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Ich find se zwar auch „toll“ aber richtig kicken tut sie mich nicht.
IloKlar kennt man das. Das ARTE Tracks-Interview hatt ich doch auch im Review hier im Thread zur Platte! 😉
Zur Platte sag ich mal nichts. Frag mich nur warum die (genau wie Tool, Alice In Chains oder The 3rd and the Mortal) schon so früh kommt!
Naja, im Verhältnis zu den von dir erwähnten Alben hat „Jane Doe“, so wie ich das sehe, eigentlich eher wenig Federn gelassen…
Tatsächlich würde ich aber sagen, dass das Album für mich sogar an Bedeutung gewonnen hat.
xTOOLxWeil die ersten Plätze bestimmt nur aus Drone bestehen 🙂
Im Ernst, gute Frage eigentlich. Was kann da noch kommen ^^
Es kommen noch genau zwei Drone-Platten…:haha:
(und vielleicht noch 2-3 „Blaupausen“ aus anderen Genres)SirMetalheadtoll geschrieben, palez. Hab jetzt schon oft genug was über die Platte gelesen und habe dann immer wieder aus Neugier reingehört. Leider fühlte ich nichtsdergleichen… Es geht zwar jedesmal eine gewisse Faszination von der Musik aus und es gibt bestimmt viel zu entdecken, aber was alle an den Vocals so toll finden, versteh ich beim besten Willen nicht. Die sind so abwechslungsreich wie auf nem Endstille-Album *gg*
Kann ich nachvollziehen, sehe es aber eigentlich nicht so. Wie gesagt, das Album steht über der Sachlichkeit.
Danke übrigens auch für die Blumen@[A.F.P.] & MetalSirhead 🙂
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]12. Anathema – Alternative 4
We are just a moment in time,
A blink of an eye,
a dream for the blindAnathemas musikalische Entwicklung verlief eigentlich recht kohärent und flüssig, einzig zwischen dem 1996er Werk „Eternity“ und dem zwei Jahre später erschienenen Nachfolger „Alternative 4“ gibt es einen wirklichen Bruch. „Alternative 4“ klingt im Grunde genommen wie die absolute Antithese zum Vorgänger. „Eternity“ war ein absolut typisches Übergangsalbum, unbequem sitzend zwischen dem Doom Metal früherer Tage und den sanfteren Klängen, die später den Sound bestimmen sollten. Bei „Alternative 4“ hatte die Band ihren Stil nun überraschend schnell gefunden, die Metamorphose von einer eher unscheinbaren Death Doom-Combo zu einer höchst eigenständigen Formation irgendwo in der Schnittmenge von Alternative- und Progressive Rock war nun endgültig vollzogen. Mit „Alternative 4“ haben Anathema ihren Stil definiert und perfektioniert (wenngleich sie diesen auf den Folgealben um einige feine Nuancen erweitern und weiterentwickeln konnten). „Eternity“ versank in Bombast, über den Stücken lag eine dicke Schicht Keyboard-Kleister (Hmm, das klingt jetzt eigentlich negativer, als es gemeint ist…ich schätze das Album sehr, keine Frage). „Alternative 4“ klingt im Vergleich dazu geradezu spartanisch.
Die Produktion ist glasklar und angenehm natürlich. Der Klang der Streicher und die perlenden Läufe des Klaviers (meist wird ein echtes Klavier eingesetzt, Keyboard relativ selten) haben einen nicht unwesentlichen Teil zur Atmosphäre beigetragen. Die Kompositionen sind durchdacht und feingliedrig, geradezu minimal arrangiert und haben nun viel Luft zum Atmen. Diese Reduktion aufs Nötigste war den Songs auf jeden Fall zuträglich; gerade die erwartungsvolle Stille zwischen den Klängen schafft eine ungeheure Dichte und lässt die musikalischen Akzente noch besser wirken. Selbst in den stillsten, fragilsten und zartesten Momenten sind die Stücke noch sehr spannungsreich, einzig „Fragile Dreams“ wirkt etwas lasch (wenn da mal keine Steine in meine Richtung fliegen, haha…). Neben der größeren kompositorischen Reife der Musiker hat sich vor allem Sänger Vincent Cavanagh um ein Vielfaches steigern können. Schöpfte er früher seinen Charme und sein Charisma aus einer latenten Unbeholfenheit und Imperfektion seines Vortrags, so ist seine stimmliche Beherrschung hier geradezu beängstigend. Doch einen wirklich guten Sänger macht keine technische Perfektion, sondern die emotionale Ausdrucksstärke aus – auch da konnte Vincent Cavanagh bemerkenswert nachlegen. Man wäre versucht, die Texte als überzogen oder gar kitschig zu bezeichnen, wären sie nicht von einer Band wie Anathema in Szene gesetzt und vor allem einem Sänger wie Vincent Cavanagh intoniert worden. Jede einzelne Zeile klingt wie immer wieder gefühlt, durchlebt und durchlitten, jede Phrasierung, jeder Schrei, Seufzer und Atemzug klingt so ehrlich und glaubwürdig, dass es fast schon unangenehm wird. Für eine solche schlichtweg brillante Performance wäre kein Grammy, sondern eigentlich ein Oscar fällig. Mindestens. Und dann treffen die Lyrics in Verbindung mit der Musik so gnadenlos, gezielt und präzise jedes Mal diesen einen wunden Punkt, wo es am meisten schmerzt. Jemanden, der zumindest ansatzweise nachvollziehen kann und vielleicht auch selbst durchlebt hat, was hier vertont wurde, können Melancholie-erfüllte, tränenerstickte Glanztaten wie „Shroud of False“ und „Lost Control“ unmöglich kalt lassen.
Für diese Stimmung zeigt sich vor allem der damalige Bassist Douglas Patterson verantwortlich, sechs der zehn Songs gehen auf sein Konto. Nach den Aufnahmen zu „Alternative 4“ stieg er aus und hob sein Projekt Antimatter aus der Taufe, wenn man so will, ist dieses Album also sein Abschied von Anathema. Der wohl eindrucksvollste Song aus seiner Feder ist der Titeltrack des Albums. Der Titel „Alternative 4“ bezieht sich auf das Buch „Alternative 3“ von Leslie Watkins; angesichts einer globalen Katastrophe (Atomkrieg) werden der Menschheit drei Möglichkeiten zu überleben geboten. Hinter „Alternative 4“ steht Pattersons eigener Gedankengang: es gibt keine Überlebensmöglichkeit. Die Vertonung der Endzeit, der letzten Minuten vor dem Untergang, ist hier auf beispiellos beklemmende und fesselnde Art gelungen. Schwebende, hohe Keyboards durchziehen das Stück, die lauten Drums und die Gitarrenakzente sind sparsam eingesetzt und genau deshalb so schmerzend. Drehschrauben-Spannung, die Ihresgleichen sucht. Der Gesang ist gezeichnet von einem kontrollierten Zorn, die Worte hängen schwer, geradezu erstickend in der Luft. In der dritten Strophe setzen das Drumming, die Gitarren und das Klavier aus, einzig das Flirren des Keyboards und der Gesang sind noch da. I’ll dance with angels to celebrate the holocaust, and far beyond my far gone pride is knowing that we’ll soon be gone – knowing that I’ll soon be gone. Cavanaghs Ausdruck ist jenseits von Angst, Verzweiflung und Hysterie; nur noch gezeichnet von dem Wissen, dass die Welt bald untergehen wird und er mit ihr, und der starren Akzeptanz des Unvermeidlichen. „Knowing that I’ll soon be gone“. Symbolische letzte Worte. Es folgt eine ungeheuer qualvolle Steigerung, die Anspannung wird geradezu unerträglich. Das Fieseste und Schlimmste an „Alternative 4“ ist der unerwartete Fade-out und dass der Hörer nicht mit dem sich ankündigenden Ausbruch erlöst wird.
Nach diesem Preludium zur Apokalypse zieht einen das folgende „Regret“ wieder ins Leben, obgleich der Grundton eindeutig pessimistisch bleibt. Das Stück wird von Akustikgitarren geprägt, es baut sich auf und ebbt wieder ab, vor allem ist es trotz seiner Nachdenklichkeit und Melancholie aber sehr kraftvoll. Es liegt vielleicht auch am Einsatz der Hammond-Orgel, aber hier wird auch der große Einfluss von Pink Floyd besonders deutlich. Es haben sich gewiss schon viele daran versucht, doch kaum einer, eigentlich keiner weiteren Band ist es bis dato so gut gelungen, dieses spezielle Feeling zu transportieren, welches die besten Songs späterer Veröffentlichungen von Floyd auszeichnete.
Das kompositorische Niveau ist hier (fast) durchgängig so hoch wie auf eigentlich keiner weiteren Veröffentlichung von Anathema, doch einen Song möchte ich noch ganz besonders hervorheben: „Re-Connect“. Die gesamte Band incl. Sänger steigt sofort ein, man glaubt zunächst, es hier mit einem recht gradlinigen Rocksong zu tun zu haben. Kaum ist die Strophe zu Ende, ebbt das Stück ab, Vincent seufzt, als richte er sich direkt an den Hörer: I could never turn to you, I was silenced by the look in your eyes, I feel I’m slipping back again. Erneut nimmt das Stück eine Wendung, die Handbremse wird gelöst, der Song baut sich zu erstaunlicher Größe auf. Die Dualität zwischen der puren Zerbrechlichkeit und Schönheit des Gesangs und der wachsenden Kraft und Aggression im instrumentalen Bereich ist in ihrer schieren Intensität kaum auszuhalten. Irgendwann haben die Musiker selbst diese Energie nicht mehr unter Kontrolle, die Drums überrollen sich selber, „Re-Connect“ steigert sich zu einem emotionalen Orkan. Come on and twist that knife again, well I’d like to see you fucking try, never going back again. Der Song stürzt von da an in einer Spirale unaufhaltsam in den Abgrund. Die Essenz einer zerrütteten Beziehung, ein vielleicht jahrelanger Kampf, komprimiert auf nicht einmal vier Minuten. Der vielleicht beste Song, den Anathema je geschrieben haben.
Visions from a dying brain,
I hope you don’t understand.Morgen gibt es übrigens zwei alben (von der selben Band).
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]Wunderbar geschrieben. Das Album ist eines der traurigsten und depressivsten das ich je gehört habe. Ein kleines Meisterwerk.
einzig „Fragile Dreams“ wirkt etwas lasch
*Riesigen Stein werf*. Das Lied geht in meinen Augen so was von unter die Haut
TizWunderbar geschrieben. Das Album ist eines der traurigsten und depressivsten das ich je gehört habe. Ein kleines Meisterwerk.
Thx! 🙂
*derweil kalten, feuchten Lappen an entstandene Beule halt und weitermach*
10. Joy Division – Unknown Pleasures
Guess the dream always end
They don’t rise up just descend
But I don’t care anymore
I’ve lost the will to want more
I’m not afraid, not at all
I watch them all as they fall
But I remember, when we were youngWenn es eine Band gibt, auf die man sofort und als erstes stößt, wenn man sich mit New Wave/Post-Punk befasst, wenn es ein Album gibt, in dem sich so eine (oberflächliche) Vorstellung der Klangästhetik von New Wave/Post-Punk manifestiert, so ist dies Joy Division, so ist dies „Unknown Pleasures“, wenn es ein wirkliches Sinnbild der Post-Punk-Bewegung gibt, so ist es eben dieses so schlichte wie stilvolle Cover. Schwarz, weiße Linien, Berge, Wellen, Erhebungen, düster und pragmatisch, minimal. Joy Division waren dabei die rückblickend vielleicht sogar wichtigsten Protagonisten, jedoch bei weitem nicht die einzigen und auch nicht die ersten.
Post-Punk war, wenn man so will, eine Reaktion auf konventionsgebundene Rockismen, aber auch auf die tumbe Aggressivität, den Anti-Intellektualismus und strikt verneinenden Nihilismus, die einengenden Grenzen und Ideologien des Punk. Symbolträchtig; Public Image Limited entstehen aus der Asche der Sex Pistols. Der Punk berief sich darauf, von der Straße zu kommen, die meisten New Wave/Post-Punk-Bands formierten sich im Umfeld von Kunsthochschulen. Post-Punk oder auch New Wave stand für Progressivität im wahrsten Sinne des Wortes; die Bands streckten ihre Fühler in Richtung des von den Punks verpönten Progressive Rock aus und entdeckten den Minimalismus, ließen sich von heißblütigen, primitiven afrikanischen Rhythmen und Funk genauso wie von kalter Electronica inspirieren, interpretierten Disco neu oder entsagten allen gängigen Normen und Strukturen. Nach dem Tod der Zukunft wurde eine Unendlichkeit von Möglichkeiten geboren. Unter den Bannern „Post-Punk“/“New Wave“ werden Bands von Throbbing Gristle bis Devo, Gang of Four bis Bauhaus, This Heat bis XTC zusammengefasst. Gemeinsam war einzig eine gewisse Grundidee, oder besser gesagt Motivation; tristgraue, unwirtliche, industrialisierte Hochhauslandschaften, eine katastrophale politische Lage, Orientierungslosigkeit, gesellschaftliche Entfremdung.
Als geistige Paten dieser Musik gelten der deutsche Krautrock, The Doors, The Velvet Underground, Nico, David Bowie, vor allem aber auch das Solo-Debüt von Iggy Pop, „The Idiot“. Vielleicht so etwas wie die größte und wichtigste Initialzündung, die junge Künstler dazu brachte, neue Wege zu beschreiten. Eine vielleicht ziemlich unwichtige Information: „The Idiot“ war das letzte Album, was sich auf dem Plattenteller von Ian Curtis drehte, als er sich mit 23 Jahren am 18. Mai 1980 erhängt hat. Eine etwas wichtigere Information dürfte sein, dass eben dieses exzentrisch-zähe Album während der Aufnahmen zu „Unknown Pleasures“ kaum den Plattenspieler verließ. Das war Ende der 70er bei vielen Bands so, ja, es gab auch gewiss Bands, bei denen dieser Einfluss direkter und deutlicher ans Tageslicht trat, bei Joy Division wurde der düstere Charakter dieses Albums auf ein neues Level gebracht.
Auffallend ist vor allem die enorme Basslastigkeit der Kompositionen; „She’s Lost Control“ lebt vor allem von seinem paranoiden, dabei höchst prägnanten Basslauf. Gitarren sind quasi nur begleitend, die Drums spielen statisch. Der Sound war für diese Zeit recht unüblich, da extrem hart, kalt und blechern, dabei aber perfekt die Klangästhetik der Musik akzentuierend. Ian Curtis intoniert mit charakteristischer, markant tiefer Stimme über diesem musikalischen Fundament die Texte. Ein schlichter, geradezu spartanischer Klang, dennoch von einer bemerkenswerten Größe und Dichte, ein edler, mattschwarzer Monolith.Viele bezeichnen „Unknown Pleasures“ als eines der ersten Gothic-Alben der Musikgeschichte, ich persönlich würde eher sagen, es handelt sich um einen direkten Vorläufer, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: auf „Unknown Pleasures“ wird die Tragödie nicht zur Glorie und zum Ideal erhoben, nicht zelebriert, es ist kein Fluchtweg, der Tod ist nicht verwoben mit einem gewissen Hedonismus. Joy Division klingen dunkel, aber gänzlich pathosfrei. Insofern ist UP vielleicht eben doch ein Sinnbild der Post-Punk-Bewegung, zumindest ihrer verbindenden Grundmotivation. Denn UP ist nicht so sehr von künstlerischer Fortschrittlichkeit und übergeordneter Experimentierfreude geprägt wie andere Alben zu dieser Zeit, sondern eher von eben dieser Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Entfremdung, von eben diesen tristgrauen, unwirtlichen, industrialisierten Hochhauslandschaften, von Angst, Einsamkeit, Lebensüberdruss, wachsender Distanz und Isolation. Die Lyrics schildern dies auf eine manchmal grausam treffende Art und Weise, sind weder metaphernreich-beschönigend noch offensiv. Manchmal gibt es noch eine Art sonderbare Energie, die keine ist, die „Disorder“ und „Interzone“ noch vorantreibt, das jedoch ohne wirkliche Wut, ohne Motivation, sie ist da, aber gezeichnet von Apathie. I’m not afraid anymore – hier ein Ausdruck eben dieser Apathie. Manchmal erhebt sich die isolierte Seele zum eindringlichen Klagegesang – wie in „New Dawn Fades“. I’ve walked on water, run through fire, can’t seem to feel it anymore. It was me, waiting for me, hoping for something more, me, seeing me this time, hoping for something else. Manchmal klingen die Songs nicht ganz so abgenagt, manchmal herrscht zwischen den Tönen auch nicht ganz so viel Leere, wie in „Shadowplay“. In keinster Weise jedoch beim Grande Finale „I Remember Nothing“.
Der großartigste, einnehmendste, passendste Schluss, den ich mir für ein Album wie „Unknown Pleasures“ vorstellen kann. Ein aus weiter Entfernung hallender Drumrhythmus, völlig entseelte Gitarren platzen manchmal in die Szenerie und verschwinden ebenso schnell wieder. Geräusche; Peitschenhieb-Effekte, Klirren. Ian Curtis‘ in dieser Kulisse weit im Vordergrund stehender Gesang. Dazwischen nichts, vor allem aber kein Licht. Schreiende Stille. Beengende Weite. Martin Hannet hat dem Album eine brillante Produktion auf den Leib geschneidert, was besonders in „I Remember Nothing“ deutlich wird; die Größe des Klangs liegt im Hall, dem endlos langen Abprallen und Schwingen der Schallwellen, bis man wieder auf ein halbwegs vertrautes Geräusch stößt. Man fühlt sich, als tappe man blind und verloren durch Curtis‘ damalige Gedankenwelt, wo er einen mit „We were strangers, for way too long.“ begrüßt, vielleicht auch eher durch die eigenen Untiefen. Die Töne scheinen sich gegenseitig, vor allem aber jegliches Leben von sich abzustoßen. Eine absolute Finsternis, in der man sich selbst nicht mehr findet. Me in my own world…eine Zeile, die in bestimmten Situationen erbarmungslos in mein Bewusstsein dringt und mir in diesem Kontext immer wieder Schauer über den Rücken jagt.
10. Joy Division – Closer
Asylums with doors open wide,
Where people had paid to see inside,
For entertainment they watch his body twist,
Behind his eyes he says, ‚I still exist.‘This is the way, step inside.
This is the way, step inside…Mit ungewöhnlichem Getrommel (spontan musste ich sogar an die weltmusikalische Offenheit von Talking Heads denken…), dem Bass als immer noch wichtigstes melodieführendes Instrument und leichtem industrialisierten Rauschen öffnet sich die Tür zu „Closer“. Besonders durch den (gewissermaßen auch erschreckend autobiographischen) Text wird sofort eine beklemmende, unbehagliche Stimmung verbreitet. „Atrocity Exhibition“ mutet an wie der Ort, an dem man sich nach „I Remember Nothing“ wiederfindet. Nachdem „Unknown Pleasures“ in seinem Minimalismus das ganze Fleisch von den Knochen genagt wurde, hat man sich auf dem Zweitwerk „Closer“ also ans Skelett gemacht? Mitnichten.
Dass Joy Division in die Fußstapfen von Queen oder zahlreichen 70er-Sympho-Prog-Kombos treten wollen würden, war nicht zu erwarten, und doch hat Produzent Martin Hannet das instrumentale Spektrum der Band beträchtlich erweitert. Obgleich sich die Band wie schon beim Vorgänger eher dagegen gesträubt hat, diese in ihren basischen Sound zu integrieren, sind hier Keyboards und elektronische Spielereien mitunter tragender Bestandteil der Musik; so im sentimentalen, zeitlos schönen Abschied „Decades“ und „Isolation“. Die Keys im genannten Song lassen alles Leben in ihrem Umkreis sofort erstarren, kratzen in ihrer Eisigkeit an der null-Kehlvin-Marke. Ein Aspekt, der bei Joy Division oftmals ziemlich unterschätzt wird, hier wie auch im musikalisch sinnesverwandten „Love Will Tear Us Apart“ zu tragen kommt, ist, der omnipräsenten Düsternis zum Trotz, auch eine gewisse Tanzbarkeit. Man könnte hier vielleicht entfernt auch an die spätere Ausrichtung der JD-Nachfolgeband New Order denken, noch eher aber an den immer noch latent durchscheinenden Punk-Spirit der Band, an ihre Wurzeln und die Energie, die sie bei ihren Live-Auftritten durchaus entfalten konnten. Meist konnte Hannet diese aber auch hier erfolgreich im Keim ersticken.
Eigentlich kaum zu glauben, dass da eine Steigerung überhaupt noch möglich war, doch klingen die Gitarren hier noch trister, blutleerer, lebloser als auf „Unknown Pleasures“. Das benommen vorwärtsrollende „A Means To An End“, das durch elektronische Verfremdung extrem fremdartige und gespenstische „Heart and Soul“ und „Passover“ klingen bis in ihr tiefstes Inneres zermürbt, resigniert und erkaltet. This is the crisis I knew had to come. Im Vergleich zur urbanen Aura von „Unknown Pleasures“ klingt „Closer“ wie allein und in völliger Abschottung von der Außenwelt in einem kleinen, unwirtlichen Zimmer aufgenommen, somit auch ungleich einsamer, isolierter, weltabgewandter und beklemmender. Trotz eines erweiterten Instrumentariums wirkt das Album beispiellos desolat, karg und abweisend. Inmitten der lethargischen Apathie und Unbewegtheit flackert jedoch besonders gegen Ende noch eine gewisse Kraft auf; „Twenty Four Hours“ könnte der energischste und dynamischste Song der Band sein, die sich immer wieder steigernde Energie ist in diesem Falle jedoch klar verneinend, Ian Curtis in Flucht vor dem grausamen Leben, aber auch sich selbst. Einzig von „The Eternal“ wird der Song in seiner Intensität noch übertroffen. Eine drastischere, tiefere, schwärzere, konzentriertere Vertonung von Depression habe ich bisher schlicht nicht erlebt, Curtis‘ gebrochener Gesang und der leise Tränenbach des Pianos begraben selbst den lichtesten Sommertag unter schweren Gewitterwolken.
Ian Curtis erhängte sich am 18. Mai 1980 mit 23 Jahren in seiner Wohnung, zwei Tage vor der geplanten Amerika-Tour, „Closer“ wurde im Juli 1980 posthum veröffentlicht. Seine in die Brüche gehende Ehe, der wachsende Erfolg seiner Band, die mit Medikamenten nur unzureichend bekämpfte Epilepsie und die Nebenwirkungen eben dieser Medikamente mussten ihn als Persönlichkeit schwer belastet, regelrecht zerrissen haben, was man jeder einzelnen geradezu erlittenen Note dieses Albums anhört. Vor diesem Hintergrund gerät „Closer“ zu Curtis‘ Requiem und mein Geschriebenes, aber auch der allgemeine Grundtenor und die Musik selbst bekommen einen (in meinem Fall nicht mal wirklich beabsichtigten/gewollten) morbiden Unterton. Dabei hätte das Album diesen Kontext zur vollen Entfaltung seiner Atmosphäre gar nicht nötig; auch nunmehr fast 30 Jahre nach seiner Erscheinung ist „Closer“ immer noch die radikalste, schonungsloseste und schlicht beste Vertonung psychischer Verwahrlosung, Isolation, Depression und Leere, die ich kenne (gut, eigentlich läuft ein anderes Album „Closer“ in der Hinsicht vielleicht sogar den Rang ab, dazu später mehr *kryptisch rumpalaver*).
People like you find it easy,
Naked to see,
Walking on air.
Hunting by the rivers,
Through the streets,
Every corner abandoned too soon,
Set down with due care.
Don’t walk away, in silence,
Don’t walk away.(Auszug aus „Atmosphere“, nicht auf dem Album enthalten)
http://www.myspace.com/joydivision
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]<3
Ich probier mich mal an einer (momentanen) Top 20:
20. Gerry Mulligan – Night Lights
Es ist Nacht. Im warmen Licht der Straßenlaternen huschen vereinzelt Schatten durch die tiefen Schluchten der Großstadt. Und irgendwo, aus einer verrauchten Jazz-Bar heraus, hört man sanft diese simple, dennoch bewegende Melodie, gespielt auf einem alten Piano. Betritt man die Bar, erkennt man zwischen Zigarrenrauch und enttäuschten Gestalten Art Farmer (Tropmete), Bob Brookmeyer (Posaune), Jim Hall (Gitarre), Bill Crow (Kontrabass),Dave Baily (drums) und natürlich Gerry Mulligan selbst (ungewöhnlicherweise nicht als Baritonsaxophonist sondern leise und zurückhaltend am Piano). Auf Night Lights bietet das Sextett Jazz, der für lange Nächte geschaffen ist: warm im Klang, dennoch melancholisch und mit einem allgegenwärtigen Noir-Feeling. Neben zwei Versionen des Titelstücks (eine mit Mulligan am Klavier, eine spätere Aufnahme mit Pete Jolly am Piano und Mulligan an der Klarinette) bietet Night Lights unter anderem eine wundervolle Adaption von Chopin’s „Prelude In E Minor“ (mein Lieblingskomponisten) und den Standart In The Wee Small Hours Of The Morning.
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"We can always remember the past, But we only get one shot at today So leave regrets to yesterday"[INDENT]- Champion [/INDENT]@blutspender: Bin mal gespannt. 🙂
9. The Angelic Process – Coma Waering
Mittlerweile zehn Jahre ist es her, dass Kris Angylus The Angelic Process, damals ein deckender Name nur für seine Kreativität, aus der Taufe hob. Zehn Jahre ist es her, das muss man sich mal überlegen, dass einer der ersten Grundsteine (ich sehe Lycia und Mike VanPortfleets und David Galas‘ Side-Projekt Bleak auch als sehr wichtig an) für einen Sound gelegt wurde (Dronegaze, Shoedoom, nennt ihn wie ihr wollt), der dank Bands wie Nadja, Menace Ruine, Have A Nice Life, Methadrone und Pyramids zwar szeneintern einigermaßen Aufmerksamkeit erregen konnte, aber immer noch unpopulär genug ist, um originell zu sein. „…And Your Blood Is Full of Honey“ erschien 2001 auf dem von Freunden des Projekts übernommenen kleinen Label Decaying Sun Records, in geringer Stückzahl, ohne groß Krater zu hinterlassen. Dabei war die Idee dahinter wegweisend: industrialisierter Drone Doom Metal wird kombiniert mit melancholischen Melodien, die genreinterne Antithese zu Sunn O)))-/Earth-Reduktion sucht ihre Wirkung in klareren Strukturen und Dynamik. Schon damals waren die weltoffene Herangehensweise und die dunkle Ästhetik der Swans, der zähflüssige Tribal-Sound von Neurosis und der zuckersüße, deliriöse Noise von My Bloody Valentine die Koordinaten, zwischen denen für den Musiker jedoch viel Raum und Interpretationsfreiheit blieb. „The Ruined Life of Someone Better“ ist ein frühes Meisterwerk, ein Rohdiamant, vielleicht das beste Stück von The Angelic Process (zumindest in meiner Top 3). Was der Verwirklichung von Angylus‘ Vision im Wege stand, war der Sound; die Musik von TAP ist ein großangelegtes Unterfangen, dem dieser nicht gerecht wurde.
Zwei Jahre später holte er sich für die Verwirklichung von „Coma Waering“ M. Dragonfly, seine spätere Ehefrau, ins Boot, und ab diesem Moment an blieb im Hause The Angelic Process kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Die einst experimentellen, fast ziellos mäandernden Kompositionen haben eine immense Straffung und Verdichtung erfahren; die Intensitätssteigerung im Vergleich zum Vorgänger ist beängstigend (nur damit ich nicht falsch verstanden werde: ich schätze diesen durchaus sehr!). Der Lärm ist perfekt in Szene gesetzt, die Melodien absolut passend und genau platziert. Die größte Veränderung gegenüber „…AYBIFOH“ wird bei der Produktion hörbar; auf dem Debüt wurde er nur angedeutet, hier ist der charakteristische Sound von The Angelic Process bereits in Perfektion zu hören. Instrumente, Stimmen, Natürlichkeit, Transparenz? Überbewertet, unnötig, hinderlich, Schwachsinn. Die Drums kommen diesmal nicht aus der Konserve, die Gitarren werden mit Cellobögen gespielt, die Band baute ihre eigenen Effektgeräte. Resultat war ein Klang, der in seiner Dichte den ganzen Raum mit Rauch und Schwefel füllte, rauschend, schwarz, von einer Größe, wie sie sich viele nicht einmal in ihrer Fantasie ausmalen konnten. Der Sound eines postnuklearen Höllenorchesters, wenn die Welt an der Schwelle zum Exodus steht. John Martins „The Great Day Of His Wrath“ vertont. Die Kraft und Wirkung der Riffs, ja, trotz der ungefähren Verortung im Drone Doom gibt es bei TAP nicht zu knapp auch sowas wie Riffs, wird von der oberflächlich grobschlächtigen Produktion nicht gemindert, sondern sogar noch verstärkt. Das ist die Klangästhetik, nach der sich zahlreiche böse Buben aus Black- und Death Metal eigentlich sehnen. Und dann diese Melodien; sie erstrecken sich aus dem Chaos, das gleißende Strahlen und die schiere Wucht einer Supernova, das ferne Licht längst verblichener Sterne. In „My Blood Still Whispers“ und „The Sun In Braids“ ein Rettungsanker. In „Crippled Healing“ omnipräsent und unerreichbar. Im Titeltrack sägend, quälend, monoton und betörend. In „Rid The Past By Dying“ und „Mouvement: Shielded By Death/Suspended in Light“ warm, transzendental, erlösend.
Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, sondern ist auch auf das Konzept von „Coma Waering“ zurückzuführen. Erzählt wird die Geschichte eines Ehepaares, der Mann erkrankt, die Frau kniet am Sterbebett. Sein letzter Kampf wird im Fiebertraum ausgetragen; ein chancenloses Unterfangen, er greift mach seinem Leben. Pochende Schmerzen erfüllen ihn, ein Gefühl, gleichzeitig in die Glut und in eiskaltes Wasser geworfen zu werden, allmählich verschwimmend hinter dem Nebel der Bewusstlosigkeit. Der Kampfeswille ist irgendwann verloren, es bleibt einzig der Wunsch, den einprasselnden Funken, seiner Risse bekommenden Hülle zu entgleiten. Die Stimmung erinnert mich entfernt an die visuelle Ästhetik von Adrian Lynes „Jacob’s Ladder“; die Bildgewalt, der Surrealismus, die Anspannung, die Symbolsprache, Dantes Inferno. So erstrahlt der schlussendliche Tod des Protagonisten in einem wärmenden, matten, irgendwie idyllischen Licht.
Doch das Drama von The Angelic Process nahm hier erst seinen Anfang, 2007/08 sollte es sowohl in musikalischer als auch in personeller Hinsicht ein so eindrucksvolles (jetzt nur auf die Musik bezogen) wie tragisches Ende finden…
http://www.myspace.com/crowleythoth
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]blutspenderIch probier mich mal an einer (momentanen) Top 20:
20. Gerry Mulligan – Night Lights
Es ist Nacht. Im warmen Licht der Straßenlaternen huschen vereinzelt Schatten durch die tiefen Schluchten der Großstadt. Und irgendwo, aus einer verrauchten Jazz-Bar heraus, hört man sanft diese simple, dennoch bewegende Melodie, gespielt auf einem alten Piano. Betritt man die Bar, erkennt man zwischen Zigarrenrauch und enttäuschten Gestalten Art Farmer (Tropmete), Bob Brookmeyer (Posaune), Jim Hall (Gitarre), Bill Crow (Kontrabass),Dave Baily (drums) und natürlich Gerry Mulligan selbst (ungewöhnlicherweise nicht als Baritonsaxophonist sondern leise und zurückhaltend am Piano). Auf Night Lights bietet das Sextett Jazz, der für lange Nächte geschaffen ist: warm im Klang, dennoch melancholisch und mit einem allgegenwärtigen Noir-Feeling. Neben zwei Versionen des Titelstücks (eine mit Mulligan am Klavier, eine spätere Aufnahme mit Pete Jolly am Piano und Mulligan an der Klarinette) bietet Night Lights unter anderem eine wundervolle Adaption von Chopin’s „Prelude In E Minor“ (mein Lieblingskomponisten) und den Standart In The Wee Small Hours Of The Morning.
Find ich gut dass du dich wieder dran machst! Bei dem von dir besprochenen Album bin ich btw noch in der Reinhörphase, mal schauen ob ich Zugang finde…
Ich werd da auch mal reinhören.
Hast mich neugierig gemacht.
Gerade nochmal gehört. Sehr schön! Ich mag ja generell total so langsamen, malerischen Jazz.
Na das freut mich aber. 🙂
19. J-Live – Always Has Been
Zuerst hab ich von J-Live auf DJ Premiers Mixtape „New York Reality Check 101“ gehört. Der Track „Braggin‘ Writes“ ist der Opener dieser Compilation und ist aufgrund seines unheimlich guten Beats und des genialen Flows J-Lives sofort bei hängen geblieben. Nach kurzer Recherche stieß ich dann auf diese EP, eine Zusammenstellung von Bootlegs und unreleasten Tracks und was J-Live hier bietet stellt locker alles in den Schatten womit manch ein „Chart“-Rapper heutzutage Millionen verdient. Abgesehen von unglaublich chilligen, geilen Beats (die Instrumentals zu „Schools In“ und „Braggin‘ Writes“ bleiben einem stundenlang im Kopf) und üblen Rhymes („I got the hairsplittin, self-written unbitten style that leaves the competition running scared and shakin in their pants“) bringt J-Live auf dieser EP den krassesten Flow den ich je gehört habe („You see that’s the difference, you get sold, I get paid, Black I told you, get paid. If you’re broke I’ll have to rain on your parade. You belong in Special Ed if you think you got it made. J-Live with the mic is like the chef with the blade, Cause suckers get sliced and sauteed. Yeah, you thought your joint was fly but the flight was delayed“). Auch der Remix zu Braggin‘ Writes (noch entspannterer Beat) weiß zu überzeugen. Unbedingt auf Youtube auschecken: Braggin Writes, Schools In!
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"We can always remember the past, But we only get one shot at today So leave regrets to yesterday"[INDENT]- Champion [/INDENT]8. Dead Can Dance – Within the Realm of a Dying Sun
We scaled the face of reason
To find at least one sign
That could reveal the true dimensions
Of life lest we forgetAnd maybe its easier to withdraw from life
With all of its misery and wretched lies
Away from harmEindringlich, fast schon drohend nähern sich zwei Glockenspieltöne, in ihrem Sound so kühl und absolut klar wie frisches Morgentau. Aus dem Hintergrund bahnt sich etwas Gewaltiges an, Timpani, Trombonen und Streicher bilden eine riesige Klangkuppel ohne Fundament. Allmählich baut sich das Stück zu solch einer Größe auf, dass die Wucht des eigentlich unvermeidlich scheinenden Crescendos kaum vorstellbar ist, doch unvermittelt folgt dem eine Wendung. Das Glockenspiel bildet die rhythmische Konstante dieser körperlos schwebenden, geisterhaften, kaum greifbaren Musik. Der edle Bariton von Brendan Perry lädt zum philosophisch-spirituellen Gespräch. In our vain pursuit of life for ones own end, will this crooked path ever cease to end?
Bäche fließen, ihr leises Rauschen vermischt sich mit Naturgeräuschen und dem klammen Wind. Das kleine Orchester im Rücken von Dead Can Dance zeichnet eine Kulisse, deren Gesamtheit in ihrer völligen, schillernden Harmonie beeindruckt, bei der aber genügend Raum für die Wirkung jedes einzelnen Pinselstrichs gelassen wurde. Bald gesellt sich die erzählende Stimme Perrys wieder zu den Instrumenten, die klangvolle Lyrik lässt viel vermuten, ohne konkrete Antworten zu liefern.
Frauenchoräle setzen ein, dazwischen effektive, erwartungsvolle Stille. Ein spinettartiges Instrument bildet den Rhythmus, erneut erhebt sich der Gesang Perrys über die Szenerie. Ein dicht verwobener orchestraler Klangteppich bildet sich im Hintergrund von Engelstrompeten, dem immer noch präsenten Spinettklimpern und dem Gesang. Perry intoniert Melodien von einer weltumgreifenden Größe, von einer klassischen Epik und Tiefe, dass man anfangs auch nur eben diesen folgen kann. Ein sakraler Kathedralensound, der zwar jeglicher Haftung am Irdischen längst entsagt hat, dabei aber absolut einladend und vertraut wirkt. Nicht zu Unrecht ist „Xavier“ eines der bekanntesten Stücke von Dead Can Dance, so eindrucksvoll und einnehmend wird die erste Hälfte von „Within the Realm of a Dying Sun“ beendet.
Mit bombastischen Bläserfanfaren und dramatischen Armageddon-Pauken wird man im spannungsreichen Interludium „Dawn oft he Iconoclast“ auf Lisa Gerrard vorbereitet. Plötzlich ist es fast gänzlich still, Zeit für ihren großen Auftritt; große, erhabene Wellen schallen über die Umgebung, vielleicht von Schamanengesang und Fernost inspiriert, onomatopoetische, voluminöse, klare Gesangslinien. Das folgende „Cantara“ braucht zunächst eine Zeit der meditativen Idylle, einen gewissen „Anlauf“, um sich aufbauen zu können. Plötzlich entwächst aus der Ruhe ein treibender Rhythmus, umspielt von den ebenso hypnotisch-rhythmischen Klängen eines exotischen Tasteninstruments. Ein hoher, abermals onomatopoetischer Gesang, so ungewohnt und fremd, dass er kaum noch menschlich wirkt, bahnt sich seinen Weg ins Geschehen. Lisa Gerrard ist eine der wenigen Sängerinnen, bei denen es mir auch nach Jahren noch schwer fällt, ihren Gesang mit einem Charakteristikum zu umschreiben. Zu weit ist ihr stimmlicher Umfang, zu groß ihre Bandbreite, zu divers ihr Vortrag – wenn ich eine Sängerin mit Lisa Gerrard vergleiche, so ist dies einzig auf das Facettenreichtum und die Wandlungsfähigkeit beider zurückzuführen. Streicher und Holzbläser wirbeln und schlängeln sich um das rhythmische Fundament, die perkussive Energie des Stücks steigert sich lawinenartig in seinem weiteren Verlauf. Über allem thronend sind hier wieder die spontan aus einer Emotion heraus geborene Phantasiesprache von Lisa Gerrard und ihr diesmal ungewöhnlich aggressiv anmutender Vortrag. „Summoning of the Muse“ setzt sofort und ohne Anlaufzeit ein mit einer gebirgsmassivgroßen, dichten sakralen Soundwand aus dramatischen Glocken, Streichern, Bläsern und Gerrards scheinbar von allen Seiten schallendem Engelsgesang. Man wähnt sich am Gipfel des Mount Everest, mit einer immer dünner werdenden Luft und einem atemberaubenden Ausblick. „Persephone (The Gathering of Flowers)“ mutet im Vergleich wesentlich stiller und unbewegter an und scheint sich eher aus der Tiefe zu erheben (auch durch Lisas hier sehr dunklen Gesang), steigert sich aber zu einem großen, nokturnalen Requiem.
Schon 1984, zu Zeiten ihres selbstbetitelten Debüts, waren Dead Can Dance besonders. Bereits damals zeichnete man sich durch Lisa Gerrards eigenständigen Gesangsstil und eine gewisse Spiritualität und Naturverbundenheit in der Atmosphäre aus. Das musikalische Fundament indes war für die Zeit gar nicht ungewöhnlich, der im Übrigen mit Vierspurgerät aufgenommene, gitarrenlastige Dark Wave des Debüts passte vorzüglich ins 4AD-Raster und war Brendan Perry und Lisa Gerrard, dem Kern von Dead Can Dance, bald nicht genug; das 1986er Zweitwerk „Spleen and Ideal“ lehnte sich mit klassisch anmutender Orchestrierung, fast völliger Abkehr von Rock-Strukturen und gelegentlich schon auftretenden Weltmusik-Einflüssen gefährlich weit aus dem Genre-Fenster. Das 1987 erschienene „Within The Realm of a Dying Sun“ war dann die (vorläufige) Formvollendung ihrer Vision. Kaum noch etwas, eigentlich nichts ließ auf zeitgenössische popmusikalische Strömungen schließen, grob (sehr grob!) umrissen handelt es sich bei WTROADS um eine Vermengung von Neoklassik, Mittelalter- und Ethno/Weltmusik. Das Zusammenwirken und das technische Geschick der Musiker sind hier so absolut konzentriert und makellos, wie ich es bisher auf eigentlich keinem weiteren Album vernommen habe.
Doch das soll keineswegs meinen, „Within The Realm of a Dying Sun“ wäre technisch orientierter, gar verkopfter Kunsthochschulen-Avantgardismus um seiner Selbst Willen. Die Musik von Dead Can Dance ist durchaus von beachtlicher Komplexität, gewährt durch die ständige Präsenz wunderbarster Harmonien und Melodiebögen aber sofort Zugang. Und so wichtig die Präzision in der Ausführung hier auch ist, die Musik lebt von ihrer über alles erhabenen Atmosphäre, von ihrer Seele; und diese ist nicht mal so ausdrücklich schwarz, wie oftmals dargestellt wird. Gewiss ist WTROADS kein unreflektiert lebensbejahendes Werk, keine gleißend helle Liebeserklärung an die Sonne, doch auch kein Suhlen in eigener Niedergeschlagenheit, nicht ausdrücklich negativ und in seiner Düsternis zumindest nicht ganz lichtundurchlässig. Die Herangehensweise von Dead Can Dance ist spätestens ab diesem Album zu weltoffen, weitsichtig und intelligent, um von der Bezeichnung „Gothic“ noch angemessen erfasst zu werden. Und obgleich DCD zumindest seinerzeit nicht oder nunmehr nur noch selten als „Gothic“ klassifiziert wurden, so übt neben „Spleen and Ideal“ vor allem auch das hier besprochene Album bis heute mit den größten Einfluss auf die Szene aus. Dieser trat mal mehr (so wie bei den quasi-Soundalikes Arcana und überhaupt weiten Teilen des neoklassischen Zweigs der Ethereal Wave-Szene), mal weniger deutlich (weite Teile der frühen Gothic Metal-Szene in den frühen bis mittleren 90ern, vor allem The Gathering und The 3rd and the Mortal) zu Tage, und auch weit außerhalb des Genreumfelds hat „Within The Realm of a Dying Sun“ im Speziellen und Dead Can Dance im Allgemeinen große Krater hinterlassen.
Einen großen Anteil an der Klasse von WTROADS trägt nicht zuletzt auch die Produktion. Auch nunmehr 22 Jahre nach Veröffentlichung ist diese in Sachen Transparenz und gleichzeitiger Breitwandästhetik, Dichte, Wucht und perfekt ausbalancierter Differenziertheit ungeschlagen.
Die Gesamtheit aus fantastischem Sound/fantastischer Produktion, grandiosen Orchesterarrangements und ebensolcher stimmlicher Leistung und das brillante, jederzeit enorm gefühlvolle Songwriting machen „Within The Realm of a Dying Sun“ für mich zu dem mit erhabensten, anmutigsten, der Perfektion nächsten Album, das ich kenne.Morgen wieder zwei Reh-Wüüs.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]Ja, die zwei Joy Division-Scheiben sind natürlich ganz großes Kino. Gerade der Opener “Disorder“ hat es mir sehr angetan. Dieser tolle Basslauf und der dezente Gitarreneinsatz mit dieser Melodie, die einem nicht aus dem Kopf gehen will, faszinieren mich jedes Mal!
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Sorrow is knowledge: they who know the most Must mourn the deepest o’er the fatal truth, The Tree of Knowledge is not that of Life. -
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