Home › Foren › Maximum Metal › Plattenladen › Nezys und Paulas musikalische Umkleidekabine mit Guckschlitz (mit Prüchtepunch [sic!], Éclairs und Stargästen)
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Ja, stimmt, die sind vergleichsweise gut und schnell zu bekommen. Trotzdem eine grosse Menge 🙂 Aber ist schon toll, so einen umgangreichen Backkatalog zu erforschen 🙂
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(Im (vor)vorletzten Absatz geht es um die Musik.)
Gestern habe ich mir bei einem großen Elektronikfachhändler „Born To Die“, das quasi-Debütalbum einer gewissen Elizabeth Grant alias Lana Del Rey, auf CD gekauft. Während ich diesen Satz schrieb, kam mir das, was ich getan habe, wahnsinnig unzeitgemäß vor. Wieso lag es nicht schon Monate vor Veröffentlichung in irgendeinem Ordner auf dem zugemüllten Desktop herum? Wieso habe ich mir nicht gleich die LP gekauft, irgendwo in der Stadt hätte es sie bestimmt auch gegeben, bestellt notfalls? Es ist doch wirklich egal, ob ich überhaupt einen Plattenspieler besitze. Ist das, was ich getan habe, schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden? Die meisten Songs kannte ich, bevor ich für mein Exemplar an der Kasse bezahlt hatte, das Album lief beim großen Elektronikfachhändler – vermutlich – auf Dauerrotation. Kein guter Moment, um hinzuhören, diese luxuriös produzierte Popmusik ist nicht eben geeignet als rauschendes und von Gesprächsfetzen übertöntes Hintergrundgeräusch in Einkaufszentren. Als ich mich mit der CD in der Hand durch Menschen nach draußen schlängelte, die alle größer und massiger waren als ich, trat mir irgendeine hochtoupierte Schlampe mit ihren Pfennigabsätzen auf den Fuß.
Mein Erstkontakt mit Lana Del Rey fand irgendwo zwischen Hype und Erfolg statt, was mitnichten das Selbe ist. „Video Games“ brauchte seine schönen und inhaltsleeren Bilder nicht, um mich zu verzaubern. Alles, was ich über Del Rey bis dahin gelesen hatte, hatte ich beim Hören bereits vergessen. Der Song brauchte aber auch kein Image, er stand ganz und gar für sich und ist, wie ich jetzt erkenne, größer als seine Komponistin. Im positivsten Sinne könnte ihn jede gesungen haben. Wirklich jede? Natürlich ist die Stimme wichtig, die tiefe weibliche Elvisstimme, deren verführerische Mühelosigkeit und Verschlafenheit die Streicher, Klaviertupfer und Glockenschläge in „Video Games“ davor bewahrt, die Spannung zugunsten eines American Idol-Moments aufzugeben. Das kann nicht eben jede, vor allem hat in etwa keine der sogenannten heutigen „Souldiven“ die Dezenz und das Selbstbewusstsein, sich so zurückzunehmen. Der beste Torchsong seit vielen Jahren.
Erst habe ich mich gefreut und lauter gedreht, wenn „Video Games“ oder „Born To Die“ im Radio oder Musikfernsehen kamen. (Ist es nicht wahnsinnig unzeitgemäß, das zu konsumieren? Ist es schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden?) Dann nahm ich mir vor, wegzuschalten, damit die Songs nicht von der Bezugslosigkeit der öffentlichen Wahrnehmung gefressen werden. Während ich dies schreibe, wird mir klar, dass es mir egal sein sollte. Es gibt noch genug, über das ich schreiben könnte.
Das ist doch das, was ich wollte, oder? Dass Lana Del Rey den toten Raten in meinem Kopf einen Stromschlag verpasst. Was ich las, sah, hörte, versprach viel: Glamour, Tragik, Subtext. Lana Del Rey entlarvt die Selbstinszenierung von Lady Gaga (spätestens) seit „Born This Way“ als konzeptlose Reizüberflutung. Hier ist ein bisschen von der Femme Fatale der kriegsgebeutelten amerikanischen 1940er dabei, mit der ich durch ARTEs Film Noir-Offensive der letzten Wochen Bekanntschaft machen durfte. Wieso richte ich meine montägliche Abendplanung überhaupt noch auf synchronisierte Filme im Fernsehprogramm aus? Ist das schon unzeitgemäß genug, um ironisiert zu werden? Auf den sonnenlichtdurchfluteten Bildern wirkt sie wie eine Mischung aus Pin Up-Girl und Hausfrau aus den goldenen und einfachen Jahren vor Studentenprotesten und Vietnam und New Hollywood. Alles ist idyllisch und vergangen und unzweifelhaft schön, sobald es durch den rauschenden Filter in ihren DIY-Videos gelaufen ist, egal, wie alt die Ausschnitte sind. Dann gibt es von ihr aber auch die Bilder ohne Weichzeichner und die Webcam-Aufnahmen und Hip Hop-Einflüsse und kaputte alte Autos und Goldkettchen und böse tätowierte Typen. Es gibt die Geschichten von einer Jugend in heruntergekommenen Trailerparks, die natürlich nur Geschichten sind, und die misslungenen Lippen, von denen Del Rey behauptet, sie seien echt. Der Amerikanische Traum ist hier nicht nur Regressionsfantasie und durchschaubarster Eskapismus, die Schattenseiten und die vermeintliche Realität, nämlich, dass er vorbei ist und es keinen Weg dorthin zurück gibt, außer durch Archivaufnahmen, werden genauso sorgsam inszeniert. Und natürlich darf sich die Postmoderne selbst auf die Schulter klopfen für das schöne Geschöpf, das sie hier hervorgebracht hat. Lana Del Rey ist Cut-Up, Zitat, Pose, zumindest sähen sie gewisse Rezipientenschichten gerne so, sie ist ein popkultureller Wiedergänger, von dessen Erscheinung sich die Akteure dieser Popkultur durchaus geschmeichelt fühlen dürfen.
andysocialfinde sie sieht nach wachs aus. was ja nicht schlecht sein muss.
Natürlich ist Lana Del Rey sexy, sie ist dies auf eine größtmöglich vulgäre und beleidigende Art und Weise. Wenn ich mir die Promobilder ansehe, frage ich mich, ob man Botox in den Lippen eigentlich fühlen kann. Ich frage mich, ob man aus der Nähe die Stellen sehen würde, an denen die künstlichen Fächerwimpern auf die Lider aufgeklebt wurden. Ich frage mich, ob sich das Puder in feinen Fältchen und Poren in ihrem Gesicht sammelt. Hat Lana Del Rey überhaupt Poren? Hat sie feine blonde Härchen auf den Armen, die sich bei Berührungen aufstellen? Ich würde gerne ihre großzügig gelockten Haare zur Seite legen und ihr in den Nacken oder in die Wange beißen, aber ich denke dabei immer, meine Zähne würden sich in Wachs bohren, das schnell schmelzen würde unter Scheinwerferlicht.
Es schmolz spätestens unter dem Scheinwerferlicht bei Saturday Night Live, als Del Rey unsicher auf der Bühne stakste und mit falschen Tönen und unglücklichen Phrasierungen bewies, dass es doch etwas gibt, was „Video Games“ für den Moment entmystifizieren kann. Nichts war von der Verführungskunst zu spüren, die man vom Namen Lana Del Rey erwartet, die Bewegungen waren von einer quälenden Unsicherheit. Del Rey muss gewusst haben, wie sehr alles in diesen wenigen Minuten schief ging, in jedem folternden Moment, aber ganz besonders am Ende, wenn sie mit einem fahlen, scheuen Lächeln nach unten blickt. Der Shitstorm fing in Ansätzen schon davor an, erste Zweifel erst recht.
Im ersten Moment fragte ich mich ja, wogegen sich nun Blogger bis Feuilletonisten so entschieden wehren. Haben die das nicht alles schon vorher gewusst? Dass die Lippen aufgespritzt, sieht man doch, und dass Frau Del Rey zunächst widerspricht, ist doch auch vollkommen richtig so, alles andere würde gegen die Höflichkeitskonvention des Showbiz verstoßen. Dass das kein Indie oder „Sadcore“ (wer kam da überhaupt drauf und wieso haben das dann fast alle abgeschrieben?) ist, hört und weiß man doch auch, was bitte soll man denn auch erwarten, wenn sich die Produzenten von Robbie Williams und Cheryl Cole der Dame annehmen. Die zerwühlten Hotelzimmer sind harmlose Dekoration, wer die ausgedachte Biographie so bereitwillig aufgenommen und verbreitet hat, ist auch noch nicht klar. Lana Del Rey ist nicht authentisch! You don’t say!
Haben wir das nicht wissend in Kauf genommen? Pop ist schön und sorglos, vor allem ist Pop aber auch eine Lüge, das weiß man, nur deswegen ist Pop so wichtig und faszinierend. Haben wir uns nicht deswegen in Lana Del Rey verliebt? Dafür, dass sie eine Lüge ist und uns auch noch die Lüge selbst verkauft, die Lüge, die im Kunstwerk mit einbegriffen ist. Authentizität ist was für Metaller, Kunst ist größer als die Wirklichkeit. Hier kann man sich wissend ab- oder zuwenden, hier kann man mitspielen, hier kann man Essays drüber schreiben. Lana Del Rey ist ein Parkett für Selbstinszenierung. Und was tut der gemeine Hipster lieber als das? Diese White Trash-Hollywood-Barbie lässt sich wunderbar zu Tode analysieren, hier ist ein Popstarproduktdings für Leute, die alles benennen können und nichts verstanden haben. Ein pink umrahmter Spiegel für die tägliche Dosis Selbsterkenntnis und -verachtung, nicht zuletzt ein Spielzeug für alle, die gerne etwas Schönes zerstören.
Nun sind diese bloggenden, feministisch oder kulturpolitisch oder sonstwie aufgezogene Essays verfassenden Hipster im Kern vermutlich aber doch versprengte und unsichere Wesen, die sich am meisten nach dem sehnen, über das sie sich lustig machen. Wahrscheinlich wären sie jetzt gerne wieder in einer großen Welt für alle, ohne Internet, dafür mit Popstars, einfachen Herrschafts- und Hierarchiebedingungen im Showbiz, wo das Publikum sich nicht immer in Grüppchen von den anderen Grüppchen isolieren kann und manchmal aus dem gemeinsamen Futtertrog fressen muss. Notwendigerweise ist der selbstreflexive Hipster sein eigenes Feindbild, denn er treibt mit seiner eigenen Nostalgie und ironisierenden Zweckentfremdung das eigene kulturelle Zeitalter weiter voran und entfernt sich dadurch natürlich immer mehr vom Sehnsuchtsobjekt. Und natürlich hasst der Hipster dadurch alles, was er liebt und was auf ihn zugeschnitten ist. Lana Del Rey ist auf ihn zugeschnitten. Und sie hat noch nicht einmal den Anstand, wenigstens nur dem Hipster zu gehören, denn die wasserstoffgebleichte Mandy aus der Plattenbausiedlung bewirbt sich bestimmt auch schon mit „Video Games“ bei DSDS. Vor allem aber funktioniert sie nicht mal richtig. Die Live-Situation ist den Fernsehauftritten zufolge (zumindest die kenne ich alle nur von Youtube) zu viel für sie, nicht nur bei Saturday Night Live konnte sie die eigenen Songs nicht meistern. Mit diesem Scheitern bricht Lana Del Rey das größte Versprechen gegenüber dem Publikum, das sie brechen konnte. Sie ist kein Gesamtkunstwerk, sondern ein Mensch, ein Mensch, der manchmal überfordert ist und Fehler macht und wahr und wirklich ist und wahrscheinlich Poren und feine blonde Härchen auf den Armen hat. Das und nicht der schlechte Gesang war das eigentlich Unverzeihliche an ihrem Auftritt.
http://www.youtube.com/watch?v=D2AUmNToMVk
Mehrere Dinge sind an der gegenwärtigen Situation bizarr. Erstens fanden (vermeintlicher) Aufstieg und (vermeintlicher) Fall der Lana Del Rey innerhalb weniger Monate und sogar noch vor der Veröffentlichung des Debütalbums statt. Zweitens kommt mir das alles während des Schreibens schon unheimlich vergangen und unwirklich vor. Diese mediale Tragödie, die lange vor Lana Del Rey zur amerikanischen Folklore geworden ist, ist irgendwann auch tot und leer und nicht so wichtig. Sie wird zu einem weiteren Mosaiksteinchen in einem Bild, das weit über die Kontrolle von Del Rey und ihren Produzenten und Imageberatern hinausgeht. Drittens bin ich bisher kaum wirklich auf die Musik eingegangen. Das liegt daran, dass auch sie lediglich ein weiteres Mosaiksteinchen ist.
Selten hatte ich so sehr das Gefühl, ein unpersönliches Massenanfertigungsprodukt in den Händen zu halten, wie gestern, als ich mit der CD in der Hand den Elektronikfachhändler verlassen hatte und mich im riesigen Einkaufskomplex auf eine Bank setzte. Die Musik an sich erzählt nur einen geringen Teil davon, was mich dazu bringt, mich für Lana Del Rey zu interessieren, das ist wahrscheinlich das größte Problem von „Born To Die“. Das gesamte Mysterium kann man leider nicht kaufen, nicht einmal ein sonderlich bedeutungsvoll anmutendes Souvenir. Wenn man das ausblendet, ist sie eigentlich sehr in Ordnung, auch wenn sie sich nach „Video Games“ als Venusfliegenfalle herausstellt. Ein stilistisch ähnlicher Song findet sich auf BTD nicht, statt Glockenschlägen bestimmen Beats den Puls der Songs, die zwischen laszivem Trip Hop und breitbeinigen Hip Hop-Einflüssen pendeln. Das Kammermusikalische tritt denn auch hinter die imagehörige Produzentenmusik zurück, die aber gar nicht so retro klingt, wie die Interpretin aussieht. Lediglich gefühlt die Hälfte der Spielzeit singt Lana Del Rey mit der voluminösen, tiefen Stimme, die sie berühmt gemacht hat, oft schlägt sie um in vergifteten, hauchenden Mädchengesang, der von einer vollkommen anderen Person zu kommen scheint. Stört nicht weiter, solange Hits entstehen, und von den ersten fünf Songs tut sich „Off To The Races“ in der Hinsicht am meisten hervor. Hier übertreibt man am meisten und lustvollsten, es ist prollige Feindbildmusik, hat einen unwiderstehlichen Drive und man kann wunderbar dazu tanzen.
Merklich schlechter als die ersten fünf werden die folgenden Songs auch nicht, es ist nur immer dieselbe ermüdende Leier, die Lana Del Rey auf ihnen durchzieht, und das ist das zweite große Problem auf „Born To Die“. In keinem der Songs geht es um mehr als böse Kerle, Amour Fou und die Femme Fatale, die die Songs vorträgt. Lana Del Rey beschreibt Szenen, deren kulturellen Ursprung man zurückverfolgen kann, die in dieser Aufführung aber leere Hüllen der Gefühle von gestern sind. Ihr regressives, aber wohl keiner Meinung, sondern nur der Ästhetik dienendes Frauenbild präsentiert sie dabei mit einer erstaunlichen Konsequenz. Ich dachte, nur Männer – oder: nur andere – könnten über jemanden in einer so objektivierenden Weise erzählen und diesen Menschen so passiv machen. Obwohl Lana Del Rey aus der Ich-Perspektive singt, kann sie das sogar fast besser. Auf ihren Songs hat sie selten mal so etwas wie eine Persönlichkeit. Das ist beinahe bewundernswert.
Keine Ahnung, wie es mit Lana Del Rey weitergeht. Vielleicht ist auf dem nächsten Album, falls es kommt, alles anders. Bis dahin: 7,5/10
http://www.youtube.com/watch?v=odhmYrjObXY
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]Dieses „Off To The Races“ finde ich nicht mal schlecht, für einen Popsong. Zwischen den Wiederholungen des Refrains passieren da z.T. ganz interessante Sachen, gut arrangiert ist er auch. Der Gesang zwischen niedlich und lasziv ist da noch das Unspannendste…
Aber du willst ja ohnehin lieber ein Popkultur-Phänomen diskutieren. Plastik für Hipster, unverhüllte (und trotzdem scheinbar übersehene) Künstlichkeit als Ironie-Brandbeschleuniger.
Was mich zu der Frage führt: Was genau sind eigentlich Hipster? Eine Subkultur mit bewusst geschmackloser Kleiderordnung, einem ausgeprägten Hang zum Eklektizismus, einem Ironie-Fetisch, der aufrichtige Hingabe als etwas intrinsisch lächerliches betrachtet…die Könige der Oberflächlichkeit und der unreflektierten Zitate? Der Ausdruck wird fast überall nur als Schimpfwort gebraucht, doch ausgerechnet die beliebtesten Einträge des i.d.R. extrem bissigen Urban Dictionary sind ausgesprochen positiv. Vielleicht aus Protest.
Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob und wie man Hipster wirklich definieren kann. Und um den Bogen zu deinem Text zu spannen, weshalb ein Produkt wie Lana Del Rey bei ihne soviel Anklang finden sollte, zumindest solange der Putz nicht bröckelt.Und noch eine Verständnisfrage: Dieser Satz…
Lana Del Rey entlarvt die Selbstinszenierung von Lady Gaga (spätestens) seit „Born This Way“ als konzeptlose Reizüberflutung.
…zählt zu den enttäuschten Hoffnungen? Zumindest kann sie ja schwerlich Lady Gaga der Konzeptlosigkeit überführen, wenn sie selbst ein substanzloses „Massenanfertigungsprodukt“ ist…oder? Beides auf einmal zu schaffen, wäre ja schon fast wieder (eine) Kunst…
Achja, war dieser Halbsatz…
nicht zuletzt ein Spielzeug für alle, die gerne etwas Schönes zerstören
…eine bewusste Fightclub-Anspielung? Ich versuche gerade, deinen Essay auf die konsumkritische Grundhaltung des Films anzuwenden, aber bislang ohne Ergebnis.
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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]Dancing Mad GodAber du willst ja ohnehin lieber ein Popkultur-Phänomen diskutieren. Plastik für Hipster, unverhüllte (und trotzdem scheinbar übersehene) Künstlichkeit als Ironie-Brandbeschleuniger.
Was mich zu der Frage führt: Was genau sind eigentlich Hipster? Eine Subkultur mit bewusst geschmackloser Kleiderordnung, einem ausgeprägten Hang zum Eklektizismus, einem Ironie-Fetisch, der aufrichtige Hingabe als etwas intrinsisch lächerliches betrachtet…die Könige der Oberflächlichkeit und der unreflektierten Zitate? Der Ausdruck wird fast überall nur als Schimpfwort gebraucht, doch ausgerechnet die beliebtesten Einträge des i.d.R. extrem bissigen Urban Dictionary sind ausgesprochen positiv. Vielleicht aus Protest.
Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob und wie man Hipster wirklich definieren kann. Und um den Bogen zu deinem Text zu spannen, weshalb ein Produkt wie Lana Del Rey bei ihne soviel Anklang finden sollte, zumindest solange der Putz nicht bröckelt.Was die negative Einstellung seitens „Außenstehender“ gegenüber Hipstern betrifft, trifft dieser Artikel, denke ich, ganz gut den Punkt:
http://www.adbusters.org/magazine/79/hipster.html
Ansonsten ist es naturgemäß schwer, eine soziokulturelle Gruppe zu definieren, von der man noch nicht im Präteritum sprechen kann (auch wenn in „What Was The Hipster“ was anderes getan wird). Bei mir ist das dann auch weniger empirische Recherchearbeit als Gefühlssache.
Ansonsten: Hipster wirken auf mich ein bisschen zynisch, weil sie nicht mehr an Bedeutung zu glauben scheinen und auch nicht so tun. Lana Del Rey (mir fällt auf, dass oft nicht ganz klar ist, wann ich von der Person spreche und wann vom Produkt…vielleicht schreibe ich den Text nochmal entsprechend um) wirkt auf mich ein bisschen zynisch, weil es offenbar vollkommen im Plan einbegriffen ist, wenn der Putz an einigen Stellen bröckelt. Lana Del Rey muss man nicht groß entlarven (auch wenn viele das tun und offenbar Spaß daran haben), das Falsche gehört dazu. An Bedeutung glauben muss man hierbei auch nicht mehr.Dancing Mad GodUnd noch eine Verständnisfrage: Dieser Satz…
…zählt zu den enttäuschten Hoffnungen? Zumindest kann sie ja schwerlich Lady Gaga der Konzeptlosigkeit überführen, wenn sie selbst ein substanzloses „Massenanfertigungsprodukt“ ist…oder? Beides auf einmal zu schaffen, wäre ja schon fast wieder (eine) Kunst…
Ob und inwiefern sie ein „Massenanfertigungsprodukt“ (womit ich mich übrigens ausdrücklich auf die CD bezogen habe und nicht auf die Künstlerin) ist, ist bei Lana Del Rey wie auch bei Lady Gaga gar nicht so wichtig. Ich meinte damit eher, dass angesichts des lange genug sehr harmonisch durchkonzipierten Auftretens von Ersterer die Elemente der Selbstinszenierung bei Zweiterer (mittlerweile) recht wahllos aneinandergereiht wirken.
Dancing Mad GodAchja, war dieser Halbsatz…
…eine bewusste Fightclub-Anspielung? Ich versuche gerade, deinen Essay auf die konsumkritische Grundhaltung des Films anzuwenden, aber bislang ohne Ergebnis.
Ich hatte beim Schreiben kurz das demolierte Gesicht von Jared Leto im Kopf, habe den Satz dann aber trotzdem im Text gelassen.
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]Ich meinte damit eher, dass angesichts des lange genug sehr harmonisch durchkonzipierten Auftretens von Ersterer die Elemente der Selbstinszenierung bei Zweiterer (mittlerweile) recht wahllos aneinandergereiht wirken.
Achso, dann hatte ich da zuviel reininterpretiert.
Ansonsten: Hipster wirken auf mich ein bisschen zynisch, weil sie nicht mehr an Bedeutung zu glauben scheinen und auch nicht so tun.
Ungefähr das meinte ich mit meinem Ironie-Fetisch. Hipster (wenn ich sie nicht missverstehe) dürften schon noch glauben, dass Dinge anderen etwas bedeuten können, aber sie messen der Bedeutung selbst keine Relevanz mehr bei und stellen sich damit über die, die noch etwas ernst nehmen. Arrogant…und zynisch wohl auch, stimmt.
Lana Del Rey (mir fällt auf, dass oft nicht ganz klar ist, wann ich von der Person spreche und wann vom Produkt…vielleicht schreibe ich den Text nochmal entsprechend um) wirkt auf mich ein bisschen zynisch, weil es offenbar vollkommen im Plan einbegriffen ist, wenn der Putz an einigen Stellen bröckelt.
In diesem Zusammenhang fällt mir der Begriff der geplanten Obsoleszenz ein, über den ich neulich gestolpert bin. Ein Musikerimage mit eingeplanter Sollbruchstelle ist allerdings eine zynische Idee…andererseits aus der Hipster-Perspektive, in der Identifikation und emotionale Verbundenheit bedeutungslos sind, auch wieder nur halb so schlimm.
Den Text, den du verlinkt hast, lese ich mir mal durch.
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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]Ich habe mich ja mittlerweile entschlossen Lana Del Rey einfach zu ignorieren. Ich finde dieses künstliche extravagante und dabei doch so biedere Image einfach so abstossend und nervig, dass ich überhaupt keine Lust verspüre mich mit der Musik weiter auseinanderzusetzen, obwohl mir Video Games relativ gut gefallen, aber dieser ganze Rummel und die Inszenierung der armen Person nervt mich einfach und widert mich auch ein wenig an.
Man möge mir nun vorhalten, dass z.b. an Lady Gaga, die ich mag, auch wenig bis nichts echt und auch alles inszeniert ist, aber bei Miss Germanotta habe ich trotzdem ein wenig Gefühl von Authentizität in ihrer Obskurität, etwas dass Lana Del Rey überhaupt nicht vermitteln kann. Die aufgespritzten Lippen, das besonnen-laszive Gehabe, die Songtexte ist einfach so sehr auf Maschine getrimmt, dass der Konservatismus dieses Versuchs das komplette erzeugte Bild konterkariert. Irgendwo schade, manche Kompositionen sind ja durchaus gelungen.--
Bad Ass Me ~ Totgehört ~ Verkaufe CDs Prüchtepunch mit Schuss "also ich würd mich echter als dumm den als einen Troll ansehe" - Ivan DirusSo…ein bisschen blöd, dass ich hier über eine Band schreibe, deren Diskografie ich noch nicht einmal vollständig kenne, aber das musste noch raus, bevor ich mich der Lernerei hingeben kann. Der Text ist hoffentlich trotzdem informativ und interessant für die 1,5 Leute, die mal reinlesen.
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[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]Engländer ohne Grenzen: Sleeping Dogs Wake
Sleeping Dogs Wake ist eine englische Band, die im Laufe ihrer Geschichte u.a. die Genres Industrial, Rock, Darkwave und Indie/Dream Pop bedient hat. Dabei haben sie stets Wert auf Weiterentwicklung und Experimente gelegt, auch wenn diese den Hörer in den späteren Phasen nicht mehr so tollwütig angefallen haben wie auf den ersten beiden Alben.
Aber von Anfang an. Sleeping Dogs Wake wird 1986 von Karin Sherret und Robert Wilcocks gegründet, die das Projekt eine ganze Weile lang als Duo betreiben (erst für das dritte Album werden zusätzliche Mitglieder rekrutiert). Die erste Veröffentlichung stellt die LP Toys For Alice dar, die mit ihren beiden ziemlich innovativen Songs (dem Titeltrack und dem etwas weniger unheimlichen „Confined To Memory“) einiges Aufsehen erregt. Das wenig später erscheinende Debütalbum Understanding entwickelt den ungewöhnlichen Stil kompromisslos weiter: Ein solches Gebräu aus gitarrenlastigem Industrial und atmosphärischen Electronica mit einer Frauenstimme, die mal klassisch, mal Gothic und stellenweise einfach nur durchgeknallt klingt, hatte man 1989 noch nicht zu hören bekommen. Dass Sherret neben ihrer markanten Stimme auch das Drumming beisteuert, verleiht dem Sound der Band – bei aller von lärmenden Gitarren und massivem Sampler-Einsatz erzeugten industriellen Kälte – eine lebendige Dynamik.
Richtig überzeugen konnten SDW mich dagegen mit einem späteren Album, dem 1993 erschienenen Sugar Kisses. Das vorangegangene Up kenne ich leider noch nicht, anscheinend wurde aber der auf Sugar Kisses zu hörende Stilbruch dort eingeleitet. Auf ihrem vierten Album haben die mittlerweile um Jens langkniv zum Trio angewachsenen Engländer sich weit vom Industrial und generell stressigen und verstörenden Klängen entfernt und spielen einen Mix aus Indie-Rock und Dream-Pop. Das großartige Songwriting zeigt sich in Songs wie dem hymnischen „Waiting For Night“, die von kunstvoll miteinander verwobenen Gitarrenflächen leben, aus denen immer wieder melodische Stränge hervortreten. Der hier in aller Regel sanfte und melancholische Gesang Sherrets ergänzt sich damit hervorragend. Sugar Kisses ist ein sehr stimmungsvolles und rundes Album, das mich zwar emotional nicht so mitnehmen kann wie Understanding, seine volle Wirkung aber auch in ganz anderen Momenten entfaltet und die Diskografie von SDW damit um eine wertvolle Facette bereichert.
1995 kam das fünfte Studioalbum Under The Stars heraus, das ich bislang nur auszugsweise gehört habe, das sich aber vom verträumten Sound auf Sugar Kisses wieder etwas zu entfernen scheint und in einigen Songs orientalische Einflüsse verarbeitet. Robert Wilcocks hat außerdem mit Girls Under Glass und in jüngerer Vergangenheit auch mit Deine Lakaien zusammengearbeitet; mit Alexander Veljanov gibt es zudem eine Duett-Version des auf Sugar Kisses enthaltenen „Hold Me“.
http://www.youtube.com/watch?v=4bHCMNYhKQQ
http://www.youtube.com/watch?v=fnSVDYwnx3I&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=G3A-zuJ4aeM&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=s_UdITTmBqU
http://www.youtube.com/watch?v=MdnADi9e9Lw--
[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]@Nezy: Deine Kritikpunkte finde ich alle sehr berechtigt, Lana Del Rey aber dennoch irgendwie faszinierend. Ich versuche mal, das ein wenig zu rechtfertigen:
„biederes Image“: Im Sinne der vermittelten Ästhetik selbst ist das sicher gewollt. Im Sinne der Machart habe ich mich mit mir selbst darauf geeinigt, dass es mir in diesem Fall (und übrigens auch bei Lady Gaga) nicht allzu wichtig ist. Auch wenn es das Gesamtbild (gegenüber dem Fall einer tatsächlichen Selbstbestimmung der Künstlerin) ändert, wenn alles fremdbestimmt und umsatzorientiert und künstlich ist, zerstört es dieses Gesamtbild nicht. So oder so ist das Endprodukt interessant und widersprüchlich genug, um mich bei Laune zu halten, wenn auch jeweils aus verschiedenen Gründen.
„arme Person“: Den Eindruck habe ich auch. Nicht nur ist Lana Del Rey mit der Bühnensituation, ihrem Image und der schnellen Berümtheit offenbar überfordert, im Unterschied zu Lady Gaga ist ber ihr für mich absolut nicht klar, ob sie als Künstlerpersona sich selbst oder anderen gehört, bzw. zu welchem Anteil. Das alles zusammengenommen ergibt allerdings auch wieder so eine klassische Hollywoodtragik, auch wenn davon auszugehen ist, dass sie auf der vom Rezipienten ausgedachten Meta-Ebene stattfindet und nicht im Produkt selbst eingeplant wurde.@BZZZRRK: Sehr fein. „Lilith Calling“ könnte bald Dessa – The Chaconne in Sachen Dauerrotation bei mir ablösen…:)
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR]Fein, dass Dessa dir gefallen hat 🙂
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Bad Ass Me ~ Totgehört ~ Verkaufe CDs Prüchtepunch mit Schuss "also ich würd mich echter als dumm den als einen Troll ansehe" - Ivan Diruspalez
@BZZZRRK: Sehr fein. „Lilith Calling“ könnte bald Dessa – The Chaconne in Sachen Dauerrotation bei mir ablösen…:)Schön, dass du mal reingehört hast…mein Dauerrotations-Kandidat ist „Toys For Alice“, höre ich immer noch fast jeden Morgen, bevor ich aus dem Haus gehe. Allerdings die Albumversion, die ich noch besser finde als die verlinkte Single-Version…habe ich leider nicht auf YT gefunden.
Allerdings sind SDW nicht unbedingt eine Band für einzelne Hits, die lohnen sich erst richtig auf Albumlänge.--
[indent]Jerry lacht wie ein Kind. Schlurft wie ein alter Mann. Langsame, schleppende Sprache. Zufällige Gedanken, die in einem sterbenden Gehirn hängenbleiben. Verworrene Erinnerungen. Stimmen, die sonst niemand hört.[/indent]palez@Nezy: Deine Kritikpunkte finde ich alle sehr berechtigt, Lana Del Rey aber dennoch irgendwie faszinierend. Ich versuche mal, das ein wenig zu rechtfertigen:
„biederes Image“: Im Sinne der vermittelten Ästhetik selbst ist das sicher gewollt. Im Sinne der Machart habe ich mich mit mir selbst darauf geeinigt, dass es mir in diesem Fall (und übrigens auch bei Lady Gaga) nicht allzu wichtig ist. Auch wenn es das Gesamtbild (gegenüber dem Fall einer tatsächlichen Selbstbestimmung der Künstlerin) ändert, wenn alles fremdbestimmt und umsatzorientiert und künstlich ist, zerstört es dieses Gesamtbild nicht. So oder so ist das Endprodukt interessant und widersprüchlich genug, um mich bei Laune zu halten, wenn auch jeweils aus verschiedenen Gründen.
„arme Person“: Den Eindruck habe ich auch. Nicht nur ist Lana Del Rey mit der Bühnensituation, ihrem Image und der schnellen Berümtheit offenbar überfordert, im Unterschied zu Lady Gaga ist ber ihr für mich absolut nicht klar, ob sie als Künstlerpersona sich selbst oder anderen gehört, bzw. zu welchem Anteil. Das alles zusammengenommen ergibt allerdings auch wieder so eine klassische Hollywoodtragik, auch wenn davon auszugehen ist, dass sie auf der vom Rezipienten ausgedachten Meta-Ebene stattfindet und nicht im Produkt selbst eingeplant wurde.Da fällt mir im Grunde gar nicht viel ein was ich da entgegnen könnte da ich das im Grunde gar nicht so anders sehe, aber für mich persönlich halt andere Schlussfolgerungen ziehe. Ich sage ja auch nicht dass das ganze Produkt uninteressant wäre, sonst hätte ich mir ja auch keine Gedanken über eine abschliessende Meinung gemacht, aber mein gezogenes Fazit lässt einfach keinen Kaufimpuls aufkommen. Das Phänomen werde ich aber sicher weiter am Rande verfolgen, man kann ihm ja auch eh nicht entgehen…;-)
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Bad Ass Me ~ Totgehört ~ Verkaufe CDs Prüchtepunch mit Schuss "also ich würd mich echter als dumm den als einen Troll ansehe" - Ivan DirusIch habe hier ja immer brav passiv mitgelesen, aber dieses Video kann ich jetzt echt nicht vorenthalten, hehe.
http://www.youtube.com/watch?v=rEN6vsEzw5g&
Hoffentlich nicht schon aus anderen Threads bekannt, die musikbezogene Sonderheiten beinhalten.
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I know there's no other world: ॐॐॐ [/COLOR][COLOR=#f0f8ff]mountains[/COLOR] and [COLOR=#f0ffff]websites[/COLOR] ॐॐॐ[/COLOR]Hm und was soll an dem Video jetzt besonders sein? Ist doch weder wirklich lustig noch irgendwelche interessanten Sachen drin…nur bei den Pfannen musste ich kurz schmunzeln
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Bad Ass Me ~ Totgehört ~ Verkaufe CDs Prüchtepunch mit Schuss "also ich würd mich echter als dumm den als einen Troll ansehe" - Ivan DirusDas letzte Review ist mehr als drei Monate her. Hier muss wieder Normalität einkehren. In diesem Sinne: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe der Umkleidekabinenpeepshow, in der Paula euch eine kurze Geschichte über ein Schlüsselwerk des New Wave erzählen wird.
Talking Heads – Remain In Light
„So ein Album schreibt eine Band, wenn überhaupt, dann nur einmal im Leben.“ – diese blödsinnige Floskel wird zu oft verwendet, die Leute denken zu selten über sie nach, und je öfter sie verwendet wird, desto wertloser wird sie. In diesem speziellen Fall muss ich aber auf sie zurückgreifen, sie zum Dreh- und Angelpunkt meines Albumkommentars machen, denn mir würde für sie kein besseres Sinnbild einfallen. „Remain in Light“, das vierte Album und das Meisterwerk der Talking Heads, ist so sehr wie kein anderes Album, das ich kenne, Produkt einer einzigartigen und unwiederholbaren Konstellation von Begleitumständen, unter denen die Band sich zudem auf dem Höhepunkt ihres Könnens zeigt.
Auch ohne Vorwissen bekommt man beim Hören eine Ahnung, dass gerade eine Aufzeichnung von etwas höchst Seltenem läuft. In seiner schwindelerregenden und endlos faszinierenden Perfektion stellt „Remain in Light“ ein überaus labiles Gleichgewicht her. Die musikalische Grundprämisse war, die verschiedenen Einflüsse der Talking Heads einerseits konsequent auszuformulieren, andererseits zu verknüpfen. Bei einem so weiten, so widersprüchlichen Stilkonglomerat ist das eine Organisationsaufgabe, an der andere Bands der Post-Punk-/New Wave-Bewegung zwar nobel, aber eben doch gescheitert sind. Die Lösung ist hier Gleichzeitigkeit. Afrikanische Rhythmen, Funk-Gitarren, europäische Maschinenelektronik und rudimentäre Rockreste haben hier einen gemeinsamen Herzschlag. Dieser Herzschlag ist das Grundmuster hinter dem Kulturenkanon, bei „Remain in Light“ fast so etwas wie eine spirituelle Einheit. Das rituelle Trommeln und die körperbetonten Funk- und Discorhythmen aus Kulturen, die dem weißen Mittelstandsamerikaner Anfang der 80er immer noch wie eine fremde Parallelwelt erschienen, verschmelzen hier mit dem Geräuschteppich der modernen Welt. Einleitungsmelodien für Nachrichten, Schlussglocken an der Wall Street, unablässige Datenströme, getaktete Bewegungen am Fabrikfließband. Alles hier ordnet sich einer fehlerlosen Regelmäßigkeit unter. Der Gesang von David Byrne bietet zwar Identifikationsfläche, wenn er (wie im wohl bekanntesten Song des Albums „Once In A Lifetime“) mit neurotischen Nachrichtensprecher-auf-Kokainüberdosis-Phrasierungen dem Takt nicht folgt, doch so etwas passiert selten.
Das ist aus Hörersicht bewundernswert als Beweis dafür, wozu die sogenannte moderne Welt (beziehungsweise: die Umbruchsgesellschaft der späten 70er und frühen 80er) imstande ist, aus demselben Grund aber auch bedrückend. „Remain in Light“ konfrontiert einen nämlich, gerade, was die Texte angeht, auch mit der existenziellen Angst, dass irgendwann einmal der Ärmel steckenbleibt und man mitgerissen und zermalmt wird vom Maschinenorganismus, der mächtiger und weitreichender ist, als ein einzelnes Gehirn es sich vorstellen kann. Man könnte den von weißen Kunsthochschulennerds assimilierten Funk im musikalischen Gefüge von RIL als letztendlich kläglichen Fluchtversuch aus einer überfordernden Umgebung werten. Doch (Sub-)Kulturen jenseits vom europäischen und amerikanischen Popmainstream interessieren David Byrne hörbar mehr als nur in der Funktion von postkolonialistischen Kurorten. „Listening Wind“ ist noch vor der Joy Division-Hommage „The Overload“ der geisterhafteste und beunruhigendste Song des Albums, und wäre „Apocalypse Now“ ein paar Jahre später veröffentlicht und nicht aus der Perspektive der Amerikaner erzählt worden, der Song wäre mit seinen tropischen Synthieschwaden der perfekte Kandidat für den Soundtrack gewesen.
Es geht in diesem Fall aber nun doch besser mit Vorwissen, und dieses bestätigt die Ahnung, die das bloße Hören vermittelt. Der große Organisator war Brian Eno, das dominierende Produzentengenie der 70er, der zuvor schon der Karriere von David Bowie eine gänzlich neue Richtung gegeben hatte. Produzenten hatten vor mehr als 30 Jahren generell einen größeren Einfluss auf das musikalische Endprodukt, als aus heutiger Sicht nachvollziehbar wäre, Eno allerdings war eine Klasse für sich, ein obsessiver Stanley Kubrick der Klangregler. Mit Hauptsongwriter Byrne entwickelte sich eine fruchtbare Kooperation, die auch noch über die Talking Heads hinaus andauerte, die übrigen Bandmitglieder wurden während des Aufnahmeprozesses mehr oder minder zu Sessionmusikern degradiert. Jeder einzelne musste unwahrscheinlich viele einfache Motive einspielen, die von Eno geloopt und in Zusammenarbeit mit Byrne zu Songs zusammengesetzt wurden. Befreit von den Beschränkungen eines organischen Entstehungsprozesses, wuchsen die Stücke so zu Monstern aus 30 bis 40 Klangschichten an. Eine radikale und innovative Aufnahmemethode, die nicht ohne Opfer blieb: im Grunde genommen hörten Talking Heads 1980 auf, eine Band zu sein. Ein Album wie „Remain In Light“ ist live unmöglich zu reproduzieren (was 1984 mit dem Konzertvideo „Stop Making Sense“ dennoch versucht wurde). Innerhalb der Band bildeten sich zwei Lager: die Diktatoren Byrne und Eno, damals fast schon ein fünftes Mitglied, einerseits, und andererseits der unzufriedene Rest, der von der fernen Kreativzelle Befehle empfing. Eno und Byrne opferten die Band, um ein übermenschliches Maß an Vollkommenheit zu erreichen. Die Mehrheit der Beteiligten wollte nicht wieder Teil eines so verlustreichen und belastenden Prozesses sein. Nach drei Alben wurde Eno als Produzent gefeuert, die Talking Heads orientierten sich in eine eher massenkompatible Richtung und erlangten 1983 schließlich mit „Burning Down The House“ endgültig ihren kommerziellen Durchbruch. Einen Weg zurück gab es von diesem Punkt aus nicht mehr. So ein Album schreibt eine Band, wenn überhaupt, dann nur einmal im Leben.
http://www.youtube.com/watch?v=bVUOVRFyiNY
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trying to leave [COLOR=#808080]a mark more permanent than myself[/COLOR] -
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