgen. Doch sie sind klein und dick, das bleiche Fett bei jedem Schritt schwabbelnd. Ihre schweinischen Wangen sind von roten Kringeln bekrickelt, und auf ihren Köpfen sind kleine Spitzhüte plaziert. Ungeschickt stolpern sie umher, heben die Stücke ihres Körpers auf und sammeln sie ihn bauchigen Körben, welche sie mitgetragen haben, während der Aufseher sie, gleich einem Geier, nicht aus dem Blick lässt.
    Schneller als ihre fetten Stummelbeine es vermuten lassen, kriechen sie umher, immer auf der Suche nach verlorenen Knochen, Gliedmaßen oder Hautfetzen. Die Pickerei beendet, erheben sie sich wieder, und das Trio verlässt den Platz. Ehrfurchtsvoll öffnen die Passanten ihnen eine Gasse.

    >’ssts die kleene hoch g’wes’n? ’ssts ja alles verstükkelt wie’n geplatztes Glas. ’ss wird ’ne Heedenarbeyt, do…< Langsam erhebt sich der kleine, dürre Mann. Sein Gesicht zieren mehr Drahtlinien als die der anderen. Vorsichtig setzt er ein Monokel auf, und beugt sich über die Körbe. > ’ss wird dauern.. geht’s ma‘ lieber, brauch‘ meene Ruh‘..<, in der brüchigen Stimme eine scharfe Dominanz, welche die dicklichen Lakaien. zurückweichen lässt. Nachdem sie den Raum verlassen hatten, setzen die dünnen Finger eine dünne Nadel mit kratzendem Knistern auf eine runde Scheibe Vinyl. Zu den beunruhigenden repitiven Tönen beginnt er langsam hin- und herzuwippen, während er die Stücke aus dem Korb auf einem großen Tisch ausbreitet und sortiert. Vier Tage sortiert er. Dann beginnt er, die Stücke langsam zu vernähen, dabei bestreicht er sie mit seltsamen, stinkenden Mixturen, welche er frisch ansetzt und braut. Dicke Bände mit alchemischen und okkulten Symbolen liegen herum, und werden hektisch geblättert und studiert, Bandagen angebracht, Fäden durchgeschnitten, Drähte und Stangen eingeführt und eingesetzt, und allerlei Obskuritäten werden angewendet, um aus den Überresten etwas zu formen, das dem ähnelt, was es einst einmal war. Auch so vergehen weitere drei Tage. Nicht, dass er das so wahrnehmen würde. In den Schächten gibt es keinen Tag-Nacht-Zyklus. Die Schächte haben ihr eigenes Tagsystem. Und in diesem arbeitet er genau einen Tag. Die Dauer der Geburt eines Schachtmenschen. Mit unsicheren Schritten tapst sie durch die fremden Gassen. Wer sie einmal war, weiß sie nicht. Aber sie weiß, dass sie jetzt ein Schachtmensch ist. Eine neue Existenz. Sie pfeift eine beunruhigende, repitive Melodie vor sich hin, welche gespenstisch durch die Luft hallt. Ihre dünnen Beine staksen durch die Menschenmengen, die bandagierten Hände ziehen Bänder hinter sich her. Ihr Gesicht sieht nach oben. Knöpfe spiegeln das Licht, weiße Schminke bedeckt das Gesicht in einer verkrusteten Schicht, Die Wangen glühen von rotem Puder, die Haare sind kunstvoll hochgebunden, und doch stehen immer wieder borstige Strähnen wie Stöcker heraus. Ein einziger, schwarzer drahtiger Strick biegt sich in einer Krümmung von ihren Augen über die Wange. Sie besteigt die erste Treppe des Turmes. Zwischen dem Boden des Fahrstuhls, wenn er im untersten Stockwerk zum Stehen kommt, und dem Grund des Fahrstuhlschachts gibt es einen Zwischenraum, und der ist so groß, dass da ein ganzer Mensch hineinpasst. Vielleicht sogar mehrere. Das sind dann die Schachtmenschen, die leben in ihrer eigenen Welt mit eigenen Regeln. Eine Schachtstunde ist, wenn der Fahrstuhl einmal ganz unten angekommen ist, und wenn er da lange genug bleibt, dann schlafen die Schachtmenschen. Wenn der Fahrstuhl oben ist, dann strecken sie sich aus und jagen Tiere und Vögel, die es nur in den Schächten gibt, nicht bei uns. Viele verschollene Kinder aus Amerika sind nun Schachtmenschen und leben glücklich und zufrieden. Das behauptet man oben zumindest.

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    #6809913  | PERMALINK

    Nik

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    Argh, da Paula und ich nicht so die größten Fans von gutem Zeitmanagement sind, haben wir das nen bisschen schlauchen lassen… ich versuch so bald wie möglich wieder was zu liefern

    Zur Überbrückung etwas gute Musik

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    #6809915  | PERMALINK

    Nik

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    Miranda Sex Garden – A fairytale about Slavery
    Ehm, ja, ja wie versproche habe ich mich majestätisch aus dem Trott erhoben, und der Lethargie den Krieg erklärt, was dann dich nichts war, ich lag ja doch den ganzen Tag nur im Bett. Jetzt muss ich sagen, dass ich zu dem Lied nicht viel schreiben kann, sich dafür der Textteil beim Hören quasi verselbstständigt hat. Ist das jetzt gut oder nicht? Naja, schauen wir erstmal auf die Künstlerin. Miranda Sex Garden hat natürlich schon einen anregenden (oder doch -rüchigen) Namen, und verbirgt eine Formation aus dem wunderschönen London, die scheinbar immer irgendwo zwischen A capella, Gothic und Ambient rumgehüpft sind. Die Albenjahreszahlen waren so interessant wie der Name, gegründet, dann fünf Veröffentlichungen in vier Jahren, sechs Jahre später doch noch ein Album und dann einfach Ende. hm.
    A fairytale about slavery ist speziell. Extrem minimalistisch, anfangs eine schrille Drehorgel, die sich langsam verliert und dezenter wird, während der Gesang eine dominantere Rolle einnimmt, und auf fast neun Minuten quasi nur zwei Sätze wiederholt.
    Das klingt so doof, weil es eben so minimalistisch ist, dass man es kaum beschreiben kann, und auch den Text nicht als Aufhänger nehmen kann, weil der eben nur aus zwei Sätzen besteht. Und so hab ich ein Dilemma, und kann eigentlich nicht viel mehr sagen als: Dieses Lied ist einfach umwerfend toll, wunderschön, mitreißend, einfach awwwww. Und so. Wenn auch sehr deprimierend. Aber gerade das macht die Schönheit aus. Und diese Stimme. Unglaublich. Aber da es langsam peinlich wird, da mein Kopf heute keine Worte für sowas sachliches finden kann, schnell zum Text.

    Eine Umdrehung schlägt ein Rad das ein Zähnchen drückt das ein Knöpfchen zückt das die Stange schwingt und ein Ton erklingt. Eine Rolle mit vielen kleinen Zähnchen, oja, vielen kleinen Zähnchen. Man sollte meinen die Zahnfee hats gedreht, aber nein, nein. Nur der große Mann wars, er wars. Es treibt mich in den Wahn, es raubt mir den Sinn, ich hasse es ich hasse es ich hasse es so sehr. Wieso sind die Wände so grau wieso sind sie so dick wieso sind sie so hoch wieso wieso?

    Und das Gesicht, WAS STARRST DU MICH SO AN DU AFFE?

    Es ist so ärgerlich. So doof.

    Es ist wie mein Spiegelbild, aber wieso ändert es sich nie. Wenn er mein Auge blau schlägt, wieso ist seines heil? Wenn mir das Blut das Gesicht herunterläuft, und der Schmutz mir die Sicht raubt, wieso ist er so rein? Wenn meine Knochen bersten und meine Haut fahl wird, wieso ist der so lebendig? Wieso ist er ich, aber nicht wie ich?
    Haltbar, 1,5% Fett. Und dann noch ich. Eine komische Verpackung. Wieso bin ich da denn drauf?
    Vermisst. Seltsames Wort. Seltsames Wort. Ver – misst. V – er – miss – t. Seltsames Wort.
    Wie lang ich wohl hier bin? Es gibt ja keine Uhr. Nur die Packung, und die Wände. Und die Treppe. Und mich. Wenn ich den Arm hebe dauert das bestimmt Jahre. Wie verloren ich hier doch bin, schon seltsam, schon seltsam.
    Es ist keine Flüssigkeit mehr drin. Mein Spiegelbild umklammert eine dicke Masse. Wenn man sie isst, muss man ganz furchtbar brechen, und weil es so klein ist, muss man dann darin schlafen, bis er wieder kommt. Dann schlägt er einen. Deshalb darf man es nicht essen, egal wie lange man schon nichts mehr gegessen hat. Er schreit dann ganz dolle. Und schlägt einen. Aber das macht er auch so.
    Da verliert man einmal den Weg, sie sagten doch durch den Wald geht es schneller, aber im Wald ging es nicht schneller. Wie lang ich wohl hier bin? Es gibt ja keine Uhr.
    Ob die Vögel noch singen können? Oder ist der Boden schon braun? Oder gar schon weiß?

    Nein, nein, ich darf nicht weinen. Wer weint ist schwach, hat er gesagt, man darf nicht weinen.
    Es muss wehtun hat er gesagt, das ist nun mal so, dass kann man nun mal nicht ändern.

    Und das Spiegelbild weint ja auch nicht, also darf ich ja auch nicht weinen, sagt er. Wieso klirrt es oben schon wieder, und wieder dieses Geschrei, dass ist nicht gut, dass ist gar nicht gut, dass heißt er kommt gleich wieder dass heißt ich darf wieder nicht weinen dass heißt er darf nicht sehen das ich geweint habe das ist gar nicht gut dass darf nicht sein ich will das nicht WIESO STARRST DU MICH SO AN DU AFFE?
    Nein, nein, er trampelt, wenn er trampelt schlägt er. Das ist das Schloss, oder? Und da das Stapfen auf den oberen Stufen. Und jetzt das andere Schloss. Und das Quietschen der großen Tür. Und die Füße auf der Treppe. Und wie laut er trampelt er trampelt so laut wieso trampelt er heute so laut ich will das nicht dass darf nicht sein ich will das nicht WIESO STARRST DU MICH SO AN? WIESO STARRST DU MICH SO AN? WIESO WIESO WIESO WIESO WIESO?
    …when did you realize that you’d never be free?

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    #6809917  | PERMALINK

    Nik

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    The 3rd and the Mortal – Magma
    Na gut, ich mach dann halt mal weiter.Ich komme zum finalen Block des Samplers. Und ehrlich gesagt auch zu dem, auf den ich mich thematisch am meisten gefreut habe. Den Anfang macht hier die Band The 3rd and the Mortal, welche mir erst einmal gar nichts sagen. Norweger, was ich ja sehr sympathisch finde, ich mag dieses knuddelige Land einfach. Bei Wikipedia stand dann noch etwas von Doommetal. Und dementsprechend konsequent dann auch die Auflösung: Gibt keine, mal meldet sich irgendwann nur einfach nirgends mehr. Pazi könnte mir bestimmt sagen die wie-vielte Rule of Doom Metal das ist. Aber gut, ist auch eigentlich am Thema vorbei, denn entweder Paulas Auswahl war ungewöhnlich, ich hab ein falsches Verständnis von Doom Metal oder der Wikipediamensch hat einfach keine Ahnung. Oder gabs da Wandel im Laufe der Diskographie?
    Den Beginn machen durchaus dronig anmutende Soundscapes, die eine wundervoll bedrückende Stimmung erschaffen, atmosphärisch ist das Doom also durchaus angemessen. Eine verzerrte Sirene, blecherne, verheißungsvolle Schläge. Zwischendurch schon fast The Angelic Process-que Melodien, und auch der Gesang könnte da fast rein passen, wenn auch nicht verzerrt. Doch was an Verzerrung fehlt, wird an leidendem Überhang wettgemacht – langgezogene, verwackelte Worte, darüber ein penetrantes, unpassendes Saxophon, welches wirkt, als hätte man mehrere Melodien übereinandergelegt. Nicht im schlechten Sinne, eher im Sinne einer Rihm-Komposition. Im folgenden Teil nimmt das Saxophon dann schon Dark Jazz verwandtes Gehabe an. Toll, einfach toll.Genau sowas hab ich mir gewünscht!

    Graue Wolken können den Himmel hier so bedecken, dass er wie eine geschloßene Fortsetzung der Betonwände wirkt. Sie verschmelzen mit den Plattenbauten und schaffen Säulen, welche den Hebräern den Weg in den Schlund der Anonymität weisen. Ich schließe meine Hände zu fragilen Muscheln, setze die Lippen an die Öffnung zwischen Daumen und Zeigefinger. Tiefes Inhalieren, ein neckisch saugendes Geräusch und Knistern. Mein Hals kratzt leicht, durch die Nase entfliehen die wunderschön duftenden Schwaden. Fast spielerisch hebt sich ihr reines weiß gegen die graue Wand, welche nun leicht verschwimmt, ein surreales Ziehen im Augenwinkel.
    Eine Leichtigkeit, welche sich in mir ausbreitet, eine wohlige Wärme, wie Magma im Inneren des Vulkans.
    Meine faltigen nackten Zehen klammern sich leichtsinnig um den kühlen Stein. Mein Hemd weht, der Wind umstreichelt meine Brust. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen. Die Fingerkuppen am Fensterrahmen sind mein Sicherungsseil in sechszehn Etagen Höhe. Diese Freiheit, diese schwere, verlockende Freiheit.
    Blendende Impulse durchzucken meine Synapsen, erfüllen sie mit den Farben welche die Stadt meinen Photorezeptoren viel zu lange verwährt blieben. Ich atme tief ein. Meine Trachea erblüht wie eine Lavalampe.
    Ich schließe die Augen.
    Ich lasse los. Meine Fingerkuppen gleiten vom Rahmen. Gravitation umarmt mich. Mit dem Mehrfachen meines Gewichts falle ich. Ich falle.
    Ich mache die Augen auf. Meine Fußsohlen berühren wieder den kalten Stein. Meine Vertebrae krümmen sich, ich ziehe den Kopf leicht ein, und lasse mich rückwärts auf das Bett fallen.
    Ich spüre mein Blut mit harten Schlägen pulsieren. Es weitet meine Aorta meine Aterien meine Venen meine Ateriolen meine Veniolen meine Kapillaren. Die Dehnung erzeugt Spannung, die Spannung zerreisst meine Haut.
    Magma fließt.
    Es verbrennt mein klägliches Fleisch zu grauer Asche. Schreie in meinem Kopf. Schwefelgeruch. Eine steinerne Seele. Ich lasse meinen Arm auf die Seite fallen, und lasse die Asche mit leichtem Tippen in die Tonschale fallen. Scheiße, dieser Ort macht mich so krank.

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    #6809919  | PERMALINK

    Nik

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    The Comsat Angels – Gone
    The Comsat Angels.

    Mark Kermode, film critic for BBC Radio Five Live, championed The Comsat Angels when reviewing the Ian Curtis biopic Control, stating that the Comsats were „the band that Joy Division should have been“

    Starke Worte. Das zu halten wahrscheinlich doch eher schwer. Aber der Vergleich zeigt ja schon, wo es hingeht. Post Punk, England. Ich muss ja sagen dass Post Punk mich immer in einen Zustandpeinlicher Jugenddepression versetzt, aber ich bin 17, ich darf das.Red‘ ich mir zumindest ein.Gone ist zumindest ein wundervolles Lied.Dieser herrlich penetrante Bass, der leicht hallende, wehleidige Gesang. Die Gitarre spielt sich irgendwo im Hintergrund in Trance, ohne wirklich beachtet zu werden. Und ist da überhaupt ein Schlagzeug? Dieser Bass, damn.Die Spannung in der abwechslungsarmen Monotonie, in Motiven, Rhythmen und sogar den Textzeilen. Dann kommt etwas Spannung rein, hah! Ein Schlagzeug! Und eine Gitarre! Aber an den Bass kommt das doch nicht, und das gefällt mir. Was ein herrliches Lied. Und der Text erinnert mich ungemein an Was hat dich bloß so ruiniert. Was natürlich unfassbar viele Pluspunkte einbringt.

    Aufwachen hat immer was von Bleigewichten die in die Gelenke schneiden. Hochbewegen ist Qual, und Aufsetzen der Tod. Mein Kopf dreht sich, und die Sicht ist verschleiert. Nicht schön. Einfach körnig. Kleine Tränen als ich gegen das Licht blinzel. Alles dreht sich, und mein verdammter Kopf dreht sich. Ich brauch dringend mehr Schlaf.
    Mein Mund fühlt sich taub an. Meine Augen sind rot, aber gut, dass ist ja eh Dauerzustand.
    Wo sind eigentlich meine Shirts? Achja, die Hängen zum trocknen über der Wanne. Dann hat sich das mit dem Duschen auch erledigt. Einfach ’nen Pulli über das Gerippe, Haare bisschen durcheinanderwerfen. Wird schon. Schlimmer wirds eh nicht mehr.
    Der lange Flur ist nicht wirklich lebensfreundlich. Mit schnellen Schritten stakse ich über den dreckigen Boden im aggressiven Licht der Lampen. Die Treppen runter, immer im Kreis, durch die Tür mit der gesplitterten Scheibe. Auf der Straße kommt das Licht nicht wirklich an. Wie durch dickes Milchglas schimmert es noch leicht. Der Bus fährt vor, ich steig‘ ein, Ticket vorhalten, da hinsetzen wo die wenigsten Menschen lungern, Augen immer aus dem Fenster, jeden Kontakt vermeiden. Zwölf Minuten, neun Haltestellen, vier mal mein Lied. Jeden Tag die selbe Routine. Zumindest, wenn ich mich mal entschließe, zu den Vorstellungen zu gehen. Wertschöpfungsanalyse nach Porter. Nicht, dass das System schon so verachtenswert genug wäre.
    Aber Mama und Papa wollen ja ihren Vorzeigesohn, Strahlemann. Und da muss man dann ja auch was vernünftiges studieren. „Kunstgeschichte ist was für Obdachlose und Asoziale, willst du etwa auch so werden?“ Als ob das schlimmer wäre, als so verbittert und perspektivlos zu werden.
    Dieser ganze „No Future“-Kram war mir immer zu plakativ. Aber was steht mir schon bevor. Irgendwo dazwischen, eigentlich nirgendwo. Ich existiere irgendwo im Nichts, gehör‘ nirgendwo dazu. Ich hasse die Menschen die mich umgeben. Ich will mit euch gar nichts zu tun haben, hört auf mich so dumm anzugrinsen mit euren geschniegelten Haaren gebügelten Hemden zerknitterten Hosen und weißen Zähnen.
    Mein Sitznachbar starrt mich aufdringlich an. „Wette das wird voll interessant. Ich muss gut aufpassen, damit ich im Sommer mein Betriebspraktikum bekomm. Mir steht ’ne große Zukunft bevor, werde bestimmt ’nen wichtiger Bänker.“ Selbstverliebt betrachtete er seine Hand. Seine Aussagen hatten nicht die Absicht, ein Gespräch zu beginnen. Im Gegenteil. Er wollte eigentlich nur mitteilen, wie toll er sich doch findet. Das einzige was du wirst, ist unglücklich, dachte ich mir. Aber wahrscheinlich findet er sich selbst dann noch zu geil, um das zu bemerken. Wo sind die unbeschwerten Zeiten der Jugend hin. Die Freude. Dieses Gefühl jung zu sein.
    Der Mann vorne am Beamer redet aufgeregt, ich seh‘ zu wie seine Lippen sich bewegen, aber seine Worte prallen dumpf an mir ab. Was ist nur aus mir geworden. Irgendwas fehlt. Irgendwas ist verloren gegangen.
    Ich seh zu wie die emsigen Ameisenstelzen aus den engen Wegen flüchten, panisch ihre Sitze verlassen, ab ins Leben. Abends noch einen trinken, ein paar fragen mich ob ich mitwill. Mein Mund formt ein paar Ausreden, ich bleib sitzen und starr an die Wand. Der Raum wird friedlich wenn er leer wird. Ich dürfte der letzte sein, aber ich schau‘ mich nicht um. Mein Bus kommt erst in ein paar Minuten.
    „Hey, du. Kannst du mir vielleicht einen Kuli leihen? Das wär echt großartig.“ Die hohe Stimme reißt mich aus der Lethargie. Ein süßes Mädchen, zierlich, lange dunkelrot gefärbte Haare, welche unter einer dicken Mütze hervorschauen. Nervös spielen ihre Finger am Zipfel ihres Jutebeutels. Joy Division. Die Kleine hatte Geschmack, dass musste ich ihr lassen, warum sie mir wohl noch nicht aufgefallen ist. Ich reiche ihr meinen Kugelschreiber, gerade beim nachsehen fällt mir die Uhr auf. Ich muss los. Verdammt. Sie schreibt irgendwas, also los, bevor ich hier wieder ’ne Stunde länger gefangen bin. Sie würde bestimmt nicht mit mir warten wollen.

    Knicken knicken knicken W formen drehen drauflegen draufschütten durchmischen knicken reinschütten aufschütteln rollen zudrehen zwischen die Lippen klemmen leicht ankokeln dann brennen lassen anziehen. Tief einatmen. Welt aus. Irgendwo dazwischen. Was ist mit mir geschehen.

    Die Wochen ziehen vorbei ohne das etwas passiert. Die Abende mit Romy und den anderen Irren. Die Vorlesungen. Die Süße ist nicht da. Keine Ahnung wo sie ist. Ich sitz da, auf der Bank, stundenlang. Schau nur ob sie mal vorbeikommt. Aber immer nur die gleichen Fratzen die aufgeregt schnattern. An den Anfängen der Lesungen wandern meine Blicke erst durch den Saal, suchen dann die Türen immer wieder ab. Ich hab seit vierunddreißig Tagen keine Lesung mehr verpasst. Der Mensch braucht ja irgendeine Aufgabe. Und ich glaube die passt ganz gut. Romy hat mir angeboten, dass sie dafür sorgt dass ich den ganzen Mist erstmal nen Tag vergesse. Aber das will ich nicht. Ich will nicht vergessen. Ich will diesen kurzen Augenblick behalten. Und doch merke ich, dass es von Tag zu Tag länger dauert mich an ihr Gesicht zu erinnern. Irgendwie wurde sie entfernt. Was wohl mit ihr passiert ist. Sie ist irgendwo verloren gegangen. Hier, da, irgendwo dazwischen. So weit weg. So nah. Was wohl mit ihr passiert ist…

    Knicken knicken knicken W formen drehen drauflegen draufschütten durchmischen knicken reinschütten aufschütteln rollen zudrehen zwischen die Lippen klemmen leicht ankokeln dann brennen lassen anziehen. Tief einatmen. Wie ist ihr Name? Wie ist ihr Name wie ist ihr Name wie ist ihr verdammter Name nur…

    Ich frag mich wo der Sinn hinter all der Scheiße ist warum bin ich eigentlich hier in diesem verfickten kleinen Raum der Himmel kotzt mich an und die Sonne verbrennt meine Augen die Nachbarn kotzen mich an und ich hasse alle hier und warum hab ich sie nicht nach ihren beschissenen

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    #6809921  | PERMALINK

    palez

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    *Tür einen Spaltbreit öffne*
    *zu meinem Tisch schleich*
    *hoff, vom Lehrer nicht gesehen zu werden*

    Aww, schön, dass dir die Musik gefällt. Zu The 3rd and the Mortal muss ich noch sagen, dass da die Genrezuordnung schwierig bis unmöglich ist. Doom M-E-T-A-L, UGH haben die eigentlich nie gespielt, aber mit ihrer Mischung aus folkigeren King Crimson-Momenten, testosterongefilterten Black Sabbath und Love Spirals Downwards-Darkwave mal eben den Gothic Metal miterfunden. Das war mit den Kari Rueslatten-Alben, ich habe dir ein Stück von „Painting on Glass“, der ersten Full Length mit Ann-Mari Edvardsen, auf den Sampler gepackt. Das kam 1996 raus, da war der Gothic Metal gerade auf seinem künstlerischen Höhepunkt, The 3rd and the Mortal aber schon weiter über das alles hinaus, als (ehemalige) Fans nachvollziehen konnten. Tja, Pech gehabt. Dafür eines der besten und spannendsten Alben an der Metal-Peripherie der 90er veröffentlicht.

    Übrigens freut es mich, dass du dich beim Storypart von III an ein tendenziell nüchternes Sprachregime hältst :). Die Beschreibungen bei „Anchor Yard“ fand ich nämlich mitunter ziemlich überladen, auch wenn ich mir im Sinne der schauerromantischen Welt (waren die Knopfaugen ein Verweis auf „Coraline“? ^^), die du da entwirfst, nachvollziehen kann, was du dir dabei gedacht hast. Allerdings ist es schade, dass du diesem Bild den unpassend hoffnungslosen Schluss bei „A Fairytale About Slavery“ gegenüberstellst, auch wenn der IMO besser geschrieben ist. Aber das ist in dem Sinne ja eh meine Schuld, weil ich mich nicht von einem Song trennen konnte…

    Mein eigener Reststorypart zum Sinnabschnitt kommt, wie gesagt, demnächst. Das hier schreibe ich mir noch vom Herzen:

    4. Sigh – L’Art De Mourir

    Um Sigh habe ich bisher jahrelang und grundlos einen Bogen gemacht. Dieser Sampler zwingt mich nun, zum ersten Mal gegen den Laternenpfahl zu laufen. Wie sie denn so war, die Kollision? Ungefähr ebenso kopfschmerzverursachend wie die Metapher. Der Sound wird nach einem drollig trashigen Einstieg mit Schachtelteufellachen marginal besser, maximal merkwürdig bleibt die Produktion dennoch. Da füllt der Bass jede Ritze mit vibrierenden Dissonanzen auf, ohne dass man ihn lokalisieren könnte, das Schlagzeug macht Tompf-Tompf-Tompf wie beim Topfschlagen und die Gitarre spielt ihre im Grunde einfache und vorhandene Melodie gegen den Strich. Dazu krächzen und zischen die Stimmen aus allen Richtungen und der Vortex wird enger und schneller. Sigh machen hier mit Black Metal das, was Psilocybin mit Bryan Sanders‘ Gesicht und Selbstwahrnehmung gemacht hat. Mit Symphonic Black Metal, um genau zu sein – und welche Musikrichtung hätte es auch eher verdient, übersteigert und entstellt zu werden? Der Refrain – strukturell ist der Song schlichter, als die instrumentale Reizüberflutung zulassen möchte – wird von verquer fröhlichen Bläserfanfaren eingeleitet, auf dem weiterhin stattfindenden Chaos thront eine albern barocke Geigenmelodie. Die klaffenden Nähte sind gewollt, anders kann es gar nicht sein, und diese Grundeinstellung, dass hier irgendwas nicht stimmt, ändert sich auch nicht, wenn die faux-symphonischen Elemente im weiteren Songverlauf organischer eingebunden werden. Und für dieses über seine eigenen Füße stolpernde Gitarrensolo hätte es auch nirgendwo einen besseren Platz gegeben als in diesem Song. Dass man aus dem Kommentar nicht wirklich herauslesen kann, wie ich den Song fand, war übrigens Absicht.

    5. Le Grand Guignol – Mens Insana In Corpore Insano

    Ich weiß zwar auch nicht, wie das passieren konnte, aber so ein bisschen, also ein bisschen sehr, sind wir mit unserer Konzept ja doch übers Ziel hinausgeschossen. Novellenideen entwerfen, die des jeweils anderen so weit übersteigern, bis sie an die Zimmerdecke stoßen – dabei ging es hier doch ursprünglich nur um Musik. Musik, die wir dem jeweils anderen zeigen wollten, möglichst verlustfrei arrangiert in einer halbwegs sinnvollen Reihenfolge – also eigentlich wie immer. Wie lässt sich aber nun „wie immer“ mit einem megalomanischen Gesamtkunstwerkanspruch vereinen? Manchmal eben gar nicht. „Mens Insana In Corpore Insano“ finde ich im Hinblick auf die Story nicht tragend, im Grunde völlig verzichtbar. Und im Samplerzusammenhang lange Zeit eigentlich auch. Irgendwie ist der Zirkuspart dann doch zu lang geworden, das Thema ausgereizt, das war wahrscheinlich die Schuld von mir und meinen Sonderwünschen, aber trotzdem. Le Grand Guignol gehen keinen entscheidenden Schritt weiter als die Bands davor, sie klingen weniger mitreißend, weniger unterhaltsam und weniger wahnsinnig. Die Musik ereignet sich irgendwo zwischen Hidden In The Fog und Devil Doll – an sich hervorragende Vorzeichen! – und klingt im Zusammenhang mit dem Konzept und der Platzierung damit schon wieder zu edel für das, was sie vermutlich darstellen sollte. Der Klang ist aseptisch sauber, der Metalanteil in Drumming und Gitarre klinisch tot, der Kreativspielplatz wird bereitwillig den Gimmicks überlassen. Gut, hier dürfen trotz jederzeit gegebener Keyboardmehrheit die Gitarren etwas mehr machen als dumpf „modern“ im Hintergrund rumbratzen, solieren nämlich, das aber nur in den kitschigen Bereichen, in denen sich hier ansonsten auch die Glöckchen und Pizzicato-Streicher aufhalten. Das war bestimmt gewollt (Mensch, Paula, lach doch mal!), und mit dem erwähnten Devil Doll-Anteil – Sprechgesang, bunte Tücher aus dem eigenen Rachen ziehen – versucht man auch, das Ganze zu konterkarieren, das klappt nur nicht so richtig. Das ist umso bedauernswerter, da das Ende – maschinelle Beschleunigung bis zum Komplettkollaps und Aufwachen ans Operationsbett geschnallt – einen Blick auf ein Konzept erhaschen lässt, welches mir, da mich die Musik nicht so gekickt hat, entgangen ist. Isoliert finde ich den Song mittlerweile in Ordnung (irgendwie verspüre ich eine Notwendigkeit, das klarzustellen), im Story- und Samplerzusammenhang lag er mir aber im Magen wie ein verschluckter Bauklotz.

    6. Koenjihyakkei – Rattims Friezz

    Der Name, das Cover, die Zuordnung zum Zeuhl (Triplealliterationen erhöhen den Cholesterinspiegel) – das klingt ordentlich bescheuert, beziehungsweise komplett meiner Welt entzogen, das klingt nach Endgegner, das klingt nach Musik, der ich nicht gewachsen bin. Ob das stimmt? Ich schnalle mir jedenfalls schon mal vorsorglich ein Kissen um den Kopf. Zumindest am Anfang passiert noch nichts wahnsinnig Besorgniserregendes, das regelmäßige Geklimper klingt eher nach Nachrichteninterludium. Danach gesellen sich zwar weitere Instrumente hinzu, und es stört mich ein bisschen, dass es keine wirklich ausgeprägte Lautstärkehierarchie zwischen ihnen gibt, aber die Elemente bleiben im kompatiblen Rhythmus, sie arbeiten nicht gegeneinander. Der „kompatible Rhythmus“ wird schnell aufgeregter, beweglicher, das Stück öffnet sich, ohne auszufransen. Zumindest ein bisschen eigenartig wird es erst mit dem kieksigen Oktavenhüpfen ab 1:50, der Gesang – voller, tiefer, weiblicher – ist davor nämlich sehr schön, auch wenn die Klangfarbe nicht hundertprozentig zum Rest passt. Dann biegt das Stück scharf ab, Jazzklavier legt sich über aufgeregtes Drumming und man versucht, den Anfang mit den lieblichen Tönen und dem vollmundigen Gesang und den laufenden Part zusammenzubringen, obwohl es nicht geht. Ab hier ist es ein Kräftemessen zwischen befreitem Aufspielen und zähneknirschender Verspanntheit, je nachdem, ob die Flöten- und die helleren Klaviertöne oder der Bass und die skandierenden Hintergrundstimmen gerade am Zug sind. So etwas wie einen Höhepunkt gibt es, als sich die Stimme der Sängerin kurz in operettenhafte Höhen schraubt, aber weil um ihn herum noch viele kleinere waren, fällt er im Grunde nicht auf. Dass es keinen Part gibt, der die anderen überschattet, ist hier eigentlich sogar angenehm, wie auch das ganze Stück angenehm ist, obwohl es hyperaktiv und fordernd ist und voll mit Zeug, das einen potentiell nerven könnte. Das liegt vielleicht daran, dass die Musik ungewöhnlich und eigenartig, aber nicht assoziationsfrei und fremd ist. Das Detailreichtum und die vielen kleinen Verrücktheiten könnten an sich auch ein paar waghalsigere Progressive Rock-Bands aus den 70ern hinbekommen haben (aber: haben sie eben nicht, kann man auf den entsprechenden Alben nachhören), wenn auch vermutlich nicht in genau dieser Dichte und Anordnung. Ich könnte es mir auch leichter machen und sagen: Koenjihyakkei klingen wie Magma, nur kawaii. Meine Befürchtungen haben sich jedenfalls nicht bestätigt, meine Hoffnungen auf interessante und kreativitätssprudelnde Musik aber erfüllt.

    #6809923  | PERMALINK

    Nik

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    Tja, ich würde dir ja jetzt was zu Sigh empfehlen, aber ich weiß nicht genau was du davon hälst. Du vermutlich noch weniger.
    Die Band hat eine tolle Entwicklung durchgemacht, von trve vnt sakvrai blakkmetal (Mirai soll eines der sagenumwobenen Hirnsplitterchen von Dead zugeschickt bekommen haben) zu der Entscheidung, dass das ja irgendwie dann doch nicht so toll ist.
    Und da, wo Dark Throne sich in Norwegen danach mal alles irgendwie probiert haben, haben Sigh es in Japan getan. Dementsprechend eben auch theatralischer, überzogener und seltsamer. So war der Übergang dann irgendwas, das zwischen alten Wurzeln und fast cineastischem Bombast schwankt (Hail Horror Hail), weitere Experimente und Psychedelicaus- und Einfälle dann auf Imaginary Sonicscape und dann eben allerlei Getue und Gemache bis zu dem, was du dir da antuen musstest – ein Song vom 2010er Werk Scenes from Hell. Die aus dem letzten Jahr solltest du dir dringend anhören – die Band funktioniert im Albenkontext eh besser.
    Außerdem kommt es bei den Alben immer gut, sich die Recording Session vorzustellen
    [SPOILER]

    Bei Le Grand Guignol bin ich hingegen eher enttäuscht. Schade, da es sich dabei um eine Band handelt, die ich sehr gerne höre, und die mMn auch weitaus mehr Beachtung verdienen. Ich mag die Grundstimmung entsteht, vor allem auf Albenlänge, und die Verspieltheit, vor allem beim Gesang. Im Konzept des Albums hat jede Figur des Zirkus eine eigene Stimme, was das Gesamtwerk schon mehr zu einer Erzählung als lediglich einem Album macht. Ich seh aber ein, dass die Platzierung dann wohl doch eher suboptimal war. Vielleicht versuchst du es ja später einfach noch einmal mit dem ganzen Album.

    Und was du zu Koenjihyakkei sagst, joa, könnte ich wohl so unterschreiben, also, so ziemlich alles. Der Vergleich zu Magma liegt übrigens nahe – warum? Weil Magma das Genre Zeuhl erfunden haben – inklusive Name und allem anderen.

    Zeuhl (pronounced [d͡zøːl]) means celestial in Kobaïan,[SUP][1] the constructed language created by Christian Vander.[SUP][2] Originally solely applied to the music of Vander’s band, Magma, the term zeuhl was eventually used to describe the similar music produced by French bands,[SUP][3] beginning in the mid-1970s. Although primarily a French phenomenon, zeuhl has influenced recent avant-garde Japanese bands.[SUP][4]

    Wie sich da auch schon erkennen lässt, hat die Musikrichtung sich vor allem in Japan verbreitet, mit der dortigen Folklore und Avantgardemusik vermischt und Bands wie, joa, eben Koenjihyakkei hervorgebracht. Und dabei ist Rattims Friezz sogar ein eher gemächliches Lied. Tolle Band, wo es sich lohnt sich einfach mal quer durchzuhören, da es überall was zu entdecken gibt. Und auch an sich eine tolle Musikrichtung, wo du dich mal reinhören kannst, wenn du magst.

    --

    #6809925  | PERMALINK

    Hati

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    So sehr ich Sigh auch mag, so finde ich die Songs auf Scenes From Hell (woher auch der hiesige Samplersong stammt) vergleichsweise schwach. Im Falle, dass Palez‘ Umschiffen der Meinung zu dem Song daher rührt, weil er so gar nicht gefallen hat, so würde ich das wirklich nicht auf die Gesamtdiskografie übertragen.

    Dass bei Le Grand Guignol mal wieder der Devil Doll-Vergleich kommt, finde ich schade, da ich die Herangehensweisen der Bands total unterschiedlich finde. Während bei LGG das Konzept die Musik unterstützen soll, ist es bei DD doch eher so, dass die Musik sich dem Konzept unterwirft. Die Illusion der vollständigen Zirkusatmosphäre kann daher natürlich nur klappen, wenn es auch instrumental bei Le Grand Guignol zündet. Wohingegen man bei Devil Doll auch in den Bann gezogen werden kann ohne zwangsläufig die Musik abzufeiern, die ich nämlich nicht durchweg famos fand und ohne entsprechenden lyrischen Rahmen etwas kahl fände.

    Die Bezeichnung „Endgegner“ für Zeuhl finde ich schon sehr lustig^^
    Ich hoffe die erwähnten Assoziationen waren wirklich der einzige Grund für diese Annahme und nicht etwa Nezyraels überzogene Tirade über das Genre während dem Battle mit mir.

    --

    Edgirl &Ich dachte ja eigentlich das die Jungs Erwachsen sind, insbesondere Tobi aber nach der Aktion,... das ist Kindergartennivou. Als das heißt das die Jungs zu Kleinkindern Motieren oder was? ich blick echt nicht mehr durch...
    Ich auch nicht, Sina. Ich auch nicht.
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